Psychologin: „Die Hetze der AfD wirkt psychologisch als Erlaubnis, zuzuschlagen“
Rechte Gewalt Nach den Angriffen auf Politiker von SPD und Grünen wird über die Ursachen diskutiert. Die Psychologin Anne Otto sagt: Der Hass entwächst nicht aus individuellen Lebenserfahrungen, sondern wird kollektiv
Am Abend des 3. Mai war der sächsische SPD-Politiker Matthias Ecke im Dresdener Stadtteil Striesen dabei, Plakate für den beginnenden Europawahlkampf aufzuhängen. Gegen 22.30 Uhr wurde Ecke von einer Gruppe aus vier jungen Männern angesprochen. Dann sei er unvermittelt angegriffen worden, sagt er, ein Schlag traf ihn im Gesicht, Ecke erlitt einen Knochenbruch und musste anschließend Im Krankenhaus medizinisch versorgt werden.
Der mutmaßliche Täter ist ein 17-jähriger Rechtsextremer; laut Medienberichten soll die Gruppe kurz vor Ecke schon einen grünen Politiker beim Plakatieren tätlich angegriffen haben. In den Tagen nach der Tat in Dresden wurden auch andere wahlkämpfende Politikerinnen und Politiker in Sachsen bedrängt; die Berli
die Berliner SPD-Senatorin Franziska Giffey wurde bei einem Bibliotheksbesuch hinterrücks auf den Kopf geschlagen.Woher kommt diese Aggressivität gegenüber Politikern? Wir haben mit der Psychologin Anne Otto gesprochen, die schon 2019 ein Buch genau dazu veröffentlicht hat: Woher kommt der Hass? Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus.der Freitag: Frau Otto, sind Sie überrascht von den jüngsten Angriffen auf Politiker*innen?Anne Otto: Natürlich, ich bin immer wieder schockiert, wenn die Gewalt sich Bahn bricht – aber mir ist auch klar: Diese sichtbaren Angriffe gegen Matthias Ecke und Franziska Giffey sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Statistiken zu politischer Gewalt sind schon länger eindeutig. Die Gewalt nimmt zu.Wieso ist das so? Wie kommt ein 17- oder 18-Jähriger denn dazu, solch einen Hass auf Grüne und SPD zu entwickeln, dass er loszieht, um ihre Politiker niederzuschlagen?Mein Buch zu den psychologischen Grundlagen von Hass ist über fünf Jahre alt. Seit der Erscheinung rufen mich Journalistinnen jedes Mal an, wenn wieder ein Angriff stattgefunden hat, und fragen mich nach der Psychologie des Täters: Wie tickt er? Meine Antwort ist immer die gleiche: Ich kenne den Täter nicht, weiß nicht, was er erlebt hat. Und das muss ich auch gar nicht.. Der Hass ist kollektiv, nicht individuell. Wir wissen genug.Tun wir das? Ich würde schon gerne wissen: Was haben diese Jugendlichen, die offenbar in der rechtsextremen Gruppe “Elblandrevolte” organisiert waren, in ihrem jungen Leben so erlebt, dass sie so gewaltbereit sind?Sie fragen nach der Individualpsychologie. Diese würde so argumentieren: Wenn diese Angreifer jeweils einzeln etwas sehr Autoritäres erlebt haben, wenn etwa ein Elternteil autoritär ausgerichtet war, wenn jemand abgewertet und klein gemacht wurde oder sehr viel Gewalt erlebt hat, dann wird er mit 17 oder 18 auch bereit sein, Gewalt auszuüben. Aber ich glaube, dass diese Zunahme der Gewalt nicht mehr individualpsychologisch zu erklären ist, sie hat System. Denn es wird ein Hass gegen bestimmte Gruppen geschürt, in diesem Fall: gegen die Mitglieder und Politiker der SPD und Grünen, der kollektiv ist. Dieser Hass hat sich verselbständigt.Das heißt, Sie sagen: Egal, wie die Kids aufgewachsen sind, sie geraten heutzutage leicht in einer Dynamik, die sie dazu verleitet, Gewalt auszuüben?Davon bin ich vollkommen überzeugt. Das war auch bei dem Attentäter von Halle so: Seine individuelle Psychologie traf auf eine Peer-Dynamik im Netz, auf Gewaltvideos, eine gewaltverherrlichende, rechtsextremen Community. Diese Dynamiken senken die Hemmschwelle, es entsteht eine Stimmung, in der Gewalt plötzlich legitim erscheint.Der Philosoph Theodor W. Adorno spricht von einer „Gefühlsbefreiung“, können Sie erklären, was genau da befreit wird?In seinen Analysen zu den Reden des Hasspredigers Martin Luther Thomas hat Adorno festgestellt, dass Agitatoren ihre Anhänger dazu einladen, negativen Gefühlen wie Hass und Verächtlichmachung freien Lauf zu lassen. (Solche Einladungen zur Gewalt kennt man von Donald Trump.) Hierzulande hat diese Rolle hat die AfD übernommen, sie gibt psychologisch die Erlaubnis: Ihr dürft euch empören, ihr dürft aggressiv sein, und es gibt diese und jene Gruppe, die euren Hass, eure Gewalt auch verdient hat. Das sind Geflüchtete, das sind vermeintliche Eliten. Nach dem Motto: Diese Menschen sind weniger wert als wir oder schaden uns, richtet euren Hass ruhig gegen sie. Auf diese Menschen darfst du einschlagen.Der AfD-Politiker Alexander Gauland sagte 2017: „Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen."Das ist ein gutes Bespiel für die Aufforderung zur „Gefühlsbefreiung”. Und in den vergangenen Jahren richtete sich der rechte Hass dann nicht mehr gegen Frau Merkel, sondern gegen die Ampel-Regierung, und insbesondere gegen die Grünen: Wenn die Rede von “linksgrün Versifften” ist, oder auch von der “Ökodiktatur”.Erteilt ein Markus Söder von der CSU auch eine Jagderlaubnis, wenn er die Grünen zum Hauptgegner erklärt?Wir sehen hier jedenfalls, dass sich ein hochproblematischer Ton in die Politik eingeschlichen hat, auch jenseits der AfD.Inwiefern geht es hier wirklich um Sprache, und inwiefern um reale politische Konflikte? Die Grünen sind ja für viele Menschen nicht einfach so ein politischer Gegner, sondern weil viele deren politischen Eingriffe in ihren Alltag fürchten: Das Heizungsgesetz, die Debatten über das Autofahren oder das Fleischessen. Kann solch eine Wut über politische Eingriffe nicht auch zu Hass führen?So rational funktioniert kollektiver Hass nicht. Es kann ja sein, dass eine Partei, dass ein Politiker besonders viel verlangt von den Bürgern, und dass viele Menschen das politische Projekt einer Regierung ablehnen. Das erklärt noch nicht, wieso sich eine Stimmung so mit Hass erfüllt. Man kann ja sagen: „Die Grünen lehne ich ab, weil mir mein Auto und mein Benzin wichtig sind, und ich mir keine neue Heizung leisten kann.“ Aber wenn ich Regierungspolitik als Bevormundung oder Verbotskultur beschreibe, ist schon etwas schief: Regierungen machen immer Gesetze, Verbote, Gebote. Der Hass auf die Grünen ist nicht durch die konkrete Politik zu erklären.Auch dann nicht, wenn in großen Teilen der Bevölkerung das Gefühl entsteht, dass die Grünen von ihrer Lebensrealität nichts verstehen – und Gesetze verabschieden, die die kollektive Lage verschlimmert? Im Osten etwa, wo manche Menschen nach der großen Transformation in den 1990ern eher müde sind, was eine neue Transformation angeht?Ich höre aus Ihrer Frage den Versuch raus, nicht allein der AfD die Schuld zu geben an die Eskalation der Gewalt, sondern gesamtgesellschaftlich nach Ursachen zu suchen.Richtig.Das klingt für mich nach Täter-Opfer-Umkehr. Dass die Grünen am stärksten von politischer Gewalt betroffen sind, hat, psychologisch gesehen, trotzdem andere Gründe als eine Ablehnung ihrer Politik. Die Grünen eignen sich für die AfD besonders gut als Feindbild.Warum?Das liegt an der Dynamik des Populismus. Der Systemtheoretiker Fritz B. Simon hat herausgearbeitet, dass populistische Parteien um zu funktionieren sowohl externe Feind brauchen, als auch – ganz wichtig – interne Feinde. Damit eine autoritäre Dynamik funktioniert, damit Hass und Emotionen immer wieder entfacht werden können, müssen die internen Feinde so gestrickt sein, dass man zwischen einem vermeintlichen Volk und einer vermeintlichen Elite gut differenzieren kann. Die Grünen wurden erfolgreich als diese vermeintliche Elite etabliert.Statistisch gesehen ist es ja auch so, dass die Grünen die Partei der Akademiker*innen ist.Viele Gutverdienende und Akademiker wählen ja auch CDU, und auch AfD. Bei der Elite als Feindbild geht es mehr darum, eine künstliche Spaltung aufzubauen und sie als eine Gruppe hinzustellen, die dem „Volk“ schadet. Das tut die AfD im Zweifel bei allen Parteien – die SPD wurde ja jüngst auch verstärkt angegriffen – aber vor allem eben mit den Grünen. Das liegt auch daran, dass viele Menschen, die sich politisch konservativ oder bei der AfD verorten, sagen: Mit dem grünen Milieu haben wir gar keine Nähe, keine Überschneidung.Die bekannte Blasenbildung?Genau. Das hat damit zu tun, wie unterschiedlich wir heute sozialisiert sind. Je weiter weg ein Milieu scheinbar vom eigenen ist, desto leichter etablieren sich Klischees, desto besser fungiert es als Feindbild.Anne Katrin Haubold, die in jener Nacht in Dresden für die Grünen plakatiert hat und danebenstand, als ihr Parteifreund niedergeschlagen wurde, hat in einem Spiegel-Interview überlegt, ob eine Rolle gespielt haben könnte, dass ihr Kollege eine Brille getragen hat.Und da sind wir mitten in den autoritären Dynamiken: Dort, wo strenger Gehorsam gefordert wird, da, wo man sich eine starke Hand als Führung wünscht, da wird alles Weiche, vermeintlich Schwächere, Subjektive und Sensible abgelehnt. Ich weiß natürlich nicht, ob diese Brille eine Rolle bei dem Angriff gespielt hat, und ich wäre mit solchen äußeren Erklärungen persönlich auch vorsichtig, aber ich kann sagen: Menschen, die sich autoritäre Strukturen wünschen, lehnen oft das Geisteswissenschaftliche ab.Das gilt für rechten Hass.Für autoritäre Dynamiken.Wir müssen uns allerdings noch mit einer anderen Form der politischen Gewalt beschäftigen: Jahrelang war die AfD unter allen Parteien den meisten Angriffen ausgesetzt, auch 2023 steht sie, nach den Grünen, an zweiter Stelle. Würden Sie hier von einem linken Hass sprechen?Wir erleben in der gesamten Gesellschaft eine Zunahme an Aggression, und diese ist bedrohlich. Wir müssen jedoch genau hinschauen: Geht es um Körperverletzung? Oder um Sachbeschädigung? Die Kriminalstatistiken trennen unterschiedliche Delikte unscharf voneinander.Dennoch gab es auch körperliche Übergriffe gegen einzelne AfD-Politiker.Gewalt gehört immer angezeigt und rechtsstaatlich verfolgt, damit klar ist: Gewalt ist nicht hinnehmbar, ist nicht erlaubt. Mir fällt allerdings kein einziger Rechtsextremer oder Rechter ein, der in den vergangenen Jahrzehnten Opfer eines Mordanschlags wurde. Die Opfer rechter Gewalt kennen wir alle, in Hanau, in Halle, oder durch den (!) NSU.Wie sollte man denn jetzt mit den mutmaßlichen Tätern in Dresden umgehen?Wie gesagt, ich kenne diese Täter nicht, aber um diese vermutliche rechtsextremen Gruppen ausgehende Kriminalität zu verstehen und zu stoppen, ist es wichtig, herauszufinden: Was ist das für ein politisches Umfeld, in dem sie agieren? Was sind das für Netzwerke? Wie kann man mit gegebenen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen?Und wenn der Hass bereits grassiert?Müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Politikerinnen und ihre Familien zu schützen. Es gibt da Ansätze, etwa die Stark-im-Amt-Kampagne der Körber Stiftung, die Bürgermeister und Lokalpolitiker unterstützt. Das ist das einzig Gute daran, dass wir schon länger mit dieser politischen Gewalt leben müssen: Es werden bereits Schutzstrukturen aufgebaut. Das Problem ist bekannt. Jetzt gilt es, zu handeln.
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