Säbeln, Schichten, Schnacken: Nesrin Ipek ist eine der wenigen Dönerfrauen in Berlin

Berlin Auch wenn sie könnte, würde sie nichts anders machen wollen: Nesrin Ipek ist eine der wenigen Dönerverkäuferinnen in Berlin. Über harte Arbeit, die hart macht. Und Stammkunden, die Blumen bringen
Ausgabe 25/2024
Sie ist eine der wenigen Dönerverkäuferinnen Berlins: Nesrin Ipek liebt ihren Job am Spieß
Sie ist eine der wenigen Dönerverkäuferinnen Berlins: Nesrin Ipek liebt ihren Job am Spieß

Foto: Ebru Taşdemir

Die Dame mit dem grauen Dutt will das Brot extraknusprig. „Guck mal“, ruft Nesrin Ipek erbost über die Theke und hält das gebräunte Fladenbrot in die Höhe wie eine Trophäe. „Ist ja gut“, gibt die ältere Frau klein bei und vertieft sich stumm in die Salatauslage. Die Dönerverkäuferin schichtet Fleischscheibchen und Grünzeug ins Dreieck und fragt laut, ob sie wieder nur eine Tomatenscheibe wolle. „Eine!“, nickt die Kundin. Münzen und Alufoliepäckchen wandern in entgegengesetzter Richtung über die Theke. Dann verabschieden sich die beiden herzlich.

„Sie kommt oft und will immer etwas extra“, sagt Ipek und zuckt lächelnd mit den Schultern. Sie mag ihre Kunden offenbar, nervige Situationen, sagt sie, kenne sie kaum. „Und wenn“, ihre dunkelbraunen Augen blitzen auf, „dann weiß ich mich schon zu verteidigen“. Und zückt ihr säbelartiges Messer, um für den nächsten Kunden hauchdünne Scheiben von dem wuchtigen Kalbsdrehspieß zu schnippeln.

Der Döner-Imbiss von Nesrin Ipek, an einer der quirligsten Kreuzungen mitten in Berlin gelegen, hat 24 Stunden geöffnet. Er ist schnelle Station für Touristengruppen, die mit dem Döner in der Hand weiterwollen, Mittagstreff für Büroangestellte im Kiez oder Anker für die Einsamen und Trostlosen, Alkoholiker und Sexarbeiter*innen, die für einen kurzen Plausch kommen, oder auch nur, um auf die Toilette zu gehen. Ums Eck beginnt der Straßenstrich, ein paar Meter weiter reihen sich schicke Restaurants an Kunstgalerien und teure Espressobars.

Im Fernseher laufen tonlose türkische Musikvideos

Stumm sitzt ein Herr im Rentenalter im Inneren. Er ist der einzige Gast an diesem Vormittag unter der Woche. Ein riesengroßer schwarz-weißer Kunstdruck vom Fernsehturm am Alexanderplatz hängt an der Wand zur Küche, Getränkekühlschränke surren leise am Eingang. Der Fernseher an der Wand spult tonlos türkische Musikvideos ab.

Noch am Tisch ruft der Herr seine Bestellung auf Türkisch herüber: eine Kuttelsuppe mit Brot. Und einen Tee. Er nennt Nesrin Ipek dabei „annem“, „meine Mutter“, obwohl er zehn Jahre älter sein dürfte. Später nimmt sie ihm nur das Geld für den Tee ab. Seit acht Uhr steht Ipek schon im Laden, wie fast jeden Tag. Nur Freitag und Samstag habe sie frei. Eigentlich sei ihr Job „Männerarbeit“, so nennt sie das. Morgens wird der Drehspieß geliefert und angebracht, das sei für sie nicht zu bewältigen. 55 Kilo wiegt so ein Koloss im gefrorenen Zustand, 35 Kilo der Hähnchenspieß. Ipek schneidet morgens die Zwiebeln und das Gemüse dafür.

Trotzdem geht die Arbeit auf den Körper, sagt Ipek. „Ab 60 kann ich das bestimmt nicht mehr machen.“ Mit jedem Jahr hätten sich neue Schmerzen eingeschlichen, mit jedem Jahr merke sie, dass es eigentlich nicht mehr geht. Aber, und jetzt funkeln ihre Augen wieder: Als alleinerziehende Mutter hätte sie ihren Sohn, der – Gott sei Dank! – schon erwachsen sei, und sich selbst mit ihrem Beruf – noch mal Gott sei Dank! – durchgebracht. Sie will nicht jammern.

Schon seit 1992 sei sie Dönerverkäuferin, mit Zwischenstationen im Osten und Westen der Stadt, seit zehn Jahren hier in diesem Imbiss. Wie viele Frauen wie sie es noch gibt? Nicht viele, zumindest sei sie eine der ältesten in diesem Beruf. Weil? „Na, sag ich doch, es ist ein Männerberuf“, erklärt sie etwas lauter. Weswegen sie sich bei der Arbeit auch hart geben muss, obwohl sie privat gar nicht so sei. Gegen freche Kunden, aber auch gegen Mitangestellte. „Sonst tanzen sie dir auf der Nase herum“, sagt sie.

Auch Männer können diesen Beruf nicht lange ausüben, das Schleppen der Lieferungen, die stundenlange Steherei. Würde sie denn im Rückblick einen anderen Beruf ausüben wollen? „Sollte ich noch mal auf die Erde kommen, würde ich wieder als Dönerverkäuferin arbeiten“, sagt Ipek und zeigt auf die vier gelben Rosen auf dem silbrigen Serviertisch an der Wand. Ein Kunde wartet schon. „Ich liebe diesen Beruf“, sagt sie und erzählt noch schnell, dass die Blumen von einem Stammkunden seien. Er bringt sie ihr jeden Sonntag.

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Geschrieben von

Ebru Taşdemir

Redakteurin „Politik“

Ebru Taşdemir studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin und arbeitete als freie Autorin für verschiedene Medien. 2017-2019 war sie Redakteurin der deutsch-türkischen Medienplattform taz.gazete. Von 2019 bis 2022 war sie Chefin vom Dienst im Berlin-Ressort der taz. Sie ist Mitglied der Nominierungskommsission Info und Kultur des Grimme-Preises und Kolumnistin der Reihe „100 Sekunden Leben“ im Inforadio des rbb. Beim Freitag ist sie mit den großen und kleinen Fragen rund um Feminismus, Gender, Teilhabe und Migration betraut.

Ebru Taşdemir

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