Fabio Stassis „Die Seele aller Zufälle“: Ein Auftrag für Commissario Leseratte

Krimi Vince Corso ist einer der originellsten Detektive: Seine Fälle löst der „Bibliotherapeut“ mit Literatur. Irmtraud Gutschke über den neuen Detektivroman von Fabio Stassi
Ausgabe 25/2024
Mit seinem Hund Django flaniert der eher unfreiwillige Detektiv Corso durch Rom
Mit seinem Hund Django flaniert der eher unfreiwillige Detektiv Corso durch Rom

Foto: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Fabio Stassi, Gewinner des Literaturpreises Premio Stresa 2022, ist Erfinder eines der originellsten Detektive in der Krimigeschichte. Sein Protagonist Vince Corso ist nämlich „Bibliotherapeut“. Corso empfiehlt seinen Patienten Lektüre, mit der sie ihre Lebensprobleme lösen sollen. So hat der unfreiwillige Detektiv ebenso viel mit Literatur zu tun wie der Autor selbst: Stassi ist Direktor der Bibliothek für orientalische Studien in der Universität La Sapienza in Rom. Sein neuer Roman Die Seele aller Zufälle ist bei Edition Converso bereits in dritter Auflage erschienen.

Treuer Begleiter ist Hund Django, mit dem der Buchheiler gerne und ausgiebig durch Rom flaniert. Django hat in Stassis vorigem Roman Ich töte wen ich will noch leblos auf dem Teppich gelegen. Ein Giftanschlag? Während Django in der Tierklinik ist, konnten wir mit Corso Rom erkunden und staunen, wie der belesene Detektiv auf Schritt und Tritt seltsamen Morden begegnete, die alle literarische Parallelen zu haben schienen. Immer an Ort und Stelle, geriet er sogar selbst in Verdacht.

In Die Seele aller Zufälle geht es nicht ganz so blutig zu. Aber das Rätsel, das Vince Corso zu lösen hat, bleibt knifflig. Ein humaner, gütiger Grundton definiert das Buch. Denn die Menschen, die in Vince Corsos Dachbodenwohnung kommen, sind alle voller Kummer. Corso nimmt diese Probleme ernst. Vielleicht wollen die Unglücklichen nur, dass ihnen jemand ruhig zuhört, verständnisvoll, ohne zu urteilen. Was alles Menschen widerfahren kann, wie verschieden sie ihre Identität definieren – allein diese Ebene des Romans ist interessant.

Da ist die Wahrsagerin, der die Vorausschau abhandenkam, eine Professorin, die ständig ihr Handy verlegt, eine andere, die sich in ihren Erinnerungen gefangen fühlt, eine Schriftstellerin, die endlich mal einen Bestseller schreiben will. Nicht zuletzt hat sich dem Autor eine nicht mehr junge, aber überaus anziehende Frau vorgestellt, die aus Sorge um ihren älteren Bruder in Vince Corsos Mansarde erscheint. Was kann sie tun, damit er nicht sein Gedächtnis verliert? „Andauernd füllt er Hefte mit unverständlichen Alphabeten. Er liebte die Literatur und rühmte sich, Dichter aus mindestens sieben verschiedenen Ländern im Original lesen zu können.“ Doch inzwischen wiederholt er immer wieder dieselben „Sätze, die keinerlei Verbindung miteinander haben … Sie ähneln einem sinnlosen Kinderreim, der mit ein paar Flüchen durchsetzt ist“. Fände sie das Buch, aus dem sie stammen, hofft sie, damit ihrem Bruder helfen zu können.

Bücher als Rettung

„Die Hand der Zeit löscht alle Spuren.“ Corso aber muss die Spuren finden. Etwas Verborgenes, Verschüttetes hat er auszugraben, etwas für Menschen ungemein Wichtiges: Erinnerung. Einfach wird das nicht. Nicht einmal mit einem literarischen Puzzle ist es getan. Wieder lässt uns Stassi in das quirlige Rom eintauchen – ebenso in das Gemüt eines Menschen, der detailversessen im Gelesenen lebt. Was wäre, wenn er sein Wissen verlieren würde, hat sich der Autor vielleicht beim Schreiben gefragt. „Als würde man ein Leben lang einen Schatz zusammentragen und am Ende den Schlüssel für den Tresor vergessen.“

So wie der alte Mann im Buch immer wieder glucksend lacht, scheint es ihm gar nicht so schlecht zu gehen. Kann es sein, dass er alle auf den Arm nimmt, dass es tatsächlich einen Tresorschlüssel gibt, den er versteckt in seiner geradezu labyrinthischen Bibliothek hat? „Es war, als wüsste er Dinge …“ – Wie Stassis voriger Roman steckt auch dieser voller Spuren, die der Detektiv intuitiv, zufällig entdeckt und uns dabei immer wieder zu literarischen Entdeckungen animiert. Verrätselt, mysteriös, spielerisch, kommt der Text zu einem überraschenden Ende, das sogar etwas romantisch Wohltuendes hat.

Im Anhang finden sich zehn Seiten mit Buchempfehlungen, die helfen könnten, die Wirklichkeit und sich selbst zu durchschauen. Denn: „Im Grunde gibt es keinen hellsichtigeren und schärferen Blick als den eines Lesers.“

Die Seele aller Zufälle. Detektivroman Fabio Stassi Annette Kopetzki (Übers.), Edition Converso 2024, 288 S., 24 €

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