"Glauben die Griechen im Ernst", fragte kürzlich Hans-Werner Sinn die Teilnehmer des Swiss Economic Forums in Interlaken, „dass wir Deutsche weiterhin bereit sind, ihnen Luxusautos von Mercedes und Maybach zu liefern, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?“ Die Frage war rein rhetorisch gemeint und wurde vom Publikum auch gebührend belacht. Es hatte die eigentliche Pointe genauso wenig begriffen, wie Sinn selbst: Ja, Deutschland will für seine Exporte tatsächlich keine realwirtschaftliche Gegenleistung.
Die deutsche Regierung in Berlin hat diesen Verzicht mit ihrem Spar- und Wachstumspaket soeben noch einmal feierlich bekräftigt: Sie will zwar noch mehr Deutsche „in Arbeit bringen“ und mehr Geld für Forschung und Bildung ausgeben, damit De
, damit Deutschlands Ingenieure noch bessere Produkte bauen können. Gleichzeitig sorgt sie aber dafür, dass diese Produkte möglichst nicht von Deutschen konsumiert werden können. Zu diesem Zweck kürzt sie die Bezüge der Staatsangestellten um 2,5 Prozent und friert ihre Löhne ein. Sie nimmt den Hartz-IV-Empfängern die Übergangszahlungen und die Heizkostenzuschüsse weg, sie stellt 10.000 Staatsangestellte auf die Straße und streicht bei der Bundeswehr bis zu 40.000 Stellen und vergrößert so das Heer der Arbeitssuchenden, von denen die Unternehmer die billigsten temporär testen können. Frierende Hartz-IV-Bezieher sind günstig zu haben.Kurz zuvor hat die deutsche Regierung in Frankfurt, dem Sitz der Deutschen Bank und der Europäischen Zentralbank den Bürgern Griechenlands und einiger anderer Südstaaten eine noch kalorienärmere Diät verordnet. Der Zweck dieser Sparpakete besteht darin, einen möglichst großen Teil des Brutto-Inlandprodukts dieser Länder für den Export, beziehungsweise für Exportüberschüsse zu reservieren. Nur so können sich die Schuldnerländer die nötigen Devisen für die Rückzahlung ihrer Schulden beschaffen.Kaufbereitschaft nützt wenigDas führt natürlich nur dann zum Ziel, wenn die freien Produktionskapazitäten tatsächlich für den Export verwendet werden können. Mit Sparen allein kommt man niemals „raus aus den Schulden“. Wer die gleichnamige RTL-Fernseh-Serie schon mal gesehen hat, weiß, dass Peter Zwegats erste Sorge immer der Arbeit gilt: Wie bringe ich den Schuldner dazu, einen anständig bezahlten Job zu landen? Zu diesem Zweck klopft der Schuldenberater auch schon mal persönlich bei potenziellen Arbeitgebern an. Für Staatsschuldner heißt die entsprechende Frage: Wie baue ich meine Exportindustrie auf? Und die potenziellen Arbeitgeber sind dem entsprechend die Importeure im Ausland. In Berlin ist Klopfen zurzeit zwecklos: „Nein danke“, sagt Angela Merkel, „das wenige, das wir noch konsumieren, produzieren wir locker selbst.“Dieser realwirtschaftliche Hintergrund der Schuldenkrise wird leider regelmäßig ignoriert. Auch die so genannten Spezialisten sehen nur noch die finanzwirtschaftliche Oberfläche. Sie stellen befriedigt fest, dass allein die Ankündigung von Sparmaßnahmen eine beruhigende Wirkung auf die Märkte ausübt. Die Schuldscheine der Schuldnerländer werden vorübergehend aufgewertet, womit im Umkehrschluss die Zinsen sinken und sich die Spekulanten anderen dubiosen Debitoren zuwenden. Das erweckt den Eindruck, als sei das Sparen allein eine hinreichende Voraussetzung für die Rückzahlung von Schulden.Das ist natürlich Unsinn. Griechenlands Sparprogramm hätte allenfalls dann Aussicht auf Erfolg, wenn es nur darum ginge, die Schulden der Regierung zu begleichen. Aber Griechenlands Staatsschulden sind weitgehend auch Schulden gegenüber dem Ausland. Hätte sich der griechische Staat ausschließlich bei der eigenen Bevölkerung verschuldet, müssten sich weder die EU noch der Weltwährungsfonds um Griechenland kümmern. Zum globalen Problem sind Griechenlands Schulden erst dadurch geworden, dass die Gläubiger im Ausland sitzen, und dass die Bilanzen ihrer Banken in Schieflage geraten, falls sie ihre Staatspapiere nicht mehr zum Nennwert verbuchen dürfen.Deutschland stark betroffenDas gilt nicht zuletzt für deutsche Banken. Genau wie bei der US-Subprime-Krise stellt sich auch jetzt wieder heraus, dass vor allem Deutschland betroffen ist. Das hängt nur am Rande damit zusammen, dass Deutschlands Bankinstitute unvorsichtig agieren. Der Grund liegt vielmehr darin, dass Deutschland zum Exportweltmeister geworden ist und in den vergangenen zehn Jahren laut OECD im Schnitt einen Leistungsbilanzüberschuss von fünf Prozent des Brutto-Inlandsprodukts erzielt hat. Das bedeutet: Deutschland hat jährlich ein Zwanzigstel der produzierten Waren und Dienstleistungen gegen Warengutscheine an das Ausland abgetreten. Man hat also Guthaben angehäuft, die jetzt gefährdet sind.Das Gegenstück zu diesen deutschen Überschüssen waren die Leistungsbilanzdefizite der anderen Euro-Staaten: Rund zwölf Prozent in Griechenland, sieben in Portugal, sechs in Spanien sowie je etwa 1,5 Prozent in Frankreich und Italien gibt die OECD an. Das sind gewaltige Ungleichgewichte. Wenn Deutschland seine Guthaben wirklich eintreiben wollte, müsste es zehn Jahre lang fünf Prozent mehr konsumieren als es selber produziert. Im Vergleich zu heute müsste der Konsum also um 10 BIP-Prozentpunkte steigen.Und auch diese Rechnung greift noch zu kurz: Sie klammert nämlich den Produktivitätsfortschritt aus. Pro Arbeitskraft wird Jahr für Jahr 1,5 Prozent mehr produziert. Auch das müsste irgendwie konsumiert werden. Doch wie und von wem?Wie bringe ich den Käufer zum kaufen?Genau das ist die alles entscheidende Frage der modernen Volkswirtschaft. Wie bringt man die Kunden zum konsumieren? Deshalb sind in der Privatwirtschaft längst weit mehr Leute mit Verkauf und Werbung beschäftigt als mit der eigentlichen Produktion. Produzieren lassen kann heute jeder, fragt sich bloß noch wo und wie billig. Ob eine Firma rentabel ist oder nicht, entscheidet sich beim Marketing. Nicht das Produkt an sich ist entscheidend, sondern die Gefühle und die Kaufbereitschaft, die man durch es beim Kunden auslöst.Doch Kaufbereitschaft allein nützt auf Dauer wenig, wenn es an Kaufkraft fehlt. Das bringt uns an die Quelle des Problems, denn die Kaufkraft wird seit Jahren im Keim – also im Unternehmenssektor – erstickt. Dort müsste mit den Produkten und Dienstleistung auch die zu ihrem Konsum nötige Kaufkraft generiert werden. Dieser für das Funktionieren einer Volkswirtschaft entscheidende Transmissionsriemen funktioniert jedoch nicht mehr.Der Riss im Transmissionsriemen der Kaufkraft ist leicht zu erkennen. Wenn etwa das Konsumgüter-Unternehmen Nestlé in seinem jüngsten Jahresbericht einen Netto-Cashflow von beinahe zwölf Prozent ausweist, bedeutet das, dass das Unternehmen mit seinen Verkäufen zwölf Prozent mehr einnimmt, als es samt Investitionen, Steuern und Dividenden ausgegeben hat. Nestlé schafft weniger Kaufkraft als es produziert. Es verkauft also im Grunde einen Teil seiner Produktion auf Pump und legt damit den Grundstein zu einer zunehmenden Verschuldung. Und Nestlé steht nicht allein: Fast alle großen Unternehmen erzielen seit etlichen Jahren laufend Finanzierungsüberschüsse.Die Frage ist dann nur noch, wer die entsprechenden Schulden machen muss. Die Antwort darauf kann man – für Deutschland – in der nationalen Finanzierungsrechnung der Bundesbank nachlesen. Sie zeigt für den Schnitt der vergangenen fünf Jahre in etwa folgendes Bild: Die Unternehmen samt Banken haben jährlich 50 und die privaten Haushalte 140 Milliarden Euro neue Guthaben angehäuft. Dem stehen jährlich 40 Milliarden Euro neue Schulden beim Staat und 150 Milliarden beim Ausland gegenüber – namentlich in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich. In all diesen Ländern weisen die Finanzierungsrechungen zunehmende Schulden gegenüber dem Ausland an.Das Ziel: 40 Euro pro StundeSchaut man sich die Finanzierungsrechnungen des Euroraumes oder die der USA in ihrem zeitlichen Verlauf an, so fällt überall dasselbe auf: Der Unternehmenssektor, der in normalen Zeiten noch einen beträchtlichen Teil seiner Investitionen auf Kredit finanzieren musste, erzielt heute hohe Netto-Überschüsse. Die entsprechenden Defizite (beziehungsweise die Verringerung der Sparquoten) fallen meist zuerst bei den Privathaushalten an, die sich im Zuge eines Immobilienbooms verschulden. Später gehen die Schulden an die Staaten über, die sich mit ihren diversen Rettungspaketen für Banken, Konjunktur und Arbeitslose hoch verschulden müssen.Solange der Unternehmenssektor so tiefe Löhne bezahlt, dass die Kundschaft die produzierte Ware nicht oder nur auf Pump kaufen kann, bleibt der Kapitalismus in der Schuldenfalle gefangen. Da helfen auch Konjunkturprogramme wenig. Das einzige, was wirklich hilft, ist das, was neoliberale Ökonomen gerne „markträumende“ Löhne nennen. Bloß haben sie den Begriff falsch verstanden. Sie glauben – genau wie die Regierung Merkel – dass es gelingen kann, die Löhne so tief zu senken, dass die Unternehmen auch noch für den letzten Arbeitssuchenden eine Stelle finden – kostet ja nichts. Deshalb der verzweifelte Versuch, die Hartz-IV-Bezüge noch tiefer zu schrauben und damit das ganze Lohngefüge auf ein „markträumendes“ Niveau zu senken.Um dieses Missverständnis zu beseitigen, sollte man deshalb in Zukunft statt von markt- eher von regalräumenden Löhnen reden. Dieser auch rein lautmalerisch überzeugende Begriff zeigt, worauf es in der Marktwirtschaft wirklich ankommt – Regale, die immer wieder nachgefüllt werden müssen. Die Zielgröße liegt laut dem New Yorker Forschungsinstitut „The Conference Board“ übrigens bei rund 40 Euro pro Stunde. Soviel produziert deutsche Wertarbeit und soviel müsste das Land, in dem Maybachs fahren und Devisen fließen, eigentlich auch konsumieren können.