Wenn Jungpflanzen in Tetrapacks wachsen und Kapuzinerkresse im Einkaufswagen wuchert, kann man das als Kommentare zu Ressourcenknappheit und Warenüberfluss lesen. Aber hat das auch etwas mit Gärtnern zu tun?
Gärtnern war bislang immer bodenständig. Bis 2009 die ersten Akteure auftauchten, die ihren von der Polizei geräumten Nachbarschaftsgarten Rosa Rose auf Lastenfahrräder packten und in einer Umzugsparade auf „Asylbeete“ befreundeter Gemeinschaftsgärten transportierten. Der Gemüseanbau in Milchtüten und Asia-Reissäcken ist eine symbolische Handlung ersten Ranges.
Hier arrangiert man sich nicht nur mit industrieverseuchten Böden, hier wird auch umgedeutet. Und damit f
seuchten Böden, hier wird auch umgedeutet. Und damit findet Aneignung in einer Stadtgesellschaft statt, die eigentlich immer verregelt und vollständig durchgeplant ist; in der auf jedem Platz bereits eine Nutzungsdefinition liegt. Jüngere Generationen, die ein Höchstmaß an Individualisierung erreicht und zugleich gelernt haben, dass ihre Stimme zählt, empfinden das nun als zu eng. Sie reklamieren nicht nur Selbstbestimmung, sondern auch Mitgestaltung. Die traditionelle Stadtplanung „von oben“ legitimiert sich nicht mehr „qua Amt“. Sie wird herausgefordert. Durch Partizipation entstehen Ansätze einer demokratischen Stadtentwicklung.Unterdessen geraten die ersten Nomaden schon wieder ins Zweifeln. „Läuft der Mietvertrag aus, ziehen wir einfach um – auf das oberste Deck eines Parkhauses, in eine Industriehalle oder eine der vielen weiteren Brachflächen im Stadtgebiet,“ schreiben die noch jungen Macher der Pflanzstelle aus Köln in ihr Blog.So lautete zunächst auch die Devise des Kreuzberger Prinzessinnengartens, deren Nomadisch Grün gGmbH ursprünglich viele Gärten schaffen, nach dem jeweiligen Nutzungsende weiterziehen und immer neue „Nicht-Orte“ transformieren wollte. Nomadisch leben heißt auch, sich nicht festlegen müssen, heißt größtmögliche Freiheit, um dabei immer wieder auf undefinierte und nicht verregelte Räume zu treffen.Aber heute, nach drei Jahren am Moritzplatz, zeigt sich, wie dicht die sozialen Netze im Kiez inzwischen geknüpft sind. Und wie schade es wäre, sie einfach wieder aufzugeben. Soziale Beziehungen sind eben nicht so mobil wie der Kartoffelsack aus Plastik. Nur selten ziehen sie den Nomaden hinterher. Zwischennutzungen mögen der Aufwertung einer Fläche dienen; für Gärtner sind langfristige Pachtverträge das bessere Mittel der Wahl.SelbstversorgungDas Glück der eigenen KarotteKonsumismus war die Leitkultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf ihr bauen persönliche Biografien, nationale Sozialsysteme, ja, beinahe komplette Gesellschaften auf. Nun wird diese Leitkultur zunehmend in Frage gestellt. Unendliches Wachstum ist eine Illusion, denn ohne die Ausbeutung immer knapperer Ressourcen ist sie nicht möglich. Diese Einsicht ruft die allerorten neu entstehenden Formen der Subsistenz auf den Plan.Was aber kann diese Selbstversorgung heute bedeuten? Die Coolness der Autonomieerfahrung, wenn man seine ersten eigenen Karotten erntet, ist eine Sache. Ohne Geld aber kann auch der Talentierteste nicht überleben. Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Der Weg in eine zukunftsfähige Gesellschaft und die mutmaßlich damit verbundenen materiellen Wohlstandsverluste bieten nur dann neue Perspektiven, wenn sie von einer gerechten Umverteilung sowie von tiefgreifenden Demokratisierungsprozessen begleitet werden.An dieser Stelle ist die Gesellschaft gefragt, die im Kern selbst eine subsistenzorientierte Perspektive einnehmen müsste, um die vor uns stehenden Veränderungen aussichtsreich zu moderieren. Subsistenzpraxis im öffentlichen Raum benötigt nicht nur ein symbolisches Schulterklopfen, sondern auch infrastrukturelle und rechtliche Voraussetzungen. Es muss dafür zum Beispiel Grund und Boden bereitgestellt werden, damit sich die Potenziale einer nachhaltigen Entwicklung entfalten können.Eine der ureigensten Aufgaben der Kommunen, öffentliche Räume vor partikularen Interessen zu schützen und allen Bewohnern frei zu halten, gehört deshalb neu auf die politische Agenda. Selbstversorgung darf keine Armutsstrategie sein und im Sinne einer neosozialen Logik für den Umbau des Sozialstaates instrumentalisiert werden. Die neuen Gärten stehen vielmehr für Teilhabe in einer pluralen und produktiven Stadt und für die Einsicht in die Grenzen des Konsums.Interkulturelle GärtenSo geht GastfreundschaftDie ersten interkulturellen Gärten sind bereits Mitte der neunziger Jahre in Göttingen auf Initiative von bosnischen Flüchtlingsfrauen entstanden. Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte bauen heute dort – und an mittlerweile fast 130 weiteren Orten in Deutschland – auf eigenen Parzellen Kräuter, Obst und Gemüse an. Beim Tausch von Rezepten und Saatgut, beim Abendessen aus dem selbstgebauten Lehmofen und beim Verschenken von Ernteüberschüssen geht es immer auch darum, Differenzen und Gemeinsamkeiten auszudrücken, zu deuten und wertzuschätzen.Weil über dem Garten ein Sinnkontext der Produktivität und Versorgung, der Zuwendung und des Lernens liegt, stößt das aus den Herkunftsländern mitgebrachte Wissen über Heilkräuteranbau, über Saatgutvermehrung oder über die Zubereitung von Wildgemüse hierzulande oft auf große Resonanz. Es verspricht Nachhaltigkeit. Neben dem konsequent ressourcen- statt defizitorientierten Ansatz bedeutet die Aneignung des öffentlichen Raumes durch Migranten eine nicht zu unterschätzende Praxis: so wird die Kultur der Gastfreundschaft nicht nur gestiftet, sondern auch gelebt.Das Spiel kultureller Repräsentation in den Gärten gibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihre eigenen kulturellen Besitztümer zu bergen und sie zu zeigen. Dieser Prozess geht einher mit einer reflexiven Verortung der eigenen Position in einer interkulturellen „Landkarte“. Es scheint, dass genau diese Dialektik des Wieder-(Er-)Findens und der Neuverortung des eigenen Kulturrepertoires eine Art lebenspraktischen Lernmechanismus in Gang setzt – gerade dann, wenn man dabei auf andere trifft.Dass dies die intelligentere Alternative zu den eindimensional argumentierenden Leitkulturvisionen darstellt, liegt auf der Hand. Wenn man sich zudem das soziale Miteinander in den Gärten vor Augen führt, dann beeindruckt es in seiner Eleganz. Dies- und jenseits vieler kultureller und sozialer Grenzen werden Dinge verhandelt und Prozesse gemeinsam organisiert. Etwa Fragen des Raum-Zeit-Managements oder auch, wenn Konflikte geklärt werden müssen.Prinzessinnengärten Das VorbildVon der New York Times über CNN und NZZ: Kaum ein großes Medium hat noch nicht über die Prinzessinnengärten in Berlin Kreuzberg berichtet. Die beiden Gründer Robert Shaw und Marco Clausen empfangen fast täglich Dachgartenaktivisten aus aller Welt – also Urban Gardeners aus Barcelona, Bürgermeister aus Chicago und New Orleans oder nordafrikanische Forschungsgruppen zu Megacities. Was macht die Anziehungskraft dieser 2009 auf einer vermüllten Brache entstandenen „sozialen, ökologischen, mobilen und partizipativen Landwirtschaft in der Stadt“ aus?Es ist genau dieser Mix. Dort ist es gelungen, mit großer Unterstützung aus der Nachbarschaft, neue Bilder von Urbanität zu produzieren und zugleich – ähnlich wie die Interkulturellen Gärten in Göttingen – Menschen zu inspirieren, eigene Projekte aufzubauen. Der Prinzessinnengarten zeigt – ebenso wie das Allmende-Kontor und ähnliche Gemeinschaftsgärten: Eine andere Stadt geht. Sie ist produktiv, partizipativ, grün, aufregend. Und sie sieht gut aus.Stadtbienen Tiere wie du und ichBienenvölker, Arbeitsbienen, Drohnen und bisweilen sogar eine richtige Königin sind Stadtbewohner der anderen Art. In vielen urbanen Gärten kann man jene komplexen Formen studieren, in denen die Tiere miteinander kommunizieren. Die neuen Stadtimker lassen sich von dieser Schwarmintelligenz jedenfalls sehr faszinieren und werben sie regelrecht an.Sie bauen ihnen wilde Ecken, Bienenweiden und stellen Nektar- und Pollenpflanzen zur Verfügung. Allzulange müssen sie meist nicht bitten, denn Bienen fliegen schon seit längerer Zeit bevorzugt größere Städte an. Schlicht deshalb, weil ihnen dort eine größere Blütenvielfalt geboten wird, als in der ausgeräumten Flur mit ihren Monokulturen.Man hört sogar von Imkern, die die Bienenstöcke beispielsweise zur Lindenblüte eigens in die Großstadt bringen, um den Tieren Abwechslung in der Blütenauswahl zu gewähren. Ökologisches Gärtnern und wesensgemäße Bienenhaltung ergänzen sich also ideal. Hier entstehen Konturen eines kooperativen Mensch-Natur-Verhältnisses. Auch wenn dabei die Menschen nicht immer die bestimmenden Akteure sind.Die Münchner AgropolisGrüne Räume in grauem Beton In beeindruckend kurzer Zeit haben die neuen urbanen Gärten die Urbanitätsvorstellungen von Stadtplanern und Architekten produktiv und bislang sogar ziemlich erfolgreich beunruhigt. So gewann in München das Planungskonzept Agropolis für die „Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag“ den Wettbewerb Urban Scale.Eine zukunftsfähige Nahrungsökonomie, die den Eigenanbau, die In-Wertsetzung der regionalen Ressourcen und den nachhaltigen Umgang mit dem Boden ins Zentrum der Stadtplanung stellt, soll das Ernten in die alltäglichen Lebensabläufe integrieren. Und das in einem Stadtviertel, in dem in den nächsten 30 Jahren 20.000 Menschen leben werden.Dabei soll eine Trambahn, die Viktualientram, jeden Tag mit lokalen Nahrungsmitteln beladen zum Viktualienmarkt fahren und Gemüse aus Freiham anliefern. An der Zwischenstation Sendlinger Tor wird frisch geerntetes Obst und Gemüse direkt aus der Trambahn verkauft.Landleben oder Urbanität? Der Unterschied interessiert eigentlich niemanden mehr. Die Agropolis-Planer wollen die Stadt gar nicht loswerden, sie wollen sie „intensivieren und bereichern“.Wieder entstehen sollen dabei grüne Räume, allesamt Dinge, die in den letzten 50 Jahren aus dem Städtebau verschwanden: zum Beispiel kalte Keller, in denen man Lebensmittel lagern kann. Die Lagerung und Weiterverarbeitung des Stadtteilgemüses in Gemeinschaftsräumen könnte eine ähnliche Funktion haben wie früher der Dorfbrunnen. Grüne Räume sind soziale Anlaufpunkte, aber auch Informationsbörsen zum Austausch von Wissen.Noch vor zehn Jahren wären Architekten und Stadtplaner für solche Vorschläge ausgelacht worden. Mehr noch: Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich eine solche Agropolis auszudenken. Niemand wäre es eingefallen, eine Stadt zu planen, die sich (auch) über die Grundlagen ihrer Existenz definiert und die ökologische Kosten nicht externalisiert, sondern sie weitestgehend minimieren will.Übergangszeit in stillgelegten Fabriken„Allmende“ ist das neue BuzzwordUmgenutzte Flughäfen und Industriebrachen künden von einer Übergangszeit. Und die kann ein hochgradig produktiver Zustand sein. Stillgelegte Fabriken aus rotem Backstein, Graffiti an Hauswänden, die noch aus der industriellen Epoche stammen – und mittendrin in diesem Niemandsland eine Mini-Landwirtschaft – das ist oftmals mehr ein Statement als eine echte Versorgungsalternative. So mancher urbane Garten schafft in zuwachsenden Industriekulissen eine geradezu traumartige Ästhetik, in der sich das zeitliche Ineinanderfallen verschiedener Epochen – wie der Industriemoderne und der Moderne – und die sich ankündigenden multiplen Krisen beobachtet werden können.Überall entstehen Bilder von einer Gesellschaft neuen Typs. Industriemoderne, das hieß in den letzten Jahrzehnten vor allem eine Optimierung der Naturbeherrschung, die Neustrukturierung der internationalen Arbeitsteilung und die Intensivierung des industriellen Massenkonsums auf globaler Ebene. Modernisierungsdiagnostiker belegten das „postindustrielle“ Geschehen mit Begriffen wie „Dienstleistungsgesellschaft“, „Wissensgesellschaft“ oder „Freizeitgesellschaft“. Antworten auf die Frage, woher das Essen kommt, gaben sie aber leider nicht.Wie selbstverständlich wurde vorausgesetzt, dass die Produktion der lebensnotwendigen Güter weiterhin delegiert werden kann: an die 1-Euro-Jobberinnen in den Sweatshops der „Sonderproduktionszonen“ und an ausgebeutete Landarbeiter. Voraussetzung dafür ist die oftmals illegale Landnahme in den Ländern des Südens und die Ausplünderung der Natur. Beide galten seit der Kolonisierung als unerschöpfliche Ressource und „natürliche Grundlage“ der westlichen Industriegesellschaften.Indigene Regierungen in Lateinamerika reklamieren nun aber die seltenen Erden für ihren eigenen Wohlstand, und immer mehr Konsumenten erklären sich mit den spätkolonialen Raubzügen nicht mehr einverstanden.Zeit also für einen Reality Check. Aus der Postwachstumsperspektive rücken die Gemeingüter wieder ins Blickfeld. Dabei erleben längst vergessen geglaubte Begriffe wie „Allmende“ eine Renaissance und werden auf lokaler Ebene wertgeschätzt und in Szene gesetzt. „Collaborative Consumption“ heißt das neue Buzzword und verweist auf die Kulturtechniken einer möglichen Zukunft: weniger kaufen, dafür mehr gemeinschaftlich nutzen, teilen, schenken, leihen, reparieren. Alles wiederentdeckte Praxen, die nicht nur das Handwerk wieder beleben, weil sie den Ressourcenverbrauch verringern, sondern auch als Grundlage einer zeitgemäßen Kultur des Miteinanders taugen.NahraumMitmachen„Wir wollen nicht mehr bloß konsumieren oder nehmen, was man uns vorsetzt. Wir wollen etwas ändern, ganz einfach, weil wir es können, weil wir es so wollen. Denn wenn nicht wir – wer dann? Heute ist es soweit“, schreiben die Initiatoren der soeben gegründeten Münchener Genossenschaft Kartoffelkombinat in ihrem ersten Infobrief. Die jungen Genossenschafter – die Mehrheit von ihnen kommt aus der Medienbranche – wollen nicht nur Foodmiles reduzieren und saisonale, regionale und lokale Produktqualitäten aus ihrer Gemüsekiste genießen, sondern gleich die Trennung zwischen Erzeugern und Verbrauchern sprengen: um sich verbunden zu fühlen. Mit Kleinbauern, mit krumm gewachsenen Gurken und mit der Landschaft, die sie umgibt. Biokiste heißt bei ihnen nicht, „heute mag ich keinen Kohl essen“. Sie steht vielmehr dafür, sich auf kärgere Winterernten einzulassen und auch mal Gemüse zu essen, das der Handel nicht zugelassen hätte, sondern das sonst einfach untergepflügt werden würde. Und es heißt auch: Einfach mal auf dem Hof mitarbeiten.