Ukraine: Für Umweltschutz wird Ivan nicht vom Kriegsdienst zurückgestellt
Ukraine Ivan lebt weitab von der Front, aber ständig droht die Einberufung. Der Ökologe arbeitet bis zur Erschöpfung, um nicht an morgen zu denken – etwa an einem Projekt, in dem Roma-Mädchen ostukrainischen Geflüchteten Mülltrennung erklären
Auf die Frage nach Glück in Zeiten des Krieges fällt Ivan Tymofeiev vor allem eines ein: die Arbeit
Foto: Lennart Laberenz
Begrüßung, Ivan spricht leise, sein Lachen versiegt bald: „Wir sollten fahren.“ Es sei nicht so gut hier hinter dem Busbahnhof von Uschhorod, Hauptstadt der ukrainischen Karpaten. Er deutet auf das Auto, helle Stimme: „Erkläre ich dir gleich.“
Ivan Tymofeiev, geboren in einer heißen Nacht, 9. Juli 1993, die Ukraine war schon eine unabhängige Republik, beschleunigt sanft. Wenn jemand einbiegen will, lässt Ivan ihn vor. Also, sagt er, schon ein paar Straßen weiter, es sei nicht sicher am Bahnhof. Aus dem ganzen Land kämen Menschen nach Transkarpatien, der westlichsten Oblast, manche mit dem Plan, es über die Grenze in die Europäische Union zu schaffen, illegal. Ivan meint Männer im wehrfähigen Alter. Es gebe K
meint Männer im wehrfähigen Alter. Es gebe Kontrollen. Später zieht er sein Telefon hervor, zeigt Bilder aus einer Messenger-Gruppe, solche gibt es jetzt überall im Land. Sie beobachten einen weißen Bus, daneben Polizisten, Soldaten. Wer angehalten wird, braucht gute Papiere. Und Glück: Manchmal würden auch gute Papiere nicht genügen, dann nähmen einen die Soldaten mit. „Dann bist du“, sagt Ivan, „vielleicht in ein paar Wochen an der Front.“Tischtennis-Training in BerlinWenn man Ivan Tymofeiev besucht, kann man viel über ein Dilemma lernen, das aus Loyalität entsteht. Er ahnt, dass er bald zum Militär eingezogen wird. Bis dahin versucht er das voranzutreiben, was sein erwachsenes Leben ausmachte: Umweltschutz. Nur hat der gerade kaum Relevanz, es werden sogar Projekte vorangetrieben, die Ökosysteme angreifen, Brutstätten vernichten, dürftig mit Hinweisen auf den Krieg bemäntelt. Ivan Tymofeiev muss vielleicht ein Land verteidigen, das ihm das, wovon er tief überzeugt ist, noch schwerer macht.Ivan und ich kennen uns aus Berlin, seit fast fünf Jahren lebt er da, wir spielen Tischtennis im selben Verein. Man verabredet sich zum Training über eine Messenger-Gruppe.12. Februar 2022: „ivan, hättest du lust, morgen zu trainieren?“Ivan antwortet mit einem Bild. Er sitzt in einer Wartehalle: „Bin gerade am BER, fliege in die Ukraine.“ Im März will er zurück sein.Ausreise nicht mehr möglichZwölf Tage später greift Russland die Ukraine an. Seitdem darf Ivan nicht mehr ausreisen. Er wohnt jetzt wieder bei seiner Mutter im Plattenbau: Novo Rajon, fünfte Etage, zwei Zimmer. Das links ist seines.Am 16. April 2024 unterzeichnete Präsident Wolodymyr Selenskyj das Mobilisierungsgesetz: Ab Mitte Mai haben alle Bürger zwischen 18 und 60 Jahren drei Monate Zeit, um ihre Registrierung bei der Militärbehörde zu klären, Gründe für Rückstellungen anzugeben. Strafen werden hochgesetzt, konsularische Dienste für geflohene Ukrainer im Ausland sollen eingeschränkt werden. Es gibt viel Kritik, Außenministerium und Botschaften wissen nicht, wie sie mit der Anweisung umgehen sollen; Politikwissenschaftler schütteln den Kopf über die Art, wie das Gesetz kommuniziert wurde. Dabei, sagen sie, sei doch der Präsident einer, der Dinge gut erklären könne.Loyalitäten: „Ich bin“, sagt Ivan, „zuerst Ukrainer.“ Aber auch: stellvertretender Teamleiter beim Naturschutzbund Deutschland, zuständig für Asien und Osteuropa. Nachhaltigkeit, Umweltschutz sind seine Lebensthemen, in der Ukraine ist er für drei Partner zuständig, für 37 Mitarbeiter in Kirgistan, Ivan zählt Projekte ihn zehn Ländern auf, von den Karpaten bis in die Mongolei.Die in der Ukraine will er zeigen, schickt den Reporter nach Berehowe, eine Kleinstadt, in der mehrheitlich ungarisch gesprochen wird, das Nachbarland ist nicht weit, in der Morgensonne hängt Staub. Hier unterstützen sie ein Kulturzentrum, Kinder bekommen Umweltunterricht, Schleiereulen werden geschützt, gebrochene Knochen kuriert, Störche aufgepäppelt.Tiefer in den Bergen, im Nationalpark Synewyr, ist es kühler, der stellvertretende Leiter zeigt auf Moore, die sie vor der Landwirtschaft bewahren, auf Bären, für die Ivan mit deutschen Partnern Impfungen und Medizin besorgte. Viele Menschen, erzählt der stellvertretende Leiter, hätten seit Kriegsausbruch die Parks entdeckt. Nur werde ihre Personaldecke dünn – die Männer müssten zum Militär. Auch in Synewyr werden Kinder unterrichtet.Ivan kann bei solchen Fahrten nicht mitkommen, unterwegs gibt es Militärkontrollen: Auf Papiere und Glück will er nicht setzen, für Umweltschutz wird man nicht zurückgestellt. Er muss sich vorsichtig bewegen. Und ja, längst könnte er aus Berlin mehr erreichen, sagt er. Der Satz fällt ihm nicht leicht. Zehn Prozent seiner Arbeit haben mit der Ukraine zu tun. In dieser Woche sollte Ivan in Tadschikistan sein, ein Projekt für Streifenhyänen.19 Prozent der Bevölkerung sind bereits bei den StreitkräftenDie Regierung, sagt Olexiy Haran, stünde nicht schlecht da, und noch immer glauben 83 Prozent der Ukrainer an einen Sieg in den nächsten Jahren. Haran ist Professor an der Universität zu Kiew-Mohyla und Recherchedirektor der Democratic Initiatives Foundation, die solche Umfragen erhebt. Haran hat noch ein Diagramm, es ist ein Jahr alt: 19 Prozent der Bevölkerung seien bereits bei den Streitkräften oder wollen sich mobilisieren lassen, über ein Drittel der Ukrainer wollen mit freiwilliger Arbeit, Geld, Blutspenden einspringen.Ivan hat Tourismus und Ökologie studiert, in Sommern verdiente er sich dafür Geld als Rezeptionist auf Mallorca. Da lernte er Deutsch – und dass wenige Gäste wussten, dass die Ukraine ein eigenständiges Land mit eigener Sprache sei. Seit er nicht mehr ausreisen darf, arbeitet er im Büro einer Partnerorganisation, an einem runden Tisch in der Residenz des griechisch-katholischen Bischofssitzes. Da zeigt er auf einen Stuhl: „Hier sitzt mein Körper. Meine Gedanken sind meistens in Berlin.“Nach dem russischen Überfall wollte er seine Familie unterstützen, die ukrainischen Partner, es gab viel zu tun. Er verschickte Sprachnachrichten, helle Stimme, kämpferischer Ton. In diesem Frühsommer hat sich die Überzeugung vom Kriegsbeginn dünn gerieben, die Euphorie, als die Ukraine im Herbst 2022 sogar Regionen zurückeroberte, ist verweht: Die Ukraine hätte einen wichtigen Moment verpasst, sagt er. „Nicht aus eigener Schuld. Sondern, weil wir ohne Waffen und Unterstützung dastanden.“Waffenlieferungen aus DeutschlandVielleicht hält sich hier, im Westen des Landes, wo der Blick nach Ungarn geht, viele in Österreich arbeiten, die Enttäuschung über zögerliche militärische Unterstützung besonders lang. Die 5.000 Helme, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) anbot, unterspülen noch immer Waffenlieferungen aus Deutschland, die heute weit darüber hinausgehen. Sie hätten nicht die Mittel, sagt Ivan, um den Krieg zu gewinnen. Kaum genug, um sich zu verteidigen. Arbeiten helfe gegen Nachrichten von der Front, Ivan erzählt vom Bewahren: In den Karpaten gebe es noch 15 Brutpaare der Schleiereule, noch einmal 15 auf der Krim. Erzählt vom Entwickeln: Roma-Kinder, die sie an Umweltschutz heranführten, erklären jetzt denen, die aus dem Osten flohen, die Mülltrennung.Fahrt in einen Vorort, in einem Wohnhaus mit Garten sind Umweltschutzorganisationen untergebracht, im Sitzungsraum Karten, Fotografien, überquellende Regale an den Wänden: Oxana Stankiewicz-Volosianchuk ist Biologin, Oleh Luksha Physiker, außerdem sind sie seit Jahrzehnten die bekanntesten Umweltschützer der Karpaten. Das Gespräch reicht bis in Einzelheiten: Sie erklären, wie in der Ukraine der Krieg auch als Erklärung um Projekte gehüllt werde, die Umweltschutzzonen bedrohen, sogar wirtschaftlich zweifelhaft seien.Die Windparks machen ihnen SorgenVor allem ein Windpark in der Region macht ihnen große Sorgen, 520 Megawatt Kapazität, immer aufgeteilt in zwanzig Anlagen hier, dreißig dort, dafür sollen Berge rasiert, Beton tief in die Erde getrieben, Straßen angelegt werden. Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau würden dafür genutzt. Wenn man da nachfragt, antworten Pressesprecher, dass sie die „green transition“der Ukraine unterstützen, gerade nicht mehr dazu sagen wollen.Stankiewicz und Luksha zeigen Grafiken und Unterlagen, die ihnen aus Verwaltungen zugespielt werden, Prospekte mit glücklichen Paaren vor Windturbinen. Ein Impressum fehlt. Sie kennen Politiker, die in kleinen Orten mit lauten Versprechungen für Zustimmung werben. Die Verbindungen zögen sich bis ins Präsidialamt nach Kiew.Das Bernstein-Business boomtBei vielen Ökologen, NGO-Mitarbeitern und Regionalverwaltungen wächst Angst: Allerlei Projekte würden rücksichtslos vorangetrieben. Die Umweltschutzorganisation WWF in Kiew kritisiert die stark gestiegene Abholzung der Wälder, die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen. Einem besorgten Brief der International Mire Conservation Group antwortete das Ministerium für Umweltschutz zusammengefasst: Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen. Die Regierung hat Genehmigungsverfahren für die Ausbeutung von Bodenschätzen beschleunigt – die Zahl der Bewilligungen für den Bernstein-Abbau stiegen 2023 um 1.400 Prozent. Der Preis für die Lizenzen sank kräftig. Bernstein liegt unter Mooren, zurück bleibt tote Landschaft. Für den Windpark in den Karpaten, erklärt Oxana Stankiewicz-Volosianchuk, werde ein Ökosystem zerstört, um Europa mit Energie zu versorgen. Orte ringsum würden kaum profitieren, Oligarchen hätten sich in Stellung gebracht. Oleh Luksha erwähnt Prozesse, Anfeindungen, Überwachung: „Umweltschutz ist noch nie so nebensächlich gewesen wie jetzt. Und der Druck auf uns noch nie so hoch.“Auf dem Rückweg ist es eine Weile still, dann will Ivan das Gespräch einordnen: Über 73 Prozent hatte Selenskyj bei den Wahlen 2019 bekommen, sein Gegenkandidat keine 25 Prozent. Den aber hätten Stankiewicz und Lukshah unterstützt. Ivan lässt Autos vor. Politik drehe sich immer um Seilschaften. „Ich lehne das ab. Auch wenn ich so vielleicht nicht weit komme.“Was bedeutet Glück für dich, Ivan, zwischen einem Abnutzungskrieg, der Enttäuschung über Europa, dem Eindruck, dass Umweltschutz kaum eine Rolle spielt? Ivan nimmt sich Zeit für die Antwort. Doch, ihm fällt die Arbeit ein. „Es sind schon 20.000 Kinder, verstehst du?“„Der Krieg ist in jeder Straße, in jedem Haus“Abschiedsspaziergang, am frühen Abend sind die Ufer der Usch, die Altstadt und neuere Viertel trennt, bevölkert von Liebespaaren; Jungs stehen herum, Musik tropft aus Cafés. Hast du den Eindruck, dass wir im Westen verstehen, um was es hier in der Ukraine geht? „Nein.“ Die Antwort ist fest, Ivan wirft sie wie einen Kieselstein. Der Krieg werde sich über Generationen strecken.Er zählt Nachbarn auf, Freunde, die an der Front sind. Sie bringen Geschichten mit, Ivan, hat ein Nachbar gesagt, denk an das Computerspiel Grand Theft Auto, Regellosigkeit, Gewalt, eine surreale Aufhebung der Realität. So sei die Front. Multipliziert mit einhundert. Aus Ivans Stimme ist alles Lachen gewichen: „Der Krieg ist in jeder Straße, in jedem Haus.“ Außerdem, die Normalität, er macht eine Handbewegung zum sanften Abend, könne jeden Moment vorbei sein. Zieht das Telefon hervor, der weiße Bus, die Soldaten standen am Nachmittag da, wo er eben das Auto parkte. Auch mit Krankenwagen sammeln sie jetzt Männer ein. Illegal auszureisen, lehnt Ivan ab.„Was für ein Pech, so einen Nachbarn zu haben.“ Ivan Tymofeiev, der Körper hier, die Gedanken dort, geht ins Fitnessstudio. Fünf Kilogramm hat er zugelegt, gegen die Angst. Lächelt. Er will, er muss bereit sein.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.