Um an diesem Film seine Freude zu haben, muss man nicht unbedingt wissen, wer Pascale Ogier war. Aber es hilft dabei, sich auf die Zeit der Handlung und die Beweggründe der Figuren einzustimmen. Die Tochter der Schauspielerin Bulle Ogier spielte 1984 die Hauptrolle in Éric Rohmers Vollmondnächte, wurde dafür in Venedig ausgezeichnet und starb wenige Wochen danach im Alter von nur 25 Jahren. Ihr Herz versagte; womöglich war eine Überdosis die Ursache.
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Die Figuren von Passagiere der Nacht begleitet sie als eine Art Talisman. Die Teenagerin Talulah (Noée Abita) trägt Ogiers charakteristische Hochfrisur, als sie aus der Provinz nach Paris kommt, und ihre Augen sind so groß und erwartungsvoll wie die der Schauspielerin, als s
nach Paris kommt, und ihre Augen sind so groß und erwartungsvoll wie die der Schauspielerin, als sie mit ihren Fingern verträumt die Strecken der Metrolinien verfolgt. Es ist der Abend des 10. Mai 1981, des Tages, an dem in Frankreich die Rechte die Macht verlor, auf die sie bis dahin das Anrecht zu haben glaubte, und François Mitterrand die Präsidentschaftswahl gewann.Diese Nacht dient als Prolog des Films, dessen Handlung drei Jahre später einsetzt, aber von ihrer Atmosphäre der Zuversicht getragen wird. Im Zentrum steht Elisabeth (Charlotte Gainsbourg), die von ihrem Mann verlassen wurde und nun allein für ihre Tochter Judith und ihren Sohn Matthias sorgen muss. Insgeheim besteht ihre Aufgabe darin, eine moderne Frau zu werden. Sie verfügt über keinerlei Berufserfahrung, findet jedoch eine Anstellung als Telefonistin einer Radiosendung, deren Moderatorin Vanda (Emmanuelle Béart) des Nachts intensive Gespräche mit Hörern führt. Elisabeths Aufgabe besteht darin, die Anrufe zu filtern. Dafür braucht es eine affektive Wachsamkeit, die Vanda ihr zutraut. Ein Gast ihrer Sendung ist Talulah, die inzwischen obdachlos ist, weshalb Elisabeth sie bei sich aufnimmt.Die Adoption ist ein Erzählmotiv, das Mikhaël Hers’ Film sacht und in wechselnden Konstellationen durchdekliniert. Wie in seinem Mein Leben mit Amanda, einer der schönsten filmischen Reaktionen auf die Pariser Attentate vom November 2015, breitet der Regisseur ein dicht gewobenes Netz der Fürsorge über seine Charaktere. Er inszeniert eine dramatische Komödie ohne Konflikt, die auf die Wägbarkeiten des Lebens vertraut. Es geschieht darin kaum mehr, als dass Situationen locker aufeinanderfolgen, in denen sich Empfindsamkeit zeigt. Nichts ragt über den Alltag hinaus, den es in robuster Verletzbarkeit zu bewältigen gilt.Das Drehbuch, das Hers zusammen mit Maud Ameline und Mariette Désert schrieb, ist eine Verschwörung der Sanftmut. Nicht einmal über Elisabeths Ex-Mann soll ein schlechtes Wort fallen. Sie wird einen neuen Mann kennenlernen; Tochter Judith entdeckt ihre vernünftige politische Erregbarkeit; Sohn Matthias träumt davon, Schriftsteller zu werden, und verliebt sich in Talulah, die flieht, weil sie drogenabhängig ist. Nichts davon muss tragisch ausgehen, um das Publikum zu bewegen. Das Einverständnis mit dem Leben lässt der Film in einem Tanz zu viert kulminieren, in dem Innigkeit und Abschied verschlungen sind.Könnten ihre Geschichten auch im Heute spielen? Hers’ nostalgische Reise in die 1980er Jahre tastet sich an das Zeitkolorit heran, nicht als verlorenes Paradies, sondern als Epoche der Umbrüche, die Anker wirft in die Zukunft. Es ist eine Nostalgie im eigenen Namen – nach den Wurzeln der eigenen Cinephilie –, die sich aber nie vor die Figuren drängt. Natürlich tritt auch Pascale Ogier auf den Plan. Talulah und die Geschwister schleichen sich in eine Vorstellung der Vollmondnächte hinein und persiflieren auf dem Heimweg Rohmers Dialoge: ohne Ehrfurcht und voller Wissbegier.Placeholder infobox-1