Fluchend erwacht Angela (Ilinca Manolache), als der iPhone-Wecker um 5.30 Uhr klingelt. Sie wirft sich ein glitzerndes Pailettenkleid über, das sie pragmatisch mit Springerstiefeln kombiniert. Auf dem Nachttisch liegt ein Roman von Marcel Proust, doch verlorene Zeit ist für die auf Projektbasis angestellte Produktionsassistentin verlorenes Geld.
Bevor Angela in ihr Auto steigt, nimmt sie noch schnell ein obszönes Tiktok-Video für ihre Follower auf. Darin mimt sie – mit Grafik-Filter – eine Version des Influencers Andrew Tate, der vor Kurzem in Rumänien wegen Verdachts auf Menschenhandel und Vergewaltigung verhaftet wurde. Übergangslos wechselt das körnige Schwarz-Weiß dieser Auftaktsequenz zu einem nostalgisch wirkenden Farbfilm. Eine weit
Eine weitere Frau (Dorina Lazar) steigt in ihr Auto, um zur Arbeit zu fahren, auch sie heißt Angela und muss sich den Zumutungen des Alltags stellen. Während die erste sich mit den Exzessen der zeitgenössischen „Gig Economy“ herumschlägt, fährt die zweite Angela Taxi im sozialistischen Rumänien der 1980er Jahre.Absurde SituationskomikRadu Jude, der 2021 auf der Berlinale für Bad Luck Bangin or Loony Porn den Goldenen Bären erhielt, verschränkt in seinem neuen Film die Lebenswelten dieser beiden Frauen und bringt sie durch assoziative Montage in eine spielerische Konversation. Dabei treten auf bissige Weise vor allem Gemeinsamkeiten zutage: Sie machen multiple Ausbeutungsverhältnisse, nicht nur in Rumänien, erfahrbar.Die Angela der Gegenwart rast in ihrem Wagen durch den dichten, aggressiven Verkehr Bukarests, um verunfallte Angestellte für ein sogenanntes „Work Safety Video“ ihres vormaligen Arbeitgebers zu casten. So müssen die Bewerber darauf hoffen, von ausgerechnet der Instanz als mahnende Protagonisten erwählt zu werden, die durch Unterlassung von guten Arbeitsbedingungen Verantwortung für ihre schweren körperlichen Schädigungen trägt.Grimmige Ausgangsszenarien wie diese überführt Radu Jude durch die dynamische Präsenz seiner Heldin in ein Feuerwerk absurder Situationskomik. Ein Anwärter auf die Hauptrolle im Videoclip ist gerade unerlaubt beim Angeln, also macht Angela das Interview kurzerhand über Zoom mit einem künstlichen Hintergrund, der ungewollte visuelle Mutationen erzeugt. „Sie haben gute Chancen, Sie sind die einzige Frau“, lautet ihr lakonischer Kommentar bei einer anderen Bewerberin. Doch deren im Rollstuhl sitzende Mutter ist eine Roma – und so prallt die Diversity-Strategie des auftraggebenden österreichischen Unternehmens auf den noch immer omnipräsenten Alltagsrassismus.Angelas Arbeitstage dehnen sich auf sechzehn Stunden, sodass sie ihr Privatleben en passant im Auto führen muss. Da das Grab ihrer Großmutter umgebettet werden soll, führt sie ihr Weg zu einer Niederlassung der Firma Deloitte, die ihre Eigentumsansprüche verletzt sieht, weil sich angeblich Teile des Friedhofs illegal ausgedehnt haben. Postsozialistische Korruption trifft auf neoliberale Privatisierung des öffentlichen Raums. „Bukarest, Stadt der Märtyrer“, ist auf einem Straßenschild zu lesen. Was einst den Opfern der Revolution von 1989 galt, gewinnt in der Gegenwart eine bedrückende Mehrdeutigkeit durch den sichtbaren Zusammenbruch basaler städtischer Infrastruktur.Immer wieder schneidet Radu Jude zur Taxi fahrenden Angela anno 1981. Die Passagen sind einem Spielfilm von Lucian Bratu entnommen, der für seine Zeit ungewöhnliche feministische und subversive Momente enthielt. Die Drehbuchautorin Ewa Sîrbu erschuf darin eine Protagonistin, die sich mit Selbstbewusstsein in einem „Männerberuf“ behauptet, auch wenn sie sich im Privaten nicht aus der Beziehung zum trinkenden Ehemann befreien kann.Über weite Strecken wirkt Radu Judes filmisches Amalgam wie ein avantgardistisches Roadmovie, das zugleich die Freiheitsversprechen des Genres hinterfragt. Autofahren ist für beide Frauen in erster Linie Broterwerb. Das damit verbundene Emanzipationsversprechen hat sich für die Angela der Gegenwart jedoch in eine permanente Entgrenzung verwandelt, die sie in neue Abhängigkeiten treibt. Endloses Fahren und der Kampf darum, am Steuer nicht einzuschlafen, vermitteln ein prägnantes Bild von Arbeitsverhältnissen in Zeiten des Plattformkapitalismus. „Zahlt Uber in deine Rentenkasse ein?“, wird Angela von einer rüstigen Bewerberin gefragt. Hier gelingt Radu Jude ein Clou: Der Besuch bei der älteren Dame, deren Sohn durch einen Arbeitsunfall gelähmt ist, wird zur innerfilmischen Begegnung der beiden Angelas. Dorina Lazar, noch immer eine renommierte Schauspielerin am rumänischen Theater, willigte ein, ihre Figur aus dem Film von 1981 gemeinsam mit Co-Darsteller László Miske weiterzuentwickeln.Durch einen Kurzauftritt der Trashfilm-Legende Uwe Boll geraten weitere Ebenen von Film und Realität in eine komische Spannung: Als Angela ein paar Objektive von einem Set abholen soll, trifft sie auf den „durchgeknallten Deutschen“ mit Doktortitel, der in Rumänien zu niedrigen Produktionskosten Greenscreen-Monsterfilme dreht. In gewisser Weise ähnelt jenes Verfahren der digitalen Postproduktion den Bildbearbeitungstechniken neuer Medien wie Tiktok. Mit relativ einfachen Mitteln kann aufgezeichnete Wirklichkeit so zu unendlich variierbarer Fiktion werden, was nicht ohne gesellschaftliche Konsequenzen bleibt, die Radu Jude im letzten Teil des Films satirisch auf den Punkt bringt. Ebenso großartig gelingt der Auftritt von Nina Hoss in einer Nebenrolle als Doris Goethe, Marketingchefin des österreichischen Unternehmens, die zur Überwachung des Video-Drehs nach Bukarest anreist. Das Gespräch zwischen ihr und Angela, die sie mit dem Auto vom Flughafen abholen muss, kondensiert die neokolonial anmutenden Machtdynamiken zwischen Osteuropa und dem Westen in Dialogen, die, wie der ganze Film, auf brutale Weise wahr und zugleich zum Schreien komisch sind.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1