Fünftagewoche und Achtstundentag sind passé: In Griechenland gilt ab 1. Juli die Sechstagewoche. Die neue Regelung gilt für die Privatwirtschaft und wurde, gegen die geschlossene Opposition, schon im letzten Jahr beschlossen. Das Gesetz weckt Erinnerungen an die „Griechenlandkrise“, als die linksrebellischen Hellenen durch die Troika (IWF, EU-Kommission, EZB) geknechtet wurden. Die Rede war von den „faulen Griechen“. Man werde „nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen“, giftete der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
In Wahrheit arbeiteten die Griechen schon damals im Durchschnitt mehr als alle anderen Europäer.
äer. In Wahrheit war die Staatsverschuldung die Folge von Bankenrettungen und nicht davon, dass die Griechen „über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten. Im Übrigen profitierte vor allem Deutschland von der Eurokrise. Die „Griechenlandrettung“ rettete in Wahrheit deutsche und französische Banken; und Kapital im Wert von etwa 120 Milliarden Euro flüchtete aus Südeuropa großteils hierher, weil keine Kapitalkontrollen es daran hinderten. Im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“ erzwang die Troika in Südeuropa nicht nur Haushaltskürzungen bei Bildung, Gesundheit und Rente. Sie schliff auch Flächentarifverträge und Mindestlöhne. Die nationalen Kapitalverbände nutzten die Krise, um ihre Machtposition gegenüber „ihren“ Arbeiterklassen zu verbessern. Nun wird diese Politik fortgesetzt. Mit dem neuen Gesetz zur Sechstagewoche, heißt es, dürfen Arbeitgeber ihren Beschäftigten die „Parallelbeschäftigung“ künftig nicht mehr verbieten. Sie könnten mehr verdienen! Real müssen nun Überstunden fortan nicht mehr angemeldet werden. Das Sonntags-Arbeitsverbot wurde für noch mehr Branchen gelockert. Auch „Null-Stunden“ sowie „Abruf“-Verträge sind fortan legal. Heißt: Kein Kapitalbesitzer muss Arbeitsstunden garantieren, wie etwa im Tourismus oder in der Landwirtschaft, aber gleichzeitig kann er 24-stündige Rufbereitschaft einfordern.Die kommunistische Gewerkschaft PAME kritisiert, dass das Gesetz „den Arbeitgebern das Recht einräumt, ihre Arbeiter 13 Stunden am Tag und 78 Stunden in der Woche unter Druck zu setzen“. Auch das Streikrecht wird eingeschränkt, etwa, wenn Arbeitgeber illegal Streikbrecher beschäftigen. Zudem gelten Probezeiten auch bei befristeten Verträgen, was die Entlassung von Schwangeren erleichtert. Fragt sich: Wie konnte die konservative griechische Regierung mit dieser Politik durchkommen?Außer Zweifel steht, dass das Gesetz nicht auf Forderungen der Beschäftigten reagiert. Einer Umfrage des Portals kariera.gr zufolge wünschen sich 55 Prozent der Arbeitssuchenden eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, der Rest fordert Lohnerhöhungen unter Beibehalt der Fünftagewoche. Die Regierung bemüht sich auch wenig, dem Gesetz einen demokratischen und sozialen Anstrich zu geben. Offen bekundet sie, eigentliches Ziel sei es, dem „Fachkräftemangel“ entgegenzuwirken. „Arbeitnehmermärkte“ meidet das Kapital wie der Teufel das Weihwasser. Dabei wird in Griechenland heute schon so viel gearbeitet wie in keinem anderen EU-Land.Zweitausend Stunden im JahrDas hat eine Studie der Universität Groningen von 2023 bestätigt: Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit beträgt in Deutschland 1.386 Stunden, in Griechenland sind es 2.036. Auch haben in dem südeuropäischen Land besonders viele Arbeiter einen Zweitjob, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Und trotzdem werden ausgerechnet bei den griechischen Beschäftigten die Daumenschrauben angezogen? Und das, während man die Wirtschaft in den letzten Jahren von Lasten befreit hat? Immerhin wurden zwischen 2018 und 2022 die Unternehmenssteuern von 29 auf 22 Prozent gesenkt. Doch die Politik in Athen ist keine Ausnahmeerscheinung: Gesetze zur Unternehmenssteuersenkung und zur Disziplinierung der Lohnabhängigen liegen im europaweiten Trend.So führte in Ungarn die rechte Regierung 2018 das „Sklavengesetz“ ein, das es Kapitalbesitzern erlaubt, bis zu 400 Überstunden im Jahr einzufordern. In Österreich fordert der Industriekapitalverband die 41-Stunden-Woche, in Deutschland, auch weil eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre unrealistisch ist, die 42-Stunden-Woche. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sehnt sich nach Lohnabhängigen, die Lust auf unbezahlte Überstunden haben. Der Kampf um den Normalarbeitstag ist wieder aktuell.In der EU sind Arbeitszeiten, die 48 Stunden pro Woche einschließlich Überstunden überschreiten, formell verboten. Die griechische Gewerkschaft GSSE fordert „intensive Kontrollen“ dieser Regelung. Aber welche Gegenmacht hat sie? „Mit den Memoranden“ der Troika, sagt Boris Kanzleiter, Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen, seien „die Kräfteverhältnisse krass in Richtung Kapital verschoben“ worden. Da das Gesetz im Kern die Privatwirtschaft betrifft, sagt Angelina Giannopoulou von Transform, dem Thinktank der Europäischen Linkspartei, seien die stärkeren Gewerkschaften im öffentlichen Dienst außen vor. GSEE sei faktisch im „Dämmerzustand und habe kapituliert“, der Privatsektor „eine Wüste“.Auch die politische Linke sei „sehr geschwächt“, sagt Kanzleiter, da Syriza die Memoranden „mitgetragen“ habe und „entsprechend diskreditiert“ sei. Tatsächlich ist Syriza seit letztem Jahr unter der Führung des ehemaligen US-Republikaners und Finanzunternehmers Stefanos Kasselakis. Die aus den Europa-Wahlen gestärkt hervorgegangene kommunistische Partei KKE und PAME wiederum hätten, so Kanzleiter, „zwar eine gewisse Mobilisierungs-, aber eben auch keine Durchsetzungskraft“.Und so muss ab dem 1. Juli einen Tag mehr pro Woche in Griechenland geschuftet werden. Als wären die Menschen dort nicht schon fleißig genug.