Fußball im KZ Buchenwald: „Eineinhalb Stunden lang keine Knüppel oder Galgen“
Nationalsozialismus „Nervenbad“ für die SS, Empowerment für die Häftlinge: Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald beleuchtet die Rolle des Fußballs im Lageralltag. Und in Weimar wirbt eine Sportinitiative gegen rechts
Fritz Förderer, Gottfried Fuchs und Julius Hirsch spielten gemeinsam beim Karlsruher FV. Nach 1933 wurden Fuchs und Hirsch verfolgt, Förderer wurde 1939 Trainer in Weimar
Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 8/SPOA 1300
Der Regen kommt mit großen Tropfen, also ein kleiner Umweg, bevor wir zu der Ausstellung Fußball und das KZ Buchenwald gehen: Rikola-Gunnar Lüttgenau hat Schirme im Büro. Er macht eine Handbewegung zum Parkplatz, da warten noch ein paar Dienstwagen der Oberklasse, alle Fraktionsvorsitzenden der Linken waren am Morgen zu Besuch. Lüttgenau, stellvertretender Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald, hat sie über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers geführt. Etliche Politiker sind schon abgereist. Wie die Dinge so liegen, könnten beim nächsten Besuch die noch verbliebenen drei Fahrzeuge genügen, um die meisten Funktionsträger der Linken auf den Ettersberg zu fahren.
Fragt man Lüttgenau, wie nach den Wahlen z
e nach den Wahlen zum Europäischen Parlament und zu den Kommunalvertretungen die Stimmung so sei, atmet er scharf ein. Seit 32 Jahren arbeitet der Historiker für die Gedenkstätte (sein Büro liegt in einem ehemaligen SS-Verwaltungsgebäude), Anfeindungen und Provokationen seien sie gewohnt. Als er vor einiger Zeit das Hausverbot gegen AfD-Politiker bestätigte, schaute er Unterlagen durch, ihm fiel auf, dass er schon Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vom Nationalsozialistischen Untergrund verwehrt hatte, das Gelände zu betreten. Die beiden waren in SA-Uniform aufgetaucht.Radrennen am EttersbergSeit einer Weile aber gebe es eine neue Qualität. Menschen beschmieren Schilder, hinterlassen eingeritzte Hakenkreuze, nehmen Mitarbeiter in der Stadt direkt aufs Korn. Lüttgenau erzählt von zeternden Rentnern, die sich vor ihm aufbauten, wohl aus dem Umfeld der Gruppen, die montags durch Weimar spazieren, eingehüllt in die typische Mischung aus Russlandbegeisterung, Untergangsbeschwörung, Hass gegen Grüne und alles Fremde.In der Stadt hat zwischen Schwimmbad und dem Wimaria-Stadion die Initiative „Verspielte Freiheit“ auf Kunstrasen einen Fußballplatz gebaut, mit großer Leinwand und Kiosk. Man kann von den Organisatoren allerlei hören über die Schwierigkeiten mit der Verwaltung, die saftige Miete (eigentlich sollten hier Autos parken), aber auch die Freude über die Jugendturniere, die sie hier veranstalten. Und über die nervöse Hoffnung, mit ihren „Kioskgesprächen“ zu Fußball am Ende der Weimarer Republik unter dem Radar der rechten Szene zu bleiben.Auf dem Ettersberg erzählt Lüttgenau, wie sich rechte Strukturen verstetigten und dass das Gepöbel nun selbstbewusst vorgetragen werde. „Normalisiert“ ist ein Begriff, den er später noch einmal verwenden wird, wenn es um den wesentlichen Grund des Besuchs geht: die Ausstellung über Fußball im Konzentrationslager.Zu ihr führt überraschenderweise ein Radrennen. Vor ein paar Jahren hörten die Ausstellungsmacher davon, dass die Deutschland-Tour am Ettersberg eine Bergwertung veranstalten und sogar direkt am Lager vorbeifahren sollte, ohne irgendwie auf die Geschichte des Ortes hinzuweisen. Solchen Unterfangen, sagt Lüttgenau recht resolut, sei der Berg aber nicht gewidmet.Also riefen sie bei den Organisatoren an, setzten einen Blog auf, schrieben Einträge zu den damals internierten Radsportlern und erinnerten an ein Sprintrennen 1937 – das Jahr, in dem das KZ Buchenwald fertiggestellt wurde und die ersten Häftlinge in das Lager kamen. Die Stadt Weimar machte aus alldem eine Ausstellung, die französische Partnerstadt schaffte es, die Tour de France mit einzubeziehen. Radsporthistoriker und Medien recherchierten plötzlich zur Rolle des Radsports im Nationalsozialismus. „Eine schöne Erfahrung“, sagt Lüttgenau. Zu sportlichen Großereignissen eine Verknüpfung herzustellen, das wollten sie weiterverfolgen.Es gebe noch eine zweite Erfahrung, und die sei unschön. Fußballvereine, Fanprojekte fragten zwar immer wieder an, besuchten das ehemalige Lager, hielten Studientage ab. Lüttgenau zählt Vereine der halben Bundesliga auf, mit denen sie kooperierten. Macht dann eine kleine Pause, holt wieder Luft: „Doch wir haben keine einzige Kooperation mit ostdeutschen Vereinen. Null. Nada.“ Und nur mit denen zu arbeiten, die auf sie zukämen, behagt ihm nicht – immerhin hätten sie den Auftrag, möglichst breit zu wirken. Zustimmung zu dem, was als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gewertet wird, findet sich genug in der Region. Deshalb gibt es zur EM also die Ausstellung Fußball im KZ Buchenwald, eine dokumentarische Recherche, die vor allem über einzelne Personen Zusammenhänge herstellt. Vor dieser stehen wir jetzt, der Regen hat sich als Husche herausgestellt.Drei Stelen stehen entlang des „Caracho-Weges“ (über den hatte die SS die Häftlinge gejagt), im Lager selbst elf weitere. Die Trennung spiegelt die beiden Funktionen und Welten, in denen Fußball dort eine Rolle spielte. Spätestens die Olympiade 1936 zeigte, dass das NS-Regime Sport auch propagandistisch einsetzte und mit ihm nicht nur Körper für militärische Zwecke stählen wollte. Auch Fußball sollte zur Propaganda beitragen. Der zuständige Minister Joseph Goebbels beobachtete beim Spiel gegen Norwegen ein „Nervenbad“, wie er in sein Tagebuch notierte. „Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie. Das Spiel als Massensuggestion.“ Allerdings verloren die Deutschen, ein Umstand, der sich in den kommenden Jahren wiederholen sollte. Ende 1942 wurden Länderspiele wohl auch deshalb untersagt.Ein Trainer für die SSMassensuggestionen sollte bis dahin allerdings auch die SS auslösen, von elitärer Überlegenheit nämlich, und andererseits das vorantreiben, was Lüttgenau „Normalisierung“ nennt: Fußballspiele sollten die SS nahbar machen und sie als Teil von Stadt und Region präsentieren.Dafür brauchte es in Buchenwald einen Trainer. Friedrich „Fritz“ Förderer hatte zusammen mit Julius Hirsch und Gottfried Fuchs beim Karlsruher FV und für die Nationalmannschaft gespielt, 1910 wurden sie Deutscher Meister. Förderer arbeitete ab 1939 in Weimar als Platzwart und Sportlehrer, zwei Stunden in der Woche trainierte er die „SS-Sportgemeinschaft Buchenwald“, im Januar 1942 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP. Im Jahr darauf wurde Julius Hirsch nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach 1945 arbeitete Förderer weiter als städtischer Angestellter, trainierte die SG Weimar-Ost.Im Lager sind Fußballspiele zunächst auf einem abschüssigen Gelände dokumentiert; nachdem Baracken des Pogromsonderlagers abgerissen wurden, musste hier eine Mannschaft jüdischer Häftlinge gegen eine aus nichtjüdischen Gefangenen antreten. Der Fußballplatz gehörte zu den Orten, die die SS Besuchern gerne zeigte, er sollte den brutalen Alltag überdecken. Lüttgenau und sein Team fanden einige bekannte Fußballer unter den Häftligen: Eugène Maës gewann die Trophée de France, war in der französischen Nationalmannschaft aufgelaufen. Der in Budapest geborene Henrik Nádler wurde ins Außenlager Ohrdruf verschleppt. Der Schriftsteller und Fußballfunktionär Fritz Löhner-Beda kam im September 1938 nach Buchenwald, von ihm stammt der Text des Buchenwald-Liedes.Damit öffnet die Ausstellung einen Blick auf den Lageralltag, zu Spielen an arbeitsfreien Sonntagen kamen bis zu 2.000 Zuschauer, über Lautsprecheranlagen kommentierte ein Ansager sie bis in die Baracken. Für das, was auf dem Platz geschah, hat Lüttgenau aus Erinnerungen und Zeugenberichten herausgelesen, was er „Empowerment“ nennt: Louis de Wijze, der in Nijmegen für Quick 1888 aufgelaufen war, spielte in Buchenwald und nach seiner Deportation auch in Auschwitz Fußball. Er überlebte die Lager und erinnerte sich, dass das Spiel ihm „Selbstvertrauen und Selbstachtung“ gegeben habe, hier, wo „der Tod zum alles beherrschenden Faktor um uns herum geworden ist“, bedeutete es eine Ablenkung. Wenn er sich das bunte Trikot überstreifte, habe er sich nicht mehr wie ein farbloses Herdentier gefühlt: „Eineinhalb Stunden lang gibt es keine Befehle mehr, keine Knüppel oder Galgen.“Lüttgenau erzählt auch von verpassten Gelegenheiten: Das EM-Auftakttrainingslager organisierte der DFB in Thüringen, im Golfressort Blankenhain – während der Zeit des Nationalsozialismus Teil der Landesheilanstalt, einer Einrichtung, in der Ärzte „unwertes Leben“ deklarierten und in Tötungsanstalten abschoben. Lüttgenau kontaktierte den DFB, um anzuregen, eine Veranstaltung zu diesem Thema zu machen. Wenn man ihn fragt, wie die Antwort ausfiel, atmet er länger scharf aus. Das klingt etwa so: Pfffft.Bei den Europawahlen fiel die AfD in Weimar erst mit den Stimmen im letzten Wahlbüro hinter die CDU auf den zweiten Platz.Placeholder infobox-1
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