Marina Weisband – Jahrgang 1987 und noch Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei – hatte sich als radikale Verkörperung des „offenen Politikers“ zur Verfügung gestellt: „Ich bin ein Experiment. Kann eine Gemeinschaft einen Politiker machen? Können wir die Politik dadurch verändern?“, schrieb sie in ihrem Blog und stürzte sich in den Diskurs mit dem Ziel, als lebendiges Sprachrohr für dessen Ergebnis zu fungieren. Aus Sicht der Piraten ist der Versuch geglückt, Weisband avancierte für den Spiegel gar zum „Star der Partei“. Inzwischen ist der Psychologie-Studentin die absolute Verfügbarkeit für Wähler, Parteimitglieder und Internet-Trolle zu vie
ieder und Internet-Trolle zu viel geworden. Sie kündigte an, im April nicht erneut für ihr Parteiamt kandidieren zu wollen – aus „gesundheitlichen Gründen“ und um ihre Diplomarbeit zu schreiben. Am Prinzip der totalen Offenheit hält Weisband dennoch fest: „Es ist völlig utopisch und töricht und dumm. Aber ich könnte es mir jedenfalls nicht verzeihen, es nicht zumindest zu versuchen.“ Steffen KraftCamila VallejoKommunistinDie erste Ikone, die ich kannte, schob sich mit 27 Jahren den Lauf einer Schrotflinte in den Mund und drückte ab. Seit Kurt Cobains Tod bin ich skeptisch, was Personen-Hypes angeht. Es gibt eine Ausnahme: Ich glaube an Camila Vallejo, obwohl Tausende das tun. Kürzlich (über)füllte sie in Hamburg, Berlin und München Hörsäle, als sie über das wenig zugkräftige Thema „Bildungsstreik in Chile“ sprach. Sie sagt, Kommunismus sei für sie die Demokratie des kleinen Mannes, jedes Land müsse da aber seine eigene Definition finden. Man nimmt ihr ab, dass sie mit Dogmatik nichts anfangen kann. Der Guardian hat die Wirkung der 23-Jährigen mit der des Subcomandate Marco verglichen, nur „ohne Skimaske, Pfeife und Knarren“. Vallejo gibt dem Kommunismus ein neues Gesicht, das sich keine PR-Agentur dieser Welt besser als Antipode zum Klischee der bärtigen alten Männer hätte ausdenken können. Im November dozierte sie in einem Peace-Zeichen aus leeren Tränengaspatronen sitzend. Inzwischen handelt man sie in Chile als nächste Präsidentschaftskandidatin der Kommunistischen Partei. Anlass zur Sorge gibt aber auch sie: Vallejo erhält Morddrohungen und steht unter Personenschutz. Christine KäppelerBeth DittoSängerinKlein sind sie alle: Madonna, Kylie Minogue, Christina Aguilera – kaum eine der Pop-Ikonen schafft die 1,60--Meter-Marke. Auch Beth Ditto nicht. Die fehlende Körpergröße aber macht sie mit -ihrem Gewicht wett: Hundert Kilo und ein paar Zerquetschte verteilt sie auf 157 Zentimeter. Zu fett gesellt sich lesbisch und damit verstößt Beth Ditto gleich zweimal gegen die -Erfolgskoordinaten weiblicher Popstars. Gestört hat sie das selbst noch nie. Und deswegen wahrscheinlich auch die anderen nicht. Statt sich von Stylisten die Speckrollen wegmogeln zu lassen, zwängt sich die 30-Jährige mit Vorliebe in Kleider, die eng wie Fahrradschläuche und bunt wie Knallbonbons sind. Oder sie trägt gar nichts wie auf dem Cover des New Musical Express. So viel Style entlockte gar Karl Lagerfeld Entzückungsschreie, der sie kurzerhand zur Fashion-Ikone ernannte. Warum er dagegen neulich über den Umfang von Adele lästerte, mag ein Rätsel sein. Beth Ditto wird es egal sein, denn sie weiß, dass man im Showbiz ein dickes Fell braucht. Vielleicht trägt sie ihres auch deshalb mit so viel Lebensfreude. Verena ReygersKübra GümüsayKopftuchbloggerinFrüher kamen in den deutschen Medien und damit auch in unserer Vorstellung ziemlich genau drei Typen von Kopftuchträgerinnen vor:1. kochende Mütter auf Folklorefesten,2. potenziell Zwangsverheiratete,3. anderweitig Unterdrückte.In jedem Fall galten traditionell gewandete Musliminnen als Opfer. Dann betrat Kübra Gümüsay mit ihrem Blog ein-fremdwoerterbuch.com die Bühne. Um ihren Kopf: ein Tuch. Im Kopf: der Willen, zu beweisen, dass darin kein Opferhirn steckt. Seither schreibt und -redet die Politikwissenschaftlerin im Netz, in der taz und inzwischen im Fernsehen dagegen an, dass sich ihre versteckte Haarpracht und die Selbst-beschreibung als „Radikalfeministin“ widersprechen. Nicht alle werden die freiwillige Unterwerfung unter eine patriarchale Kleiderordnung als Emanzipationsleistung verstehen. Doch selbst diese Kritiker müssen anerkennen, dass Gümüsays „Kopftuchfeminismus“ das Selbstbild der Deutschen als tolerante Gesellschaft infrage stellt. Und so etwas kann einem Land nur gut tun. Steffen KraftBettina WulffRevolutionärin a.D.Ihre Autogrammkarte aus der Zeit, als sie noch die erste Frau im Staate war, zeigt eine elegante Dame in Rot. Die Unterschrift: runde Buchstaben, lesbar, um Verständlichkeit bemüht. Eine Frau zum Vorzeigen. Die Autogrammkarte ihres Mannes dagegen zeigte einen Staatsmann, krawattig, randlos. Nicht unangenehm im Erscheinungsbild, aber einschläfernd. Seine Unterschrift: krikelkrakel, Arztstyle. Es war sie, die Frau, die für etwas Neues stand, nicht er: Sie trug Tattoo, sie war jung, sie ging auf Partys. Er war lediglich ihr langweiliger Mann.Doch das Glück, oder wie auch -immer man es nennen will, dauerte lediglich anderthalb Jahre, dann war klar: Pustekuchen. Die Würde des Amtes fraß die Stilrevolution einfach auf. Tattoo, -Eleganz, ein Lebensstil, der nicht ins Amt zu passen schien und doch gerade -passte: alles vergessen. Bettina Wulff ist heute die Frau jenes Mannes, der als Bundespräsident auf die Fresse gefallen ist. Klaus RaabMario BarthEmanzeEs gibt ja kaum etwas, das so viel Spaß macht, wie über Alice Schwarzer her-zuziehen. Also: Hat Schwarzer zu ihren Hochzeiten, die ja nun auch schon eine Weile her sind, mit ihren Auftritten eigentlich jemals Stadien gefüllt? In den Geschichtsbüchern findet sich dazu nichts. Wenn Mario Barth dagegen, der aus Berlin stammende Comedian und ehemalige Schüler einer katholischen Privatschule, loszieht, um sich über Männer und Frauen lustig zu machen, dann brennt die Hütte. Dann füllt er damit tatsächlich Stadien und landet schließlich im Guinnessbuch der Rekorde. Dabei sind die Inhalte von Mario Barth denen von Alice Schwarzer gar nicht so unähnlich. Gegen Programmtitel wie „Männer sind schuld, Frauen aber auch“ oder „Männer sind peinlich, Frauen aber manchmal auch“ dürfte die eiserne Lady des deutschen Feminismus eigentlich nichts einzuwenden haben. Und ein Spruch wie „Nichts reimt sich auf Uschi“ ist doch auf seine Art fast ein geradezu formvollendetes Gender-Haiku. Dass Barth dabei vorsätzlich politisch unkorrekt agiert, ist sein Tribut an die Straße. Und die lacht nun über Dinge, die vor 20 Jahren wahrscheinlich noch niemand komisch gefunden hätte. Jana HenselSahra WagenknechtLinkeBekanntlich hat sich die Politikerin Sahra Wagenknecht lange als Wieder-gängerin einer Kommunistin um 1900 stilisiert. Wer dachte nicht an Rosa Luxemburg, wenn er sie mit strenger Haartracht, strengem Kleid und strengem Blick sah? Eine offensiv zur Schau getragene Vermeidung von erotischen Signalen ist natürlich nicht zu verwechseln mit Unerotik: Sich eventuell an diesem Kälte-Habitus entzündende Fantasien blieben aber unterhalb des öffentlichen Diskurses. Parallel zu einer Mäßigung in ihren politischen Ansichten hat Sahra Wagenknecht im vergangenen Herbst entschieden, ihr Image weicher zu zeichnen. Sichtbares Zeichen dieser Strategie war die Bildstrecke, die am 2. September 2011 im Magazin der Süddeutschen Zeitung in der Rubrik „Sagen Sie jetzt nichts“ erschien. Augenzwinkernd zitiert Wagenknecht in diesen Fotografien von Alfred Steffen ihr altes Image. Bei Bild 7 könnte man mit Michel Foucault sogar von einem „diskursiven Ereignis“ sprechen. Sahra Wagenknecht zeigt sich uns mit offenen Haaren in der Viertelansicht (schräg von hinten). Sie gewinnt damit ein Stück Souveränität über einen medial-erotischen Diskurs zurück, dessen Regeln sie nicht be-stimmen, wohl aber spielerisch und ironisch auslegen kann. Ein „Spiel“, das „manche Genossen“ verunsicherte, wie es im Freitag hieß. Dieses Spiel hat sie nun noch weitergetrieben. Auf einer Karnevalsveranstaltung in Saarbrücken zeigte sie sich am 11. Februar mit offenem Haar und ihrem Lebensgefährten. Sahra Wagenknecht hat natürlich ihren Bachtin gelesen und weiß, dass im Karneval und erst mal nur im Karneval „die Ordnung auf den Kopf“ (!) gestellt wird. Souveräner geht nicht. Man kann vor dieser Frau nur den Hut ziehen und Oskar Lafontaine beglückwünschen. Michael AngeleN.N.Künftige RevolutionärinWer Frauen sucht, die Verhältnisse verändern, läuft schnell Gefahr, sich dabei an Klischees zu orientieren – und Menschen auszuzeichnen, die letztlich doch alles beim Alten lassen. Fünf Merkmale, die es bei der Suche nach Revolutionärinnen zu bedenken gilt:1. Ganz anderes zu wollen, heißt noch lange nicht, Richtiges zu wollen.2. Richtiges zu wollen, heißt noch lange nicht, für die Mehrheit attraktiv zu sein.3. Attraktiv zu sein, heißt noch lange nicht, sich als Sau durchs Mediendorf treiben zu lassen.4. Bekannt zu sein, heißt überhaupt nicht, ganz anderes zu wollen.5. Wer also Revolutionärinnen sucht, sollte selbst ernannte oder fremdbestimmte rechts liegen lassen.Ulrike Baureithel