Die Worte der 15-Jährigen klingen trotzig: „Ich bin in Olsberg geboren. Ich weiß nicht, warum man mich hierher gebracht hat.“ Vor drei Jahren wurde Sanije Kryeziu mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Florentina in das Kosovo abgeschoben. Ihr früheres Leben erscheint ihr aus der Ferne seltsam irreal: Mit Freundinnen Eis essen, Hausaufgaben machen, ein Nachmittag im Freibad – Dinge, von denen sie im Kosovo nur träumen kann. Geboren und aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen lebt sie heute in einem Land, dessen Sprache sie kaum spricht. Die Schule besucht sie schon lange nicht mehr.
Als Sanijes Eltern 1992 das Kosovo verließen, zerfiel Jugoslawien in Bürgerkriegen, ethnische Gewalt flammte auf. Die Roma, zu denen auch ihre Familie gehört, musst
;rt, mussten fliehen. Ihr Hab und Gut ließen sie zurück. Sie werde nie wieder zurückkehren, das schwor sich ihre Mutter damals. Doch es kam anders: Als 2007 die Polizei vor der Tür ihrer Wohnung in Olsberg stand, hatte sie keine Wahl. Sie wurde abgeschoben mit den zwei Töchtern, nach 15 Jahren Aufenthalt.Etwa 12.000 Roma, Ashkali und Kosovo-Ägyptern droht in den nächsten Jahren die Abschiebung aus Deutschland ins Kosovo, davon sind etwa die Hälfte Kinder und Jugendliche. Ein im April geschlossenes Rückführungsabkommen zwischen der kosovarischen und der deutschen Regierung sieht vor, dass nun auch Angehörige der in den Neunzigern geflohenen Minderheiten zurückgeschickt werden. Nach Ansicht Hans-Herman Gutzmers vom niedersächsischen Innenministerium handele es sich bei ihnen um eine Gruppe, bei der besondere „Integrationsschwierigkeiten“ vorlägen. Es fehle an der „notwendigen Bereitschaft, sich intensiv um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen“. Eine Ansicht, die Kirchen und Flüchtlingsverbände als zynisch kritisieren. Denn oft sind es alte und kranke Eltern, die mit ihren Familien von der Abschiebung betroffen sind. Weil sie ihr Einkommen nicht selbst erwirtschaften können, fallen sie durchs Raster der Bleiberechtsregelung, wie Bastian Wrede vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat erläutert.Humanitäre LinienbusseErkenntnisse, die eine aktuelle UNICEF-Studie vom Juli 2010 belegt. So seien etwa im Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Halle rund ein Drittel der Klienten Roma aus dem Kosovo. Viele von ihnen, so die Studie, litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen, unter Angststörungen oder Depressionen. Der Tod von Familienangehörigen, die Erfahrung von Gewalt am eigenen Leib sind die häufigste Ursache für Traumata; doch auch die oftmals Wochen andauernde Flucht in den Wirren des Krieges unter Todesangst und der Verlust des heimatlichen Umfeldes lösen oftmals psychische Erkrankungen aus. Zwar sind die Patienten für die Dauer der Behandlung geschützt, doch das Wissen um die drohende Abschiebung, so die Studie, belaste die gesamte Familie und erschwere den Genesungsprozess.Einmal in das Kosovo abgeschoben, können Roma und andere Minderheiten in der Regel nicht an ihre Herkunftsorte zurück. Ihre Dörfer und Gemeinden wurden ausgelöscht, ganze Stadtteile zerstört. Mehr als 235.000 Minderheitsangehörige verloren laut Amnesty International als Folge von Flucht und Vertreibung ihren Wohnsitz. Weitere 4.000 wurden vertrieben, als 2004 eine neue Welle ethnisch motivierter Gewalt ausbrach. Sie wurden zu Flüchtlingen, die ihre Rechte kaum gelten machen können. Laut einer aktuellen Studie des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind „grundlegende Menschenrechte und der Zugang zu Sozialleistungen erheblich eingeschränkt“. Sie leben in Armut, oftmals ohne Zugang zu medizinischer Versorgung. Knapp 80 Euro habe eine Familie im Schnitt pro Monat zur Verfügung, sagt Stephan Dünnwald von der Organisation PRO ASYL, der Rückkehrer vor Ort besuchte. Die wenigen Förderprogramme, die es im Kosovo gibt, richten sich fast ausschließlich an „freiwillige Rückkehrer“. Die meisten Roma jedoch werden zwangsweise abgeschoben und fallen somit durchs Raster internationaler Hilfsprogramme, wie die OSZE jüngst in einem Bericht kritisierte. „Die meisten leben nur davon, was ihnen in Deutschland gebliebene Verwandte überweisen“, sagt Dünnwald.Trotz ethnischer Spannungen, der Separierung in getrennte Stadtteile, Schulen und der Notwendigkeit des Betriebs von „humanitären Buslinien“, um Minderheitsangehörige vor Übergriffen zu schützen, wird das Kosovo von den deutschen Behörden als „sicher“ eingestuft – eine Ansicht, der internationale Beobachter sowie Flüchtlingsverbände widersprechen. „Die Nachkriegsgesellschaft des Kosovo ist nach wie vor ethnisch gespalten“, warnt Bernd Wrede vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Zwar sei die Lage angesichts beachtlicher NATO-Präsenz ruhig, doch man könne nicht abschätzen, wann ethnische Spannungen – wie im März 2004 gegen die Ashkali-Minderheit – neu aufflammen.Nicht länger geduldetDie UN-Übergangsverwaltung des Kosovo (UNMIK) hatte Abschiebungen von Roma in das Kosovo lange verhindert. Im November 2008 gab die UNMIK die Zuständigkeit für die Rückführung jedoch an die kosovarische Regierung zurück, die am 12. April das Rückführungsabkommen mit Deutschland unterzeichnete. „Kosovo steht unter hohem politischen Druck, diese Abkommen zu akzeptieren, ohne über Mittel zu verfügen, diese Familien in Würde und Sicherheit aufnehmen zu können“, kritisierte der EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg schon im März 2009. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte den Sicherheitsrat, dass Abschiebungen von Roma die Stabilität im Kosovo gefährden und bestehende Spannungen verschärfen könnten.Die 12.000 ausreisepflichtigen Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter leben zur Zeit mit einer „Duldung“ in Deutschland, ohne gesicherte Aufenthaltserlaubnis. Obwohl rund die Hälfte von ihnen Kinder und Jugendliche sind, steht das Kindeswohl bei der Debatte über ihre „Rückkehr“ bisher nicht im Mittelpunkt. Dabei bedeutet eine Abschiebung oft das Ende des Bildungswegs, wie Johannes Wedenig, der Leiter des UNICEF-Büros in Priština, erläutert: „Drei von vier Kindern gehen im Kosovo nicht mehr zur Schule, weil sich die Direktoren weigern, Roma-Kinder aufzunehmen, wenn Geburtsurkunden und Zeugnisse fehlen.“ Zwei von drei Kindern wurden in Deutschland geboren und wuchsen dort auf. Das Land, in das sie „zurückkehren“, haben die meisten noch nie gesehen. Oft sprechen sie weder Albanisch noch Serbisch – „ein Umstand, der sie um Jahre zurückwirft“, sagt Wedenig. „Die Kinder betrachten Deutschland als ihre Heimat.“ Viele Familien versuchten daher um jeden Preis, nach Deutschland zurückzukehren.Unrühmliche TraditionDie Augen für die Situation der Roma zu verschließen hat in Deutschland eine unrühmliche Tradition. „Aufgrund des Holocaust gibt es heute in der internationalen Politik eine große Sensibilität für die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Demgegenüber hat der gegen Roma und Sinti gerichtete Rassismus nur einen geringen Stellenwert auf der politischen Agenda“, schrieb Romani Rose in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma forderte im Dezember die Bundesrepublik auf, ihre historische Verantwortung als Nachfolgestaat des NS-Regimes endlich wahrzunehmen und den Roma ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Bislang blieb seine Forderung in der Innenministerkonferenz ungehört.Anders, als etwa bei jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die 1991 unbefristete Aufenthaltstitel bekamen, spielt die Frage der historischen Verantwortung gegenüber den Roma, die in den Kriegen des ehemaligen Jugoslawiens nach Deutschland flüchteten, keine Rolle. Im Schnitt verlor jede zweite Romafamilie auf dem Balkan Familienangehörige im Holocaust. Am 2. August 1944 wurden in Auschwitz-Birkenau die letzten 2.897 Sinti und Roma in nur einer Nacht umgebracht. Danach wurde das Sinti- und Roma-Lager aufgelöst. Wie eine Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin feststellt, ist dieses Schicksal für politische Entscheidungen jedoch irrelevant. „Die Kontingentregelung für russische Juden wurde mit dem erklärten Willen der Bundesregierung begründet, wieder jüdisches Leben in Deutschland zu haben“, sagt Bernd Mesovic von PRO ASYL. „Der Völkermord an den Sinti und Roma hingegen wird nicht mit der realen Verfolgungssituation auf dem Balkan in Verbindung gebracht“.