Konfliktlösung Die Vorbereitungen zur Ukraine-Konferenz Mitte Juni auf dem Bürgenstock laufen auf Hochtouren. Doch bei dem Treffen in der Schweiz ist Russland nicht eingeladen, China hat abgesagt. So wird es ein Solidaritäts- und kein Friedensgipfel
Bürgenstock: Hier trifft sich (fast) die ganze Welt, um über einen Frieden in der Ukraine zu sprechen
Foto: Picture Alliance/Keystone/Urs Flueeler
Auf vollen Touren laufen die Vorbereitungen zur lange angekündigten und hoch gehandelten Ukraine-Konferenz Mitte Juni auf dem Bürgenstock am Vierwaldstättersee. Das Treffen, als Friedenskonferenz ausgewiesen, geht auf den G7-Gipfel in Hiroshima im Frühjahr 2023 zurück, stößt aber auf erhebliche Hindernisse und lässt fragen: Wird dort tatsächlich über ein Ende des Krieges gegen die Ukraine verhandelt? Aus drei Gründen ist das zu bezweifeln: Russland bleibt ausgeladen, auch deshalb hat China inzwischen abgesagt. Zweitens meint die Ukraine weiterhin, die politischen Bedingungen durch Erfolge auf dem Schlachtfeld verbessern zu können. Drittens scheint im Westen (zumindest öffentlich) bisher niemand bereit zu sein, die ukrainische
ausgeladen, auch deshalb hat China inzwischen abgesagt. Zweitens meint die Ukraine weiterhin, die politischen Bedingungen durch Erfolge auf dem Schlachtfeld verbessern zu können. Drittens scheint im Westen (zumindest öffentlich) bisher niemand bereit zu sein, die ukrainischen Maximalpositionen mit einem realistischen Erwartungsmanagement und dem Drängen auf Kompromisse zu beeinflussen.Europäische Militärausbilder in der UkraineInsofern wird es in der Schweiz eher um die gesinnungsethisch motivierte Stärkung der diplomatischen Front gegen Russland gehen, nicht jedoch in verantwortungsethischer Hinsicht um politische Lösungsversuche für einen inzwischen kaum noch lösbaren Konflikt. Die Themen, auf die man sich für die Konferenz geeinigt hat – humanitäre Fragen, nukleare Sicherheit, freie Schifffahrt, Ernährungssicherheit in Verbindung mit den Getreideausfuhren der Ukraine –, sind zwar allesamt wichtig, und es spricht nichts dagegen, sich darüber auszutauschen. Für den Kriegsverlauf spielen sie kaum eine Rolle, erst recht nicht für den Kernkonflikt zwischen Kiew und Moskau.Militärisch geschieht in der Ukraine zeitgleich das, was erwartbar war. Immer wenn deren Armee militärisch schwer unter Druck gerät, nimmt die Debatte um ein direktes Eingreifen westlicher Staaten Fahrt auf. Spätestens nach der Ankündigung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, keine Option mehr auszuschließen, wird in Paris und andernorts ernsthaft erwogen, rasch Hunderte Militärausbilder in die Ukraine zu schicken. Staaten wie Polen und Estland befeuern diese Debatte. Man kann sich leicht ausmalen, welche Eskalation einträte, wenn diese Kontingente in Kampfhandlungen verwickelt und Ziel russischer Angriffe würden.„Mission creep“ und „Boiling the frog“Rote Linien werden definiert – und revidiert. Mit der nun von westlichen Staaten erteilten Erlaubnis, auch mit an die Ukraine gelieferten Waffen Ziele in Russland anzugreifen, fällt das nächste Tabu – nicht zuletzt für Deutschland. Im Berliner Kanzleramt formuliert man die Erwartung, dass es sich dabei nur um Gegenschläge in der russischen Region Belgorod handeln werde. Tatsächlich hat Russland mit den jüngsten Angriffen auf das benachbarte Charkiw eine neue Front eröffnet, der die Ukraine relativ schutzlos ausgesetzt ist. Sie bindet schwindende Kräfte an einer mehr als 1.000 Kilometer langen Front. Andererseits hat die Ukraine mit Drohnenangriffen auf das russische Atomraketen-Frühwarnsystem im weit von der Front entfernten Armawir (Region Krasnodar) mit dem Feuer gespielt. Sollte Russland auch nur befürchten, dass seine nukleare Zweitschlagfähigkeit beeinträchtigt wird, wäre eine massive und schlimmstenfalls apokalyptische Zuspitzung denkbar.Stets das Risiko zu beherrschen, das darin besteht, aus einem regionalen bewaffneten Konflikt in einen großen Krieg in Europa („mission creep“) hineinzuschlittern, gehört zum kleinen Einmaleins der Sicherheitspolitik. Es ist zwar kein Naturgesetz, aber im Fall des Ukraine-Krieges sind die Mechanismen und Risiken wie in einem Lehrbuch sichtbar. Strategisches Ziel der ukrainischen Führung ist es ganz offenkundig, die NATO oder zumindest einige westliche Staaten direkt in den Krieg zu ziehen, aus Kiewer Sicht die Gewähr dafür, eine Niederlage abzuwenden. Das bisher deutlich formulierte Interesse der wichtigsten Unterstützer USA und Deutschland bestand darin, genau das zu verhindern. Dennoch tastet man sich mit dem als singulär zu bezeichnenden militärischen Beistand („Boiling the frog“-Strategie) immer näher an diese Grenze heran.„Applaus für Putin“: Selenskyjs Kritik an Joe BidenIn solcher Lage versteht sich das Treffen in der Schweiz als maßgebliche politische Initiative. Die Regierung Selenskyj tritt mit ihrer „ukrainischen Friedensformel“ an – vollständiger Rückzug der russischen Truppen, Bestrafung von Kriegsverbrechern, Reparationszahlungen, rasche Integration in NATO und EU –, um dafür international eine möglichst breite Unterstützung zu mobilisieren. Dies zielt besonders auf eine Reihe von Schlüsselstaaten des globalen Südens, die bisher nicht so eindeutig auf Distanz zu Russland gingen, wie es sich die Ukraine und der Westen wünschen.Nach Angaben der Schweizer Regierung sind 160 Einladungen ergangen, auf die es gut 100 Zusagen gebe. Es bleibt abzuwarten, wie wirksam die russische und die chinesische Diplomatie gegen eine Teilnahme argumentieren und ob dies durch westliche Gegenwehr neutralisiert werden kann. Die USA wollen hochrangig vertreten sein, freilich nicht mit dem Präsidenten. Wolodymyr Selenskyj kritisierte die Abwesenheit Joe Bidens bereits als „Applaus für Putin“ (ein weiterer Beleg für das Überziehen ukrainischer Politiker) und unterstrich damit paradoxerweise die Ambivalenz einer Konferenz, die gut gemeint, aber schlecht gemacht das dringend gebotene Einfrieren eines Konflikts eher untergraben als befördern dürfte. Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock wäre ein relativ wirkungsloser Etikettenschwindel.Der Schweizer Außenminister über RusslandUnter den gegebenen Umständen kann dieser Friedens- bestenfalls ein Solidaritätsgipfel sein, ein symbolischer Akt, der die politischen Fronten weiter verhärtet. So findet der Ansatz der Schweiz – traditionell eine geschätzte Organisatorin unparteiischer Vermittlung – inzwischen auch dort Kritik. Manche sprechen gar davon, dass man sich zu sehr von Präsident Selenskyj habe vereinnahmen lassen. Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis reagierte mit dem lauen Hinweis, es könne ja auf dem Bürgenstock auch darum gehen, wie man Russland für Gespräche gewinnen könnte.Politische Minimalziele des Treffens müssten sein, dass erstens eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland verhindert wird und zweitens, die Ukraine diesen Krieg zu möglichst guten Bedingungen übersteht. Die Abwägung zwischen Eskalationsrisiken und Hilfen für die Ukraine bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung ist anspruchsvoll und voller Dilemmata. Die angeführten Minimalziele sind essenziell. Was aber, wenn beide nicht gleichzeitig erreichbar sind?„Land gegen Frieden“Einen Ausweg zu finden, wäre die zentrale Aufgabe von Diplomatie – wenngleich wohl erst in einer „Post-Bürgenstock-Phase“. Hinter vorgehaltener Hand hört man aus westlichen Hauptstädten, dass es eine Diskussion über „Land gegen Frieden“ geben müsse und kaum jemand damit rechne, dass die Ukraine ohne territoriale Veränderung aus diesem Krieg hervorgeht. Wer diese Erkenntnis schon früher vertrat, wurde noch als Verräter der Ukraine oder Schlimmeres diffamiert. Die jüngsten Verhandlungssignale aus Moskau (auch wenn bestritten wird, dass es sie überhaupt gibt) deuten darauf hin, dass ein Arrangement mit Russland machbar wäre, würde im Gegenzug ein wie auch immer gearteter Neutralitätsstatus der Ukraine vereinbart. Das mag aus ukrainischer und westlicher Sicht einstweilen inakzeptabel erscheinen. Nur wurde bislang die Lage nach jeder verspielten Verhandlungschance stets schlimmer. Und das besonders für die Ukraine. Solange derartige Überlegungen als „Siegfrieden auf Geheiß Russlands“ – so Kanzler Olaf Scholz – geschmäht werden, wird es keine Lösung geben.Die mantraartige Betonung der „ukrainischen Friedensformel“ und das moralgetriebene „as long as it takes“ sind keine realistische Strategie. Natürlich muss ein politischer Kompromiss über den Tag hinausweisen. Unabhängig von der Ukraine-Frage wird es einen Modus Vivendi zwischen dem Westen und Russland geben müssen, durch den ihre Koexistenz in einem Kalten Krieg 2.0 möglichst belastbar und ohne Dauereskalation gestaltet werden kann. Dafür sind Optionen erforderlich, die Realitäten zur Kenntnis nehmen, statt Durchhalteparolen als Politik zu verkaufen. Schweizerinnen und Schweizer: bitte übernehmen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.