Fragile Demokratie Portugal

Lissabon Am Sonntag wählen die Portugiesen eine neue Regierung. Mit einer aufstrebenden rechtspopulistischen Partei und einer möglichen Wahlbeteiligung unter 50 Prozent ist der Ausgang, laut Umfragen, ungewiss

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Er hatte auf eine solide Mehrheit bei den Wahlen gehofft. Dann kam Corona dem portugiesischen Premier Antonio Costa in die Quere
Er hatte auf eine solide Mehrheit bei den Wahlen gehofft. Dann kam Corona dem portugiesischen Premier Antonio Costa in die Quere

Foto: Patricia de Melo Moreira/AFP via Getty Images

Bei den letzten Parlamentswahlen 2019 wählten nur 48,6% der wahlberechtigten Portugiesen. Seit Einführung der Demokratie, 1975, sinkt die Wahlbeteiligung in Portugal stetig. So entsteht der Eindruck die Portugiesen seien eher links, weil sie immer wieder sozialistischen Regierungen zur Macht verhalfen. Der Schein trügt. Würde die schweigende Mehrheit in Portugal zum Stimmzettel greifen, dann sähe die Parteienlandschaft dort vermutlich ganz anders aus.

Noch heute gibt es durchaus Portugiesen, die den glorreichen Zeiten des Diktators Antonio de Oliveira Salazar nachtrauern. Als im Kolonialreich noch Zucht und Ordnung herrschten. Im Gegensatz zu ihren spanischen Kollegen zeigten die rechtsradikalen Lusitaner aber nie Flagge. Denn bisher gab es keine politische Organisation, um sich zu gruppieren. Das hat sich nun geändert.

2019 gründete der ehemalige Sozialdemokrat Andre Ventura die rechtspopulistische Partei „Chega“. Der Name ist Programm „Es reicht“, und dürfte vielen Portugiesen aus der Seele sprechen. Tatsächlich war eine rechtsradikale Partei in Portugal längst überfällig. Überraschend ist eher, dass sie erst jetzt die politische Bühne betritt. Als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2020 errang Andre Ventura immerhin knapp 12% der Stimmen. Egal wie die Wahl am Sonntag ausgeht, ziemlich sicher ist, dass die noch junge Partei zu den Gewinnern gehören wird. Bisher ist Ventura im Parlament noch ein Einzelkämpfer. "Chega" steht unter anderem für Personenkult, Autoritarismus, ein verschärftes Strafrecht, Kastration von Pädophilen, Ausländerfeindlichkeit, Kürzung der Sozialausgaben, oder die Bewahrung portugiesischer Werte. Die rechte Antisystempartei punktet, indem sie den Finger auf viele offene Wunden legt.

Gerade jüngere Wähler haben sich von der Politik abgewandt, weil sie keiner Partei vertrauen, egal welcher Couleur. Sie unterstellen der politischen Kaste Amigowirtschaft, Postengeschacher, Korruption, und Machtmissbrauch. Der Portugiese fühlt sich vom Staat allein gelassen, sein Verhältnis zu den staatlichen Behörden ist geprägt von ängstlichem Misstrauen. Dort widerfährt ihm nicht selten Desinteresse, Inkompetenz, verantwortungslose Schlamperei oder gar Beamtenwillkür. Das gilt für sämtliche Institutionen, von der Verwaltung, über die Polizei bis zur Justiz, aber auch für die staatliche Gesundheitsversorgung. Der gemeine Portugiese meidet diese Einrichtungen daher wie der Teufel das Weihwasser.

Dass es die Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und der Staatsorgane nicht immer so genau nehmen mit den Regeln des Rechtsstaates, ist in Portugal ein offenes Geheimnis, im Kleinen wie im Großen, auf lokaler wie nationaler Ebene. Es gilt das Recht des Stärkeren. Die portugiesische Demokratie krankt aber nicht nur an der Einstellung ihrer Eliten, sondern auch am Verhalten des einzelnen Bürgers.

Auch im Nachbarland Spanien ist die politische Korruption ein Problem. Die Spanier aber begehren auf, gründen neue Parteien, Medien und Initiativen, um den „Chorizos“ das Handwerk zu legen. Der Portugiese ergibt sich widerstandslos seinem Schicksal. Die Wahlbeteiligung in Spanien reicht in der Regel von 65% bis über 70%. Über die Hälfte der Portugiesen wählte zuletzt gar nicht mehr. Die Spanier blicken ihren korrupten Volksvertretern auf die Finger. Medien, Institutionen und Initiativen decken auf und prangern an. In Portugal wird immer noch weggeschaut und unter den Teppich gekehrt. Die allegegenwärtige Amigowirtschaft prägt auch das Zusammenspiel zwischen den Medien und der Politik, obwohl Portugal auf dem Papier eines der Länder mit der grössten Pressefreiheit ist. Die Spanier schließen sich zusammen, im Kampf gegen politisches Unrecht, der Portugiese solidarisiert sich nicht, und ist als Einzelkämpfer leichte Beute einer übergriffigen Staatsgewalt.

„Eine Kultur der Straflosigkeit, des Nepotismus und der Amigowirtschaft hat aus Portugal ein armes und rückständiges Land gemacht“, sagt eine, die es wissen muss: die ehemalige Lissabonner Richterin, Generalstaatsanwältin und Leiterin der Abteilung für Korruptionsbekämpfung Maria Jose Morgado. Auf ihr Konto geht die Aufklärung diverser Korruptionsfälle. Sorgen macht ihr eine „krankhafte Trägheit“ der portugiesischen Justiz. Auch "Transparency International" moniert, dass sich bei der portugiesischen Korruptionsbekämpfung nicht viel tut, insbesondere wenn es um Politiker und Amtsträger geht.

Ganz und gar nicht mit Ruhm in Sachen Korruption bekleckert haben sich die regierenden Sozialisten. Eine schillernde Gestalt ist der ehemalige portugiesische Premierminister Jose Socrates. Schon bei seinem Abschluss als Bauingenieur an der privaten „Universidade Independende“ soll nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Als Umweltminister unter dem damaligen Premierminister und heutigem UNO-Generalsekretär, Antonio Guterres, soll Socrates, gegen Schmiergeld, Umweltrecht gebeugt haben, um den Bau eines britischen Outletcenters in einem Naturschutzgebiet bei Lissabon zu ermöglichen.

Die portugiesische Justiz entlastete Socrates. Britische Behörden, die ebenfalls ermittelten, sehen Socrates Schuld als erwiesen an. Die Ermittlungen konnten aber, mangels Kooperation von portugiesischer Seite, nicht abgeschlossen werden. Von 2005 bis 2011 war Socrates portugiesischer Premierminister. 2014 wurde er wegen Korruption, Geldwäsche, Dokumentenfälschung und Steuerbetrug in 31 Fällen verhaftet. Kaum hatte sein Parteikollege Antonio Costa, nach den Wahlen im Oktober 2015, eine neue sozialistisch geführte Regierung gebildet, kam Socrates wieder frei. Erst letztes Jahr erklärte ein Richter 25 der 31 Anklagepunkte für nichtig, wegen Verjährung und fehlender Evidenz. Obwohl Socrates sich immer noch wegen Urkundenfälschung und Geldwäsche in Millionenhöhe verantworten muss, tingelt er schon wieder durch die Talkshows der privaten und öffentlich rechtlichen Medien, und gibt seinen ehemaligen Genossen politische Ratschläge.

Als Premierminister Antonio Costa sich, Ende Oktober, mit seinen politischen Partnern nicht über einen Haushaltsentwurf einigen konnte und damit Neuwahlen provozierte, hoffte er vielleicht auf die Gunst der Stunde, um seinen Sozialisten eine absolute Mehrheit zu verschaffen. Erfolgreiche Impfkampagne, höchste Impfquote Europas, das Virus zurückgeschlagen. Die Wähler würden es ihm danken. Einmal mehr hat Costa die Rechnung ohne COVID gemacht. Bereits vergangenen Winter hatte die britische Variante Portugal überrannt: höchste Inzidenz und Mortalität weltweit. Im Sommer sprang die Deltavariante über Portugal von England auf den europäischen Kontinent und überrollte das Land. Die Regierung reagierte mit einer generalstabsmäßig organisierten Impfkampagne. Jetzt hat Omikron Portugal fest im Griff.

Erst kürzlich warnten Vertreter des ohnehin maroden Gesundheitswesens in Portugal, man sei erneut an den Punkt gelangt, da ein planmäßiger Betrieb nicht mehr möglich sei und längst fällige Eingriffe verschoben werden müssten. Über 50.000 Neuansteckungen täglich, 1 Million Portugiesen in Quarantäne, in Lissabon sammeln Helfer die Wahlzettel isolierter Haushalte ein. Modellierer rechnen damit, dass die Infektionswelle ab Anfang/Mitte Februar wieder abflacht. Bis Ende März hätten sich mindestens 5 Millionen Portugiesen infiziert und die Pandemie könnte, abhängig von der Dunkelziffer, zur Endemie werden. Bis dahin sind die politischen Karten in Portugal längst neu gemischt worden.

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