Döner auf 5 Euro: Warum eine Preisbremse Verarsche ist. Und was wirklich helfen würde
Preisschock Eine Wirtschaftskrise hat den Döner einst groß gemacht. Doch heute setzt ihm die Inflation zu – und mit ihm allen Fans dieser einst so günstigen Mahlzeit. Über eine Ikone deutscher Alltagskultur in der Krise
Manchmal braucht es wenig, um glücklich zu sein. Ein Biss ins warme, knusprige Fladenbrot, dann die Vereinigung von Fleisch, Zwiebeln und Knoblauch-Scharf im Mund unter dem grellen Neonlicht. Das war einmal der Döner: eine komplette Mahlzeit auf die Hand, Proteine und Kohlenhydrate mit Soße und Glück nach einem harten Tag.
Eine türkische Speise, so sehr eingedeutscht, dass sie heute als „German Döner“ weltbekannt ist. Für viele Arbeiter:innen, Studierende, Schüler oder Rentner ein Grundnahrungsmittel mit Vitaminen obendrein, unschlagbar im Preis-Leistungs-Verhältnis. Das war einmal, denn der Döner steht gehörig unter Druck. Eine ganze Imbissbranche, einst Aufstiegschance für migrantische Kleinunternehmer, die rund die H
rund die Hälfte des Umsatzes von McDonald’s erwirtschaftet, kämpft gerade mit gestiegenen Kosten und sprunghaft verteuerten Zutaten. Und damit, zum Politikum geworden zu sein, zur inoffiziellen Inflationsmessgröße.„Hey, Mr. Dönermann, ich brauch deine Hilfe, Mann“, singt Lami Banani, doch heute braucht die Dönerbranche vielleicht selbst Hilfe. Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Preise für das beliebteste Fast Food Deutschlands drastisch gestiegen: Bezahlte man 2020 noch rund vier Euro für einen Döner im Fladenbrot, gehen dafür heute gut und gerne sechs bis acht Euro drauf.Am Döner wird die Inflation für alle sichtbar und greifbarKein Wunder, dass auf Tiktok seit Monaten Videos trenden, in denen junge Menschen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordern, den Dönerpreis zu senken. Und dass die Politik versucht, mit dem Döner zu punkten: Im Euro-Wahlkampf griff die SPD das Thema auf und verteilte in Berlin-Wedding Döner für drei Euro, höchstselbst subventioniert von Kevin Kühnert. Die jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei, Kathrin Gebel, forderte gleich eine „Dönerpreisbremse“.Klingt erst mal gut, aber wie soll das gehen? „Die Forderungen nach einem günstigeren Döner sind Schwachsinn“, sagt Ilker Atkay. Der 52-Jährige betreibt seit über 20 Jahren ein Döner-Restaurant in Berlin-Prenzlauer Berg, verkauft dort außerdem Halloumi und Falafel. Wegen gestiegener Preise für Lebensmittel, Strom und Gas musste er den Preis für seinen Döner erhöhen, der nun acht Euro kostet. „Dadurch haben wir auch einige Stammkunden verloren. Das tut sehr weh“, sagt Atkay. Vor allem Rentner:innen, die schon seit Jahren zu ihm kamen, könnten sich den Döner nun nicht mehr leisten.Gas, Mehl, Joghurt: alles teurerDass Politiker:innen einfach mal so Forderungen nach günstigeren Dönern in den Raum stellen, ärgert Atkay. Denn den Preis weiter zu senken, sei für Verkäufer wie ihn schlicht nicht machbar: Milchprodukte, Frittierfett, Salat – all das sei im Einkauf deutlich teurer geworden. „Ich verstehe die Kunden, die sich über die Preise beschweren“, sagt Atkay. Doch für ihn und seine Familie bleibe nach Abzug von Lohnkosten, Miete und Steuern kaum noch etwas übrig.Das liegt vor allem an den krassen Preissteigerungen seit 2020. Im Nachgang des Energiepreisschocks steigen auch die Mehlpreise seit 2020 um fast 60 Prozent, Joghurt wurde um 35 Prozent teurer, Gas und frisches Gemüse waren zudem von extremer Teuerung betroffen. Kein Zweig der Gastronomie blieb in den letzten vier Jahren von Inflation und Energiekrise verschont, selbst der US-Konzern McDonald’s erhöhte die Preise deutlich. Warum also ist es ausgerechnet der Döner, der zum inoffiziellen Inflationsmesser der Nation wurde?Historisch ist es wohl nicht übertrieben, zu sagen, dass der Döner bei der wirtschaftlichen Emanzipation türkischer Einwanderer:innen eine wichtige Rolle gespielt hat. Dabei war es die Wirtschaftskrise der 1970er, bei der durch eine „Rationalisierungswelle“ viele türkische Arbeiter:innen ihre Arbeitsplätze in deutschen Fabriken verloren. Die Abfindung, die ihnen bei der Kündigung gezahlt wurde, nutzten viele, um sich eine unternehmerische Existenz aufzubauen und so die finanzielle Zukunft ihrer Kinder zu sichern.Placeholder image-1Mit beeindruckenden Ergebnissen: Laut Angaben des Vereins Türkischer Dönerhersteller in Europa, ATDID e. V., erzielt die Dönerbranche in Deutschland jährlich Umsätze in Höhe von rund 2,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: McDonald’s erwirtschaftet 4,8 Milliarden.Mahlzeit für einen schmalen Taler: Döner ist ein Stück proletarischer Großstadtkultur„Der Döner spielt eine große Rolle im Alltag vieler Menschen“, sagt der Soziologe und Volkswirt Yaşar Aydın, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zu türkischer Migration und Diaspora forscht. Während der Döner noch in den 1960er Jahren vor allem für türkische Menschen, die in Deutschland lebten, ein Stück kulinarische Heimat geboten habe, sei er ab den 1970ern zu einem Imbiss für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen geworden, sagt Aydın: Für Schüler:innen, Studierende, Kinder und Rentner:innen war er eine günstige und bekömmliche Mahlzeit, ein Ausflug aus der heimischen Küche in die Welt hinaus.Aber nur ein kleiner, quasi mundgerechter: Dass der Döner in Deutschland so erfolgreich geworden sei, liege an seiner Flexibilität, sagt Aydın. Bald passte er sich in Rezeptur und Aufmachung dem deutschen Geschmack an. Salat und Soße etwa gehören zum traditionellen Rezept – über dessen Ursprung gestritten wird – nicht dazu. Außerdem wird in diesem nicht Rind- oder Hähnchen-, sondern Lammfleisch verwendet. Auch die Servierweise im Fladenbrot ist eher neu. Der Döner wurde eingedeutscht, so sehr, „dass wahrscheinlich nicht mal Nazis davor zurückschrecken, Döner zu essen“, sagt Aydın. Diese zunehmende „Germanisierung“ des Döners sei auch der Grund für seinen unvergleichlichen Siegeszug: in der Popkultur.Schon die Elektropunks Deutsch Amerikanische Freundschaft sangen über „Kebabträume in der Mauerstadt“. Tim Toupet dichtete mit der Zwiebel auf’m Kopf eine Schlager-Hommage an das Fleisch im Fladenbrot, und Mustafa’s Gemüse Kebap, bei dem auch Kanye West beim Berlin-Besuch in der Schlange steht, tat sich mit der Streetwear-Marke Diesel zusammen, um eine Modekollektion zu entwerfen. Jüngste popkulturelle Kebab-Verpuppung sind die „Dönerfluencer“ auf Tiktok, Youtube und Instagram, die Hunderttausende Follower mit Döner-Content bespielen.Die Politik hilft nicht. Und die Dönerfluencer?„Holle21614“, mit bürgerlichem Namen Holger Schwietering, ist so was wie ein Ein-Mann-Guide-Michelin des Döners: Er vergibt Punkte, erstellt Rankings, lobt und tadelt je nach Fleischqualität und Geschmack. Denis Gashi hingegen, der mit 120.000 fast ein Drittel so viel Follower hat, beschränkt sich darauf, täglich vor laufender Kamera einen Kebab zu verspeisen. Einzige Abwechslung: wenn er einen „Dürüm-Tag“ einlegt. Bizarrer Internethype oder serielle Kunst? So genau kann man das gar nicht sagen.Laut dem Soziologen Aydın hat die popkulturelle Verbreitung des Döners auch damit zu tun, dass er in das „Multikulti-Selbstbild“ deutscher Großstädte passe. Weil er die richtige Dosierung aus kulinarischer Abwechslung und Anpassung an deutsche Vorlieben zu bieten hat. Der Döner ist jung, mediterran, gleichzeitig nicht zu exotisch für den deutschen Gaumen.Das hat dazu geführt, dass sich in Dönerläden migrantisches Unternehmertum in besonderer Form etabliert hat, es prägt das Stadtbild und den Alltag der Menschen. Was auch dazu führt, dass Dönerläden in klischeehafter Verkürzung mit türkisch-deutschen Unternehmen überhaupt assoziiert werden. Schlug nicht auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in diese Kerbe, als er, gewappnet mit Dönerspieß und -messer, zum Staatsbesuch in der Türkei beim dortigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aufschlug?Rassismus und „Döner-Morde“Wenn der Döner zum Symbol wird, beispielsweise für Migration schlechthin, wird es gefährlich: Dann ist es nicht mehr weit bis dahin, dass Dönerläden zum Angriffsziel werden, wie 2019 in Halle, als ein Attentäter aus rassistischem Motiv zwei Menschen in einem Döner-Imbiss erschoss, nachdem er daran gescheitert war, in die dortige Synagoge zu gelangen. Auch während der Mordserie des NSU 2000 bis 2006 fielen Betreiber von Dönerläden den Attentätern zum Opfer; die rassistische Auswahl der Opfer des NSU komplettierten dann Polizei und Presse, indem sie statt von Nazi-Terror von „Döner-Morden“ sprachen.Inzwischen macht sich auch Dönerladen-Betreiber Atkay Sorgen um die Zukunft seiner Kinder; der Grund aber liegt vor allem in der Inflation und den hohen Energiekosten. „Ich habe Glück, dass ich schon lange hier bin, die Nachbarschaft kenne und viele Stammkunden habe“, sagt Atkay. Trotzdem sei sein Laden, der in der Vergangenheit als Treffpunkt für Rentner, Jugendliche und Bürogänger gedient habe, gerade um die Mittagszeit immer öfter ausgestorben, erzählt er. „Immer mehr Leute arbeiten im Homeoffice, dadurch bricht ein großer Teil des Mittagsgeschäfts weg.“ In die Zukunft blicke er zwar positiv. Aber dass der Döner wieder auf sein altes Preisniveau wie vor dem Jahr 2020 zurückkehre, sei für ihn ausgeschlossen.Wie soll es mit dem Döner weitergehen? Er wird popkulturell gefeiert, leidet aber darunter, dass er ohne Zutun zur Inflationsmessgröße wurde. Als Mittel des wirtschaftlichen Aufstiegs migrantischer Unternehmer kann das Dönergeschäft kaum noch dienen, auch seine Rolle als bunter Treffpunkt droht der Döner-Imbiss zu verlieren. Politische Instrumentalisierung wird kaum dabei helfen, diese Entwicklung zu stoppen. Vielmehr scheint sie auf verkürzte Art und Weise junge Wähler:innen zu adressieren, ohne die Probleme, unter denen die Dönerbranche leidet, ernst zu nehmen.Doch der Tod der Döner-Industrie wäre fatal. Schon wegen seiner einzigartigen kulturellen und wirtschaftlichen Funktion hat es der Döner nicht verdient, die Wut der Nation auf seinen Schultern zu tragen. Stattdessen sollte er weiterhin die Gesellschaft zusammenbringen, wie nur er es kann: mit knusprigem Fladenbrot, günstig, sättigend, mit Knoblauch-Scharf, glücklich unter dem Neonlicht.Placeholder authorbio-1
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