Keine Aufarbeitung linker Corona-Politik: Sie sprachen von „Anti-Impf-Terroristen“
Pandemie In der Corona-Zeit haben große Teile der gesellschaftlichen Linken und der Linkspartei die harte Linie der Regierung unterstützt. Jetzt scheuen sie eine Aufarbeitung der Fehler. Das befördert ihren Fall in die Bedeutungslosigkeit
Kritische Linke hätten auch die verteidigen müssen, deren Lebenschancen durch fragwürdige Maßnahmen untergraben wurden
Foto: Nikita Teryoshin
Sara M. steht auf ihrem Reiterhof in Brandenburg. Sie muss ihn seit drei Jahren alleine führen. Ihr Mann starb wenige Stunden nach der Coronaimpfung. Bis auf eine alte Beckenfraktur war der passionierte Harley-Davidson-Fahrer gesund gewesen. Direkt nach der Impfung, so Frau M., setzten Kreislaufprobleme ein, zu Hause angekommen, sei er „kollabiert“. Die Rettungskräfte habe sie darauf hingewiesen, dass der Zusammenbruch unmittelbar auf die Impfung gefolgt sei. „Das hat niemanden interessiert“, so Frau M. Eine Obduktion fand nicht statt. Der Tod von Herrn M. ist nicht als Impffolge anerkannt.
Der Fall ist kein Einzelfall. Wir haben nicht nach ihm gesucht, er begegnete uns im privaten Umkreis – wie auch andere Fälle von schweren Nebenwirkungen. Betr
ngen. Betroffene müssen um die Anerkennung mit den Behörden kämpfen, mit ungewissem Ausgang. Das Gesundheitsministerium und das Paul-Ehrlich-Institut tun wenig, um die Impfschäden systematisch zu erfassen, für Ärzte ist die Meldung von Verdachtsfällen aufwendig und damit teuer. Die Dunkelziffer ist unbekannt.Auch in anderen Bereichen ist das wahre Ausmaß der Schäden schwer zu ermessen, der politische Wille zur Aufklärung gering, die Frage steht im Raum, ob die Maßnahmen nicht mehr Schaden angerichtet haben als das Virus selbst. Bekannt ist aber zum Beispiel, dass sich die Zahl internetsüchtiger Jugendlicher in Deutschland in der Coronazeit auf 680.000 verdoppelt hat und die Anzahl psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen signifikant gestiegen ist. Gewarnt wurde vor solchen Konsequenzen damals durchaus, zum Beispiel von Kinder- und Jugendpsychologen. Doch das wurde, wie so vieles, im großen Gewitter des „Kriegs gegen das Virus“ (Emmanuel Macron) beiseite gewischt.Die „Zero-Covid“-KampagneDass sehenden Auges massive Schäden an Gesundheit und Gesellschaft in Kauf genommen wurden, ist umso problematischer, als der Nutzen gerade der einschneidendsten Maßnahmen heute als äußerst fragwürdig erscheint. Leonidas Spiliopoulos von der Max-Planck-Gesellschaft für Gesellschaftsforschung hat ein Team geleitet, das Daten zu Coronamaßnahmen und Infektionsgeschehen aus 132 Ländern auswertete. Sie sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Die gesellschaftlich und psychologisch am wenigsten schädlichen Maßnahmen waren zugleich die wirksamsten bei der Eindämmung der Pandemie. Laut Spiliopoulos wären umfangreiche Tests, Beschränkungen für Versammlungen von mehr als 100 Personen, Quarantänevorschriften für Reisende aus Hochrisikogebieten, Empfehlungen zur Heimarbeit sowie vorübergehende Schließungen einzelner Firmen und Schulen, die zu Hotspots wurden, ausreichend gewesen. Allgemeine Lockdowns und Schulschließungen, Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen und der Ausschluss von Ungeimpften waren demnach nicht zielführend – und verursachten zugleich die größten Schäden.Obwohl schon während der Pandemie fachlich gut begründete Einwände gegen Maßnahmen wie Schulschließungen und 2G vorgebracht wurden, stellten sich große Teile der gesellschaftlichen Linken und der Partei Die Linke hinter die Maßnahmen. Das zentrale Argument war die Solidarität: Um besonders gefährdete Gruppen zu schützen, sei es geboten, auf Freiheitsrechte zu verzichten. Einige sahen gar bereits eine emanzipatorische Zeitenwende gekommen: Endlich schien der Regierung die Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft wichtiger als die Durchsetzung von Kapitalinteressen.Doch dies sollte sich lediglich als frommer Wunsch erweisen. Durch die einseitige Fixierung auf das Virus wurden Abwägungsprozesse zwischen Nutzen und Schäden der Maßnahmen als „unsolidarisch“ oder „rechts“ denunziert und Behauptungen der Regierung über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen trotz erheblicher wissenschaftlicher Zweifel unkritisch übernommen. Ob Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen in schwere psychische Krisen abgleiten würden, alte Menschen einsam starben, Millionen von Menschen, besonders im Globalen Süden, aufgrund der Maßnahmen im Norden ihre Existenzgrundlage verloren, Impfunwillige zu Aussätzigen erklärt oder die Fundamente der Demokratie erodiert wurden: All das war vielen Linken kaum mehr als ein verschmerzbarer Kollateralschaden.Einige Linke wollten sogar noch radikaler vorgehen und initiierten im Januar 2021 die Kampagne „Zero Covid“. Fabriken, Büros und Schulen sollten europaweit so lange geschlossen werden, bis es keine Infektionen mehr gäbe. Doch „Zero Covid“ beruhte auf einer puren Fiktion: zum einen, dass sich ein hoch infektiöses Atemwegsvirus in einer globalisierten Zivilisation mit acht Milliarden Menschen komplett ausrotten lässt; zum anderen, dass man das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben zum Stillstand bringen könne. Jeder Versuch, diese aussichtlose Strategie in die Tat umzusetzen, wäre zudem nur um den Preis eines extrem repressiven Überwachungsstaates möglich gewesen. Trotzdem wurde der Aufruf von einem breiten Spektrum, von Katja Kipping über Rahel Jaeggi bis Luisa Neubauer, unterstützt. Im Effekt verstellte der Zero-Covid-Appell den Blick darauf, dass die Lockdown-Politik in der realen Welt (und nicht im sozialistischen Zauberland, das der Appell skizzierte) eben jene Machtverhältnisse, die die Unterzeichner überwinden wollten, noch verfestigte. Denn de facto bedeutete die Lockdown-Politik einen Klassenkampf von oben. Sie wurde von Funktionseliten getragen, die von den Einschränkungen der Lockdowns deutlich weniger betroffen waren als die breite Bevölkerung, und bescherte den Reichen „das finanziell erfolgreichste Jahr in der Menschheitsgeschichte“ (die Zeit).„Pandemie der Ungeimpften“Gleichzeitig fielen laut Schätzungen der Weltbank 2020 weltweit 111 bis 149 Millionen Menschen in absolute Armut und stieg laut den Vereinten Nationen die Zahl vom Hungertod bedrohter Menschen um 121 Millionen. Dies war nicht in erster Linie, wie immer wieder behauptet wurde, die Folge der Pandemie selbst, sondern vor allem von fehlgeleiteten Maßnahmen. All dies bedeutet aus unserer Sicht nicht, dass eine Laissez-faire-Politik richtig gewesen wäre. Aber statt Angstmache wäre eine Politik mit Augenmaß am Platz gewesen. Ein Blick nach Schweden zeigt, dass dies möglich war, ohne katastrophale Überforderungen des Gesundheitssystems nach sich zu ziehen. Die deutsche Lockdown-Politik hat hingegen Angst, Armut, Arbeitslosigkeit, Isolation und Stress erzeugt, Bildungschancen vernichtet und damit das Risiko von Erkrankungen erhöht und die Lebenserwartung von Betroffenen reduziert. Eine herrschaftskritische Linke hätte neben Corona-Risikogruppen gleichrangig diejenigen verteidigen müssen, deren Gesundheit und Lebenschancen durch fragwürdige Maßnahmen untergraben wurden.Konnte man zu Beginn der Pandemie die Befürwortung drastischer Maßnahmen noch zum Teil nachvollziehen, da die tatsächliche Gefahr durch das Virus weitgehend unbekannt war, waren insbesondere die 2G-Regelungen und das Projekt einer allgemeinen Impfpflicht angesichts der Datenlage im Sommer und Herbst 2021 nicht zu rechtfertigen. Dass die Impfungen keinen relevanten Fremdschutz boten, wurde rasch deutlich – und damit entfiel das entscheidende Argument für einen direkten oder indirekten Impfzwang. Auch führende Virologen widersprachen der Behauptung, es gebe eine „Pandemie der Ungeimpften“. Trotzdem unterstützten viele Linke die 2G-Maßnahmen, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung aus dem gesellschaftlichen Leben ausschlossen. Nicht wenige Linke unterstützten sogar einen gesetzlichen Zwang zur Impfung. Bedenken, dass eine neuartige und kaum getestete Impftechnologie unvorhersehbare Nebenwirkungen haben könnte, wurden beiseitegeschoben. Die sonst unter Linken übliche Skepsis gegenüber Pharmakonzernen war über Nacht Geschichte. Auch gegen die Diffamierungen von Ungeimpften war aus linken Kreisen kaum Widerspruch zu hören. Wo etwa war der Aufschrei, als Jan Böhmermann ungeimpfte Kinder mit Ratten verglich? Wo war der Sturm der Entrüstung, als Meinungsmacher Ungeimpfte als „faschistische Bagage“ (Volksverpetzer), „Anti-Impf-Terroristen“ (Robert Misik) und „Staatsfeinde“ (Taz) bezeichneten?In großen Teilen der Bevölkerung hat all dies zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen geführt und in Teilen des links-grünen Milieus zu massiven Entfremdungseffekten. Laut einer Studie der Universität Basel waren ein Großteil der Maßnahmenkritiker Anhänger der Grünen und Linken – deutlich mehr als AfD-Anhänger. Dass sie von ihren eigenen Weggefährten als „rechts“ denunziert wurden, hat den Entfremdungsprozess erheblich beschleunigt. Aufgrund des Versagens der Linken in der Coronakrise konnte sich die AfD als einzige Opposition inszenieren. Der Abstieg und schließlich die Spaltung der Partei Die Linke und der weitere Aufstieg der AfD haben hier eine ihrer Ursachen. Durch die unverhältnismäßigen Grundrechtseinschränkungen der Coronajahre gewannen zudem rechts-libertäre Erzählungen Auftrieb, die hinter jeglicher Art von Freiheitseinschränkungen, sofort ein weiteres totalitäres Regime wittern – Stichwort „Klimalockdown“. In der breiten Bevölkerung wurde das linksgrüne Spektrum massiv diskreditiert, ein Politikwechsel für eine ernsthafte sozial-ökologische Transformation scheint in weite Ferne gerückt. Die Linke konzentriert sich nun überwiegend auf die Abwehr der AfD, zu deren Aufstieg sie selbst beigetragen hat.Placeholder authorbio-1
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