Was fürs Erste geblieben ist, ist ein Hintergrundrauschen im Alltag: Die große Wulff-Geschichte, die auf ihrem Höhepunkt – während des ARD- und ZDF-Interviews des Bundespräsidenten – Einschaltquoten erreichte wie Wetten, dass..?, ist eine Geschichte geworden, die zu langweilen beginnt. Ist es nicht so? Haben nicht viele allmählich die Schnauze voll von diesem Drama, das von nicht weniger als unserer politischen Kultur handeln wollte, von einer „Politikkultur, die keinen Umgang mit Fehlern kennt“, wie eine Piratin getwittert hatte?
Was ist passiert? Die Antwort beginnt bei der Frage, warum überhaupt ein so großes Publikum so großen Anteil nahm. Es muss damit zu tun haben, dass die Geschichte einfach gut ist. Hierin, und in
n, und in ihrer Fallhöhe, ähnelt Wulffs Geschichte jener von Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Absturz gleichermaßen das öffentliche Interesse bündelte: Politiker, die hohe Ämter bekleiden, die sie nach Meinung zu vieler nicht bekleiden sollten, machen sich durch ihre Hybris und ihre Verschleierungstaktiken im Umgang mit offensichtlichen Fehlern zum Kasper der Nation. Schon in den ersten Exposés dieser beiden Geschichten ist das Zusteuern auf die Katastrophe angelegt. Es ist kein Wunder, dass sie bereits von prominenten Filmemachern als Filmstoffe bezeichnet wurden.Warum aber weicht die Anteilnahme allmählich der Genervtheit, die sich in der Abnahme des #wulff- und #notmypresident-Tweet-Aufkommens zeigt, in der Zuwendung zu anderen Themen, in der hier und da auch ausgesprochenen Forderung, die Debatte endlich zu beenden? Das wiederum muss damit zu tun haben, dass sich dem Höhepunkt, dem im Drama doch eigentlich die Katastrophe und, so es sich um eine Tragödie handelt, die Katharsis folgen sollte, hier immer nur der nächste Countdown anschließt. Das Präsidenten-Drama wird zu Ende erzählt wie seinerzeit ein Anrufgewinnspiel bei 9Live: noch eine Minute bis zur Auflösung! Und dann noch eine! Und noch eine!Wir sind damit an einem Punkt des Skandals, der weg vom Drama und hin zu seiner ernüchternden Entstehungsgeschichte führt. Ein Skandal zeichnet sich, wie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen definiert, durch dreierlei aus. Erstens: die Normverletzung. Zweitens: die Berichterstattung über diese Normverletzung. Und drittens: kollektive Empörung eines mehr oder weniger großen Publikums. Man vergisst das leicht, während man noch von der Normverletzung selbst fasziniert ist: Dass sie alleine nicht ausreicht, um eine solche Empörungswelle loszutreten. Sie braucht auch jene, die sie anstoßen. Der Wulff-Skandal handelte insofern von Anfang an nicht allein vom Bundespräsidenten, sondern immer auch schon von den Narrativen der Medien.Diskussion auf AutopilotSie haben eine Sonderrolle in dieser Geschichte. Was man hier exemplarisch beobachten kann, ist, dass für Medien dasselbe gilt wie für die Versuchsanordnungen von Quantenmechanikern und die Feldforschungen von Ethnologen: So wie die Forschungen und Versuche ihr Ergebnis verändern, verändert auch die Anwesenheit von Journalisten das Verhalten derer, über die sie schreiben und die sie filmen. Medien stehen nicht außerhalb der Schneekugel, sie stehen mittendrin. Objektivität gibt es daher nicht, sie ist ein Paradoxon. Diese Erkenntnis an sich ist freilich banal. Die mediale Aufklärung der Wulffschen Normverletzungen ist aber, und hier beginnt das Besondere dieses Falls, nicht nur nicht objektiv. Es handelt sich um eine Sonderform der scripted reality. Was nicht sofort auffällt, weil es doch die vermeintlichen Aufklärer sind, die hier PR in eigener Sache treiben.Die Beteiligten seitens der Bild-Redaktion erzählen nicht einfach die Geschichte der Vergehen Wulffs, auch wenn sie das behaupten. Sie schufen diese Vergehen erst mit, indem sie Wulff ausführlich hofierten und dann – was nicht zu Gunsten Wulffs ausgelegt werden soll – mit Recherchen in mehreren Bereichen zu seiner dämlichen Schimpftirade auf Bild-Chefredakteur Kai Diekmanns Mailbox provozierten. Warum hat Wulff nicht den Anrufbeantworter von Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo gefüllt, dessen Leute ebenfalls zu Wulffs recherchierten?Dass aus dem Axel-Springer-Hochhaus schließlich Teile der Nachricht, die Wulff auf Diekmanns Telefon hinterließ, an andere Redaktionen durchgestochen wurden, hat Abschnitt zwei des Skandals erst verursacht. Diekmann und seine Leute, die mit dem Bundespräsidenten dessen viel kritisiertes taktisches Verhältnis zur Wahrheit teilen, haben es geschafft, andere Medien für ihre Sache zu vereinnahmen, indem sie einzelne Mailboxzitate Wulffs – die unsäglichsten, wie sich herausstellt – in Umlauf brachten. Und andere haben sich einspannen lassen.Deren Fehler war dabei nicht einmal, dass sie aus der Nachricht zitierten. Das Problem war, dass die wenigen, die sie teilweise kannten, nicht transparent arbeiteten: Sie vermittelten den Anschein, als seien sie im Bilde. Als hätten sie das Transskript vielleicht von einem Informanten zugesteckt bekommen und würden nun, vielleicht sogar aus eigenem Antrieb, weil es sich um ein vertrauliches Dokument handelt, nur Passagen zitieren. Der Schein trog, sie hatten nur, was Bild ihnen gab. Sie haben es verheimlicht, um der exklusiveren Geschichte willen. So konnte die Boulevardzeitung, als zentraler Akteur, zugleich Ghostwriter der Geschichte sein.Journalistenpreis für Bild?Auf dem Höhepunkt der Absurdität schrieb der Spiegel über Wulffs Anrufe bei Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, und Spiegel Online zitierte seinen Verlag mit der Aussage, man könne die Darstellung bestätigen, wolle sie aber nicht kommentieren. Wie irrsinnig das ist, kann man erkennen, wenn man sich vorstellt, wie Döpfner morgens vor dem Badspiegel steht und sagt: „Ich kann die Darstellung des Spiegels bestätigen, weiß aber nicht, wo das Bild herkommt.“Auch ich habe, angetrieben auch von der manchmal irreführenden Erkenntnis, dass praktisch alle anderen ihren Senf bereits abgegeben hatten, die Anrufe Wulffs bei Diekmann für so unsäglich erklärt, wie sie waren. Leider ohne zugleich zu relativieren, dass die Beschimpfung Diekmanns eigentlich oberste Bürgerpflicht ist – nur eben nicht für einen Bundespräsidenten, der dabei ausschließlich in eigener Sache agiert.Die große Medienaufmerksamkeit bedeutet allerdings nicht, dass es eine konzertierte Medienkampagne gibt. Näher liegt die These, dass die kollektive Berichterstattung eine Folge der Medienvielfalt ist: Am Anfang stand eine Verfehlung des Staatsoberhaupts. Und keine Redaktion durfte sich nachsagen lassen, nicht darüber zu informieren. Irgendwann schaltete die Diskussion dann auf Autopilot. Als schließlich auch noch im Fotoalbum der Präsidentengattin nach gesponserten Luxuskleidern gesucht wurde, verkam die Kritik zu einem fiependen Dauerklingelton. Die ersten Zuschauer schalteten genervt aus.So abwegig der Kampagnenvorwurf an „die Medien“ aber auch sein mag: Was es selbstverständlich gibt, ist eine Bild-Kampagne; eine Werbekampagne, in der Bild die eigene Qualität thematisiert. Die Zeitung wird sich, die ersten Forderungen klingen schon an, um Recherchepreise für die Berichterstattung über Wulffs Hauskredit bewerben und sie vielleicht sogar bekommen. Eine Jury, die an ihre Objektivität glaubt, will ja Bild nicht übergehen, nur weil es Bild ist. Was ihr aber eigentlich gebührt, ist ein Dramaturgiepreis.