Schlimm, furchtbar, auweia: So bekämpfen wir den Klimawandel nicht

Medienkritik Starkregen und Hochwasser: Die Berichterstattung über die neue Flutkatastrophe bleibt bei Schock und Mitleid stehen. Dabei zeigt sich jetzt in Süddeutschland, dass die soziale Frage nicht mehr stellbar ist, wenn es ums nackte Überleben geht
Ausgabe 23/2024
Feuerwehrleute im oberbayerischen Eichenau, 1. Juni 2024
Feuerwehrleute im oberbayerischen Eichenau, 1. Juni 2024

Foto: Michaela Stache/AFP/Getty Images

Katastrophenberichterstattung ist unterkomplex. Was soll man auch sagen bei Starkregen, der seit Monatsbeginn aus lieblichen Bächlein reißende Flüsse macht, Dämme brechen lässt, Menschen tötet? Landunter, ähnliche Bilder wie 2021 im Ahrtal. Diesmal sind Bayern und Baden-Württemberg dran: Menschen, die ohnmächtig in die Kamera gucken. In Bayern mussten 3000 Menschen fliehen, mit dem Nötigsten am Leib. Baden-Württemberg meldet nach Auspumpen eines Kellers zwei Tote in Schorndorf. In Rudersberg kochen sie jetzt Trinkwasser ab.

Als Ergebnis des Klimawandels müssten wir „damit rechnen, dass wir so was häufiger bekommen“, erkennt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) anlässlich eines Besuches in der Gemeinde Meckenbeuren. Im ebenfalls heftig betroffenen oberbayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen beginnen die traurigen Aufräumarbeiten. Dort starb eine 43-Jährige in einem Keller. Der ARD-Brennpunkt zeigt Fassungslose, Schluchzende, Helfende. „Das Wasser ist erdrückend“, heißt es, „wir sind am Boden“. Feuerwehrleute haben „den Kampf verloren“ und geben die Häuser auf, um sich „nur“ noch um die Menschen zu kümmern. Einer, 42 Jahre, starb im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm bei einer Rettungsaktion mit dem Schlauchboot. Für die Donau erwartete man die Scheitelwelle am Dienstagabend. Dem Entsetzen wird Trauer folgen. Dann Aufatmen. Aufräumen. Und dann? Verdrängung as usual?

Mit Sandsäcken bekämpfen wir den Klimawandel nicht

Wir Deutschen schippen und schaufeln und häufeln und reichen einander Sandsäcke bei unseren sich häufenden „Jahrhunderthochwassern“. Nur eine klitzekleine Sache kriegen wir so weiterhin nicht hin: uns um die Ursachen zu kümmern. Deshalb verlieren wir, gemeinsam mit der hilfsbereiten Weltgemeinschaft, den „Kampf gegen den Klimawandel“. Weil: Wir kämpfen nicht.

„Wir sind auf Kurs“, hatte der grüne Wirtschaftsminister im März voreilig behauptet, doch nicht mal die „Klimaziele“ für 2030 wird Deutschland mit der Ampel erreichen. Dazu müssten wir mindestens 65 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990, und damit wird es eher nichts, prophezeit nicht die Letzte Generation, sondern der unabhängige Expertenrat. Unser gewohnter Wohlstand samt Urlaubsflügen, Heizölroutine, Autofetisch, quasi naturgesetzlich verfügter industrieller Landwirtschaft und Konsum-Konsum-Konsum verstößt gegen das Klimaschutzgesetz. Und was folgt draus?

Die soziale Frage bei Klimagesetzen – aber nicht bei Überschwemmungen?

Weil wir davon immer noch nichts hören wollen, am wenigstens in den arbeitsplatzwichtigen Unternehmen und unter Wohlhabenden, die das Gros der Klimaschäden verursachen. Wir spenden Mitgefühl und Geld, damit die Häuser exakt an derselben flutgefährlichen Stelle wieder aufgebaut werden können wie vorher, und sind erleichtert, wenn wir in bislang „nur“ von Trockenheit betroffenen Regionen unsere Ferienhäuschen ohne erneuerbare Energien kuschlig beheizen, samt Mikrowelle, Espressomaschine, Sauna und Pool. Der böse Heizungshammer konnte durch tatkräftige springerpresseliberale Empörung gerade noch so abgewendet werden: Die wenig wohlhabenden Hausbesitzer unter uns atmeten auf, bloß um jetzt feststellen zu müssen, dass das Haus unter Wasser steht.

Wenn wir links sind, regen wir uns lieber auf über die soziale Kälte beim Klimaschutz, nicht jede kann sich kein-Fleisch-kaufen leisten. Schließlich muss, damit es gerecht zugeht, umweltschädliches Leben erschwinglich für alle bleiben.

Verzweiflung im ausgepumpten Keller

Klingt zynisch? Es ist nur Verzweiflung. Über eine brutal herrschende Inkonsequenz. Und über eine sich, ohne rot zu werden, grün dünkende Regierungspartei, die in ricarda-langistischer Eloquenz an Symptomen herumdoktert und „die Menschen mitnehmen“ will – wohin? Es ist so verlogen, so zu tun, als wäre grüner Kapitalismus besser für die Armen und als wäre grüner Wachstumswahn keiner. Als würde alles gut, wenn das Geld nur noch den Guten gehört. Von Hochwasser zu Hochwasser, von Dürre zu Dürre entpuppt sich die sich ihrer selbst nicht mal bewusste Ideologie des Weiter-so als Fata Morgana. Und keiner der wohlsituierten Politiker und Kommentatoren hat über den wohlwollenden Gummistiefeln genug Arsch in der Hose, das auch nur anzudeuten. Nein, jetzt ist nur Zeit für betroffene Blicke in die Kamera.

Also machen wir weiter. Ereifern uns inbrünstig über Heizungsgesetz- und Gebäudeversicherungskleingedrucktes, um nur ja nicht auf dem Boden der Tatsachen zu landen: im ausgepumpten Keller, schlimmstenfalls neben einer Leiche. So stopfen wir umgehend jeden vernünftigen Ansatz für radikales Umdenken in die fotogenen Sandsäcke, pluff. Die halten nicht, sehen aber hilfreich aus, von Flut zu Flut. Man gewöhnt sich an alles. Die Jahrhundertselbstbeschwichtigung kann weitergehen.

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Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Katharina Körting

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