Der Krieg in der Ukraine droht außer Kontrolle zu geraten und ein „nukleares Armageddon“ (Joe Biden) ist inzwischen alles andere als undenkbar. Den Ukrainern gelingt es zwar, durch das Zusammenziehen von Kräften sowie milliardenschwere westliche Waffenlieferungen und Unterstützung bei Ausbildung, Aufklärung und Zielerfassung lokale Durchbrüche zu erzielen. Auch ist die Ukraine offenkundig zu Aktionen wie der massiven Beschädigung der Krimbrücke in der Lage. Die Eskalationsdominanz liegt jedoch bisher auf russischer Seite.
Was aber bedeutet Eskalationsdominanz? Es meint die Fähigkeit, auf jeden Schritt eines Gegners mit einer Eskalation auf einer höheren Stufe antworten zu können. Vorausgesetzt, die Ressourcen, Fähigkeiten un
gkeiten und Intentionen sind vorhanden. Russland kann den Krieg in der Ukraine eskalieren lassen und wird ihn wohl bei Bedarf eskalieren lassen – hybrid, konventionell und (wenngleich unwahrscheinlich) nuklear. Es kann damit massiven Schaden in der Ukraine anrichten, wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben.Doch was ist die Strategie der Ukraine, der all das bewusst sein dürfte? Es ist wahrscheinlich, dass es ihr darum geht, den Westen mit in den Krieg zu ziehen und ihn dadurch für sich zu entscheiden – und zwar nicht nur durch massive Waffenlieferungen, sondern auch durch das Provozieren einer bewussten Eskalation, selbst unter Inkaufnahme massiver eigener Opfer. Anders formuliert: Es reicht nicht, auf die Eskalationsdominanz Russlands hinzuweisen, man muss auch die „Interaktion“ in diesem Paradigma in den Blick nehmen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat wiederholt gesagt, für ihn gäbe es nichts mit Wladimir Putin zu verhandeln. Das Ziel, die volle Souveränität über das gesamte ukrainische Staatsgebiet inklusive der Krim wiederherzustellen, ist völkerrechtlich legitim. Es verunmöglicht aber einstweilen eine politische Lösung des Konfliktes und ist das sichere Ticket in einen jahrelangen, verlustreichen Abnutzungskrieg oder eben in eine am Ende auch nukleare Eskalation. Die Nato hat zwar mehrfach erklärt, sie wolle nicht Kriegspartei sein und werden, die Ukraine sieht das aber offenkundig anders.Gefährliche EskalationsdynamikDort hat seit 2019 der Nato-Beitritt Verfassungsrang. Neun osteuropäische Staaten haben unlängst den jüngsten Eilantrag des ukrainischen Präsidenten zur Aufnahme seines Landes in die Nato unterstützt. Um es klar zu sagen: Sind sie erfolgreich, dann müssten auch deutsche Soldaten für die Ukraine in den Krieg ziehen. Nach den von Osteuropäern ausgehenden früheren Forderungen nach einer Flugverbotszone der Nato über der Ukraine und der zeitweisen litauischen Teilblockade von Transitrouten nach Kaliningrad ist diese Initiative der dritte und bisher weitreichendste Versuch, die Nato unmittelbar in den Krieg hineinzuziehen.So verständlich das alles aus ukrainischer Perspektive, die das Opfer in diesem Stellvertreterkrieg geworden ist, sein mag, so wenig liegt diese Strategie in deutschem Interesse. Vielmehr gilt es innezuhalten und über einen realpolitischen Interessenausgleich mit Russland nachzudenken, nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg, aber doch auf der Basis einer unterschiedlichen Interessenlage. Das wird nicht zu sofortigem Frieden führen, aber wir sollten uns nicht von einer gefährlichen Eskalationsdynamik mitreißen lassen. Haben wir wirklich den Willen und die Mittel, die russischen Ziele in der Ukraine zu durchkreuzen, und falls ja: welchen Preis wollen wir dafür zahlen?Es wird nach der heißen Phase dieses Krieges zwei revisionistische Mächte in Europa geben, die sich feindlich gegenüberstehen. Wie man das löst, müssen wohl andere Generationen entscheiden. Unsere Aufgabe ist es erst einmal, nicht in einen unkalkulierbaren, möglicherweise nuklearisierten Krieg mit Russland zu geraten. Die Zeit für Verhandlungen wird eines Tages ohnehin kommen und es gilt jetzt darüber nachzudenken, wie wir uns das Ende des Krieges vorstellen und wann diplomatische Initiativen beginnen, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sollten an der Seite der Ukraine stehen, aber keine unverantwortliche Eskalationsstrategie unterstützen.