Hofkollektiv: Die Welt zu Gast in Bienenwerder

Landraub Vom Landgrabbing zur solidarischen Landwirtschaft: Warum Bäuerinnen aus dem globalen Süden ein Hofkollektiv in Brandenburg besuchen, bei der Kartoffelernte helfen und erstmal argwöhnisch fragen: „Ist das hier Kommunismus?“
Ausgabe 25/2024
Oidy, Laston und Vladimir Chilinya (v. l. n. r.) aus Sambia in Märkisch-Oderland
Oidy, Laston und Vladimir Chilinya (v. l. n. r.) aus Sambia in Märkisch-Oderland

Fotos: Lena Giovanazzi

Schwalben sausen mit schrillen kleinen Schreien über ein gutes Dutzend Köpfe hinweg. Sie verschwinden in hundertjährigem Backsteingemäuer. Davor blüht der Holunder, in den mächtigen alten Linden summen Bienen. Der leichte Sommerwind verteilt den Blütenduft und mischt ab und an einen Hauch Ziegenmist darunter.

Das Hofkollektiv Bienenwerder liegt 50 Kilometer östlich von Berlin in Brandenburg, idyllisch und abgeschieden zwischen Wiesen und endlosen Wäldern. Und doch hat an diesem Sonntag im Juni die halbe Welt hierher gefunden. Die Besucherinnen und Besucher, die im Kreis auf den sonnenwarmen Holzbänken in der Mitte des Vierkanthofes sitzen, stammen aus Äthiopien, Brasilien, Burkina Faso, Kenia, Kirgisistan, Kolumbien, Malawi, Nepal, Peru und Sambia. Sie lauschen gebannt Paula Gioias Worten: Sie erzählt den Aktivist:innen und Bäuer:innen, wie das Hofkollektiv hier entstanden ist und wie es funktioniert.

„Wir haben alles selbst gemacht“, sagt die Imkerin* und Bäuerin*, „wir haben den Hof renoviert und teilweise neu gebaut“. Ein befreundeter Maurer habe ihnen beigebracht, wie das geht. „Das hat natürlich sehr lange gedauert, aber wir haben keine Kredite bei Banken aufgenommen, weil wir nicht von ihnen abhängig sein wollen.“

Vor 20 Jahren entdeckte die Gruppe, die damals zum Teil als Gemeinschaft in Berlin lebte, den Hof bei einer Versteigerung – das Haupthaus ausgebrannt, das Nebengebäude und die Brennerei ebenfalls stark beschädigt. Äcker und Wiesen gehörten nicht dazu, aber Scheune und Ställe waren intakt, also konnten dort schon Pferde einziehen.

„Wir wollen nicht abhängig von Banken sein“, sagt Paula Gioia, im orangen T-Shirt

Heute leben und arbeiten rund 15 Leute auf dem Hof, zu dem Gemüsegärten, Wälder und Grünland gehören. Es gibt Pferde, Ziegen, Enten, Hühner und Bienen, für die Paula Gioia zuständig ist. „Aber einfach war das alles nicht“, sagt sie, die auch Mitglied im Koordinationskommitee der internationalen Kleinbäuer:innenbewegung La Via Campesina und bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist.

In den ostdeutschen Bundesländern gehören laut einer Untersuchung des bundeseigenen Thünen-Instituts von 2017 mehr als ein Drittel der 835 untersuchten Agrarfirmen ortsfremden Investoren. Auch solchen, die gar nichts mit Landwirtschaft zu tun haben. So zum Beispiel den Eigentümern des Discounters Aldi Nord, dem Pharmaunternehmen Merckle oder dem Versicherungskonzern Munich Re. Der Ausverkauf von Ackerland an finanzkräftige Agrarinvestoren hat dafür gesorgt, dass sich zwischen 2007 und 2019 die Ackerpreise verfünffacht haben, die Pacht hat sich verdreifacht. Erst vergangenes Jahr schnappte sich eine Beteiligungsfirma des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen einen Agrarbetrieb mit 2.500 Hektar im südlichen Brandenburg. Das bedeutet, dass profitorientierte Großkonzerne zunehmend über Landwirtschaft und Ernährung bestimmen.

Mit Landgrabbing kennen sich die Gäste aus dem Globalen Süden nur zu gut aus. Zum Beispiel Oidy und Laston aus Mumbwa in Sambia: Sie stehen im Konflikt mit der Firma Amatheon Agri, dem größten Agrarinvestor auf dem afrikanischen Kontinent mit Hauptsitz in Berlin. Oidy und Laston hofften, mit dem Konzern unter anderem über ihren Zugang zu Wasser sprechen zu können. Doch der sagte einem Treffen nicht zu. Ihre Enttäuschung darüber sieht man ihnen an.

Aber als Paula Gioia vom Ackersyndikat erzählt, zu dem das Hofkollektiv gehört, huscht ein Lächeln über ihre Gesichter: Das Ackersyndikat stellt sicher, dass das Land immer für die Menschen und für die Lebensmittelproduktion erhalten bleibt und nicht privatisiert und Spekulationsobjekt werden kann. Landwirtschaft ist eben immer auch politisch. Aus diesem Grund sind die Aktivist:innen und Bäuer:innen überhaupt nach Deutschland gekommen. NGOs wie INKOTA, Misereor, Brot für die Welt, Welthungerhilfe und FIAN haben sie eingeladen, um auf einer zivilgesellschaftlichen Vorkonferenz Vorschläge zu erarbeiten, die in die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft organisierte Tagung „Politik gegen den Hunger“ einfließen sollen. Damit diejenigen, über die auf solchen Konferenzen geredet wird, selbst mitreden können. Denn wie das Hofkollektiv Bienenwerder haben die „Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf angemessene Nahrung“ gerade ihr 20-jähriges Jubiläum. Zu feiern gibt es da allerdings nichts: Laut Welternährungsorganisation FAO hungert ein Drittel der Weltbevölkerung oder hat nur unzureichenden Zugang zu Nahrung. Das sind eine Milliarde Menschen mehr als noch vor zehn Jahren.

Unkrautjäten und Käfersammeln auf dem Kartoffelacker – ohne Pestizide bedeutet das mühsame körperliche Arbeit

Der Besuch auf dem Bauernhof in Märkisch-Oderland ist der Auftakt zu diesem internationalen Treffen. Hier wird nicht nur ökologisch gewirtschaftet, sondern solidarisch und kollektiv. „Wir leben, lernen und arbeiten zusammen, und wir haben eine Shared Economy“, erklärt Gioia. Was denn die Aufnahmebedingungen seien, möchte Madina Sadirdinova aus Kirgisistan wissen. „Ein Jahr zur Probe wohnen, aber Geld muss niemand mitbringen“, antwortet Gioia. „Verdienen denn die Leute Geld?“, fragt Vladimir Chilinya aus Sambia. „Manche von uns haben Jobs, das Geld kommt in einen gemeinsamen Topf für alle, auch die Autos teilen wir.“ Ein Murmeln geht durch die Reihen.

Lucien Silga aus Burkina Faso lehnt sich zurück und schaut argwöhnisch. „Also ist das hier Kommunismus?“, fragt er. „Nein“, lacht Gioia, „wir leben hier gemeinsam, aber selbstbestimmt, wir haben keine Chefs, es gibt flache Hierarchien“. Ein Gast aus Äthiopien fragt kritisch: „Ihr verbrennt Holz für Energie – ist das denn wirklich umweltfreundlich? Übt das nicht Druck auf die Wälder aus? Warum nutzt ihr nicht Wind und Sonne?“ Holz, sagt Gioia, sei in ihrem Fall die nachhaltigste Alternative, „denn wir bauen so gleichzeitig unsere Wälder um – von der Monokultur zum Mischwald. Und Solarenergie nutzen wir zum Erwärmen von Wasser.“

Vegane Kichererbsen-Quiche

An einem der beiden Gemüsegärten warten Conny und Mio. Nebenan quaken die Frösche im Teich, „ein gutes Zeichen“, sagt Conny. Die Wege sind sandig, Trockenheit ist ein riesiges Problem in der Region. Elon Musks Tesla-Autofabrik liegt nur 20 Kilometer von hier entfernt. 250 verschiedene Sorten Gemüse pflanzen sie hier in Bienenwerder ökologisch an, vor allem alte und samenfeste Sorten. Laxmi Gurung aus Nepal fragt, ob sie das Saatgut selbst herstellen. „Das Saatgut ist die Mutter der Bauern“, sagt sie, „das ist das Wichtigste“. Manches wird tatsächlich selbst gewonnen, anderes kaufen sie von befreundeten Saatgutprojekten. „Aber wir ziehen immer aus Samen, wir verwenden keine Setzlinge“, betont Paula Gioia. „Und wie bekämpft ihr Unkraut und Schädlinge?“, fragt Rita Gusung, ebenfalls aus Nepal. Conny beschreibt das System rotierender Pflanzen und den Einsatz von Neem und Pflanzenjauche. Pestizide kommen hier nicht zum Einsatz. Das bedeutet mitunter mühsame körperliche Arbeit, was die Gäste nun gleich selbst ausprobieren dürfen.

Mit zwei Körben voller Einmachgläser, die mit Wasser gefüllt sind, führen Conny und Mio sie zum Kartoffelacker. Alle jäten nun gemeinsam Unkraut und sammeln Kartoffelkäfer ein. „Bitte zögert nicht, ich weiß, die sehen hübsch aus, aber die sind nicht süß, das sind schlimme Schädlinge“, sagt Conny. Gebückt bewegen sich die Männer und Frauen zwischen den Reihen, die mit Pferden gezogen worden sind. Statt schwerer Maschinen dienen Pferde und Ponys hier als Arbeitstiere, um den Boden nicht zu schädigen und seine Qualität zu verbessern. Das gefällt besonders Oidy gut, die in Sambia Gemüsebäuerin ist. Dann weht der Wind eine dicke schwarze Wolke herüber, es blitzt, donnert und regnet. Dicke Tropfen fallen auf die Einmachgläser, in denen die schwarzgelb gestreiften Käfer schwimmen, und die Gruppe schafft es gerade noch halbwegs trocken ins Haupthaus.

Dort stehen Wurzelgemüsepfanne, Wildkräutersalat, schwarze Bohnenpaste, Kichererbsen-Quiche und Ofenfenchel in großen Schalen auf dem alten langen Küchentisch. Alles, was es jetzt zum Mittagessen gibt, ist vegan und kommt vom Hof. Nach und nach gesellen sich weitere Leute zu den internationalen Gästen. Es sind die Konsument:innengruppen, die sich heute den Betrieb anschauen und den Menschen aus dem Globalen Süden ihre Erfahrungen mit dem Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) beschreiben. Das Hofkollektiv Bienenwerder liefert zwar an wenige kollektiv organisierte Bioläden, vor allem aber an Konsument:innen. „Jedes Jahr errechnen wir einen Durchschnittspreis, den so eine Kiste kosten muss, damit wir hier wirtschaften können“, erklärt Gioia, „aber es gibt Spielraum für jeden Geldbeutel“. Und es können sich Menschen zu Gruppen zusammentun und sich so eine Kiste teilen. Alle schwärmen von der Qualität und erzählen, wie wichtig es für sie ist, das Projekt zu unterstützen. Auch wenn es, wie etwa im Winter, manchmal nicht viel zu verteilen gibt.

Die Mitglieder des Hofkollektivs Bienenwerder sehen ihre Art zu wirtschaften, als „Samenkorn, das das große Ganze verändert“ (Paula Gioia)

Dann springt Maziko Nkhulembe, der in Malawi für das Civil Society Agriculture Network arbeitet, auf. Anfangs, das gibt er zu, sei er skeptisch gewesen. „Ich dachte, das kann nicht im Großen funktionieren. Aber es ist so toll zu sehen, wie Produzent:innen und Konsument:innen zusammenarbeiten, wie hier beide wieder miteinander verbunden werden.“ Mit Empathie und gegenseitigem Verständnis, sagt Nkhulembe, mit dieser Art der Interaktion könne eine gute gesunde Gemeinschaft aufgebaut werden. Genau das ist der Kern der solidarisch und kollektiv organisierten Landwirtschaft. „Wir wollen lokal handeln für weltweite Veränderung, ein Samenkorn, das das große Ganze verändert“, sagt Paula Gioia. Ashok Bahadur Singh spricht aus, was alle denken: „Das hier ist die Essenz der Ernährungssouveränität.“ Und im Stillen mag so mancher hinzugefügt haben: wenn das doch nur die Politik endlich verstehen und unterstützen würde.

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