Palästina Ein provisorischer Hafen solle helfen, mehr Versorgungsgüter in den Gazastreifen zu bringen – das haben die USA versprochen. Vor Ort wittern mittlerweile viele Menschen, dass der Bau vielmehr etwas mit Bodenschätzen vor der Küste zu tun hat
Der schwimmende Hafen im Mittelmeer musste schon mehrmals des Wetters wegen an Land gezogen werden
Foto: US Army/Zuma Press/Imago Images
Für wenige Tage stand 2015 eine Tür am Hafen von Gaza, nur ein weißes Portal, durch welches das blaue Meer wie gerahmt wirkte. „Gaza-Terminal“ stand über der Tür, eine poetische Seele hatte schon mal den Rahmen einer Sicherheitsschleuse aufgestellt – eine Erinnerung, dass spätestens nach dem Krieg 2014 der Wiederaufbau eines Flughafens fällig gewesen wäre, ein Symbol für Versprechungen – nicht nur seitens Israels –, die ins Leere gingen.
Hoffnung auf mehr Anbindung Gazas an die Welt gab 2016 ein Konzept des damals für Infrastruktur zuständigen heutigen israelischen Außenministers Israel Katz: der Bau einer künstlichen Insel vor Gazas Küste, die Schiffs- und Luftverkehr ermöglicht hä
ht hätte, unter der Bedingung, dass Sicherheit gewährleistet sei. Ein Versprechen also, das in den Gewaltspiralen zwischen Kontrollzwang und Freiheitsdrang auf der Strecke bleiben musste. Dabei wurde 1995 das Recht auf Schiffshafen und Airport verankert im Abkommen von Taba. Letzterer war 1998 verwirklicht worden, südöstlich von Rafah. US-Präsident Bill Clinton sprach bei der Eröffnung von einer Zukunft, in der Palästinenser zu den entlegensten Orten der Welt reisen können und „an diesem schönen Ort am Mittelmeer“ Tourismus wie Handel Fuß fassen werden.Wenige Jahre diente der Flughafen für Transport und Personenverkehr. Im Zuge der zweiten Intifada wurde er durch israelische Angriffe unbenutzbar. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation forderte Israel vergeblich zum Wiederaufbau auf. 2014 wurde er gänzlich zerstört, die 50-tägige Militäroperation „Protective Edge“ überdauerte nur das entkernte Hauptgebäude, ein Säulenbau im Niemandsland.Ein Essen pro Tag für die HälfteUnweit der Flughafenruine ist im Mai 2024 Deeb E., einer von 1,2 Millionen palästinensischen Binnenflüchtlingen, mit seiner Frau und drei kleinen Söhnen untergekommen. Über seinen gegenwärtigen Alltag – das Anstellen für etwas Wasser, nach dessen Erhalt man sich sofort erneut anstellen muss, den Kampf um Nahrung und Feuerholz, den beißenden Rauch, wenn man Plastik verbrennt, um zu kochen, das Husten und Schreien des Jüngsten in der Nacht, das sogar die nahen Detonationen übertönt – will er eigentlich gar nicht sprechen. „Einen Moment nicht über den Krieg reden!“, bittet Deeb E., während er einen Zug billigen Zigarettenersatz inhaliert und das Videotelefonie-Fenster, über das wir kommunizieren, vom Dunst beschlägt.Damit mehr Hilfsgüter nach Gaza gelangen können, hatten die USA am 8. März den Bau eines temporären Hafens verkündet. Bereits Mitte Mai war ein Teilbetrieb möglich: In Zypern wird Fracht auf mittelgroße Schiffe verladen, kleinere bringen sie zur Hafenplattform, von wo aus Lastwagen sie über eine flexible Landungsbrücke an Land fahren. Bei voller Nutzung verspräche das eine Mahlzeit pro Tag für knapp die Hälfte der Bevölkerung. „Wenn die Lkw auch da ankommen, wo sie sollen!“, ruft Deeb E., seine Erschöpfung schlägt in Ärger um: „Dieser Hafen soll helfen?“ Warum nicht lieber Schiffe schicken, die dieselbe Funktionsweise bieten und überall eingesetzt werden können? „Die Öffnung der Grenzen für die wartenden Versorgungstrucks wäre hilfreicher!“Tatsächlich verfügt die US Navy laut der US-Fachzeitschrift The Warzone über Schiffe, die speziell für Warentransporte in seichte Gewässer, wie vor Gazas Küste, entwickelt wurden, der Bau eines 230 Millionen teuren Piers sei unnötig. „Ein Hafen für Gaza“ macht sich im US-Wahlkampf aber wohl besser. Deeb E. vermutet noch andere Beweggründe: „Der Hafen liegt in der Linie unseres Gasfeldes!“ Kein Wunder sei, dass Israel gerade dieses Projekt billige. Das sehen viele in Gaza so, was der Meinungsmache hamasnaher Medien geschuldet sein mag, derzufolge der „Occupation Port“ teilweise aus Trümmerresten von Häusern gebaut worden sei, unter denen noch verschüttete Leichen gelegen hätten.Aber auch in der US-Presse wird der Hafenbau als relevant für die Nachkriegszeit diskutiert. Präsident Biden hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu erklärt, der Hafen dürfe später kein „bargaining chip“ sein, kein Druckmittel bei Verhandlungen. Auch gälte für die USA „no boots on the ground“ in Gaza – gilt das auch für den Meeresgrund und seine Bodenschätze?Erdgasfeld Gaza Marine vor Gazas KüsteDas bisher unberührte Erdgasfeld Gaza Marine liegt etwa 35 Kilometer vor Gazas Küste, in 650 Metern Tiefe, und ist mit 24 Milliarden Kubikmetern verhältnismäßig klein, könnte aber später den Energiebedarf aller palästinensischen Gebiete decken. Im Alleingang ist es nicht zu erschließen. Auch andere Offshore-Gasvorkommen im sogenannten Levantinischen Becken, vor Zyperns Küste etwa, haben einen Reigen von Interessenten im Ringen um Synergie und Konkurrenz auf den Plan gerufen. Darin liegt eine Chance: Dass die globale Energienot infolge des Russland-Ukraine-Kriegs Kontrahenten zu Partnern macht.Tatsächlich hatten sich im Fall von Gaza Marine im Juli 2023 Israel, Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde verständigt, sogar die Hamas hatte sich gegenüber dieser Allianz zur Erschließung offen gezeigt – unter der Voraussetzung, selbst etwas vom Kuchen abzubekommen. Ende September 2023 wurden die Weichen jedoch anders gestellt, als Israel, Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde Lizenzverträge abschlossen – ohne die Hamas.Jetzt liegt das Projekt freilich auf Eis. In egal welchem Nachkriegs-Szenario dürfte das Gas jedoch zentrales Thema werden. Die Skepsis der Bevölkerung, die seit Jahren darunter leidet, dass Hamas und Fatah sich nicht über das Bezahlen der Stromrechnungen aus Israel einigen, ist nachvollziehbar. „Unser Gas, unser Recht!“, war 2023 auf Plakaten im Hafenbereich zu lesen.„Das spielt alles keine Rolle mehr“, sagt Deeb E., der seine Zelte in Rafah abbricht, weil es wegen der israelischen Bodenoffensive, der Luftangriffe, der geschlossenen Grenzen und dem Mangel an ankommenden Hilfsgütern zur Falle geworden ist. „Überall ist es besser als in Rafah!“ Für seine Familie ist es der sechste Ortswechsel seit Kriegsbeginn. „Vor dem Beginn der Bodenoffensive hatte man beim Schlangestehen um Wasser noch Zeit, an die Zukunft zu denken“, auch das Gasfeld sei noch Thema gewesen. Jetzt gehe es nur noch darum, wohin man als nächstes fliehen könne. „Wenn du direkt neben dem Tod wohnst, ändert das alles“, sagte Deeb E., „er liegt in der Luft!“ Man könne den Tod riechen.Eine letzte Whatsapp-Nachricht, bevor der Kontakt abbricht, sendet er von unterwegs: Viele sähen den Hafen jetzt nicht mehr als „Occupation Port“, sondern richteten ihre verzweifelten Blicke auf das Meer: „Da kommen und gehen Schiffe! Da ist ein Ausweg!“Wellen des KriegesAm 28. Mai brach der provisorische Hafen der USA entzwei. Kein Terroranschlag der Hamas, kein Kollateralschaden, auch nicht an israelischem Kontrollzwang scheiterte das Projekt, sondern schlicht und ergreifend am Wetter. Zunächst brach der Landungssteg, dann rissen sich Boote los, die ihn in Position hätten halten sollen. Zwei strandeten im israelischen Ashdod, zwei in Gaza. Die Besatzung wurde evakuiert. Die Frage nach der Tauglichkeit des Provisoriums als Umschlagplatz für Besatzer oder gar als Bohrinsel ist damit beantwortet. Immerhin 800 Tonnen an Hilfsgütern hätten es laut einem US-Militärvertreter über den Pier geschafft, 307 davon seien an weitere Punkte in Gaza verteilt worden.Das Gaza aus Bill Clintons Zukunftsvision von 1998 existiert nicht mehr. Joe Bidens Waffenstillstandsplan stellt in Phase drei immerhin den Wiederaufbau in Aussicht, jedenfalls der Küstenregion. Was den Menschen in Gaza jetzt bleibt, ist die Sicht aufs Meer und die Hoffnung darauf, dass der seit dem 8. Juni wieder instand gesetzte temporäre Hafen nun länger durchhalten möge. Am 13. Juni jedoch ging er vorsichtshalber schon wieder in Ashdods sichererem Hafen vor Anker, um für einige Tage darauf zu warten, dass sich die Wellen geglättet haben – die des Meeres und die des Krieges. Die Angriffe auf gelagerte Hilfsgüter und Lastwagen, ob durch Israels Luftwaffe, die Hamas oder hungernde Plünderer haben überhand genommen. Kaum etwas erreicht noch die Zivilbevölkerung.Gazas Meer hätte, langfristig gesehen, viel zu bieten. Früher konnte man es betrachten, während man auf Steinbänken saß, die Namen ferner Städte trugen, am selben Meer gelegen: Alexandria, Haifa, Thessaloniki … Etwas vor Augen zu haben, was unerreichbar ist, etwas zu besitzen, was man nicht nutzen kann, macht aus schöner Aussicht etwas, das langfristig keine Perspektive bietet, eine Tür ins Nichts.Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.