5x Steinige Straßen nach Dublin

Musik Der Weg ist hart und steinig – nicht nur zu Gipfeln. Ein altes irisches Volkslied beschreibt die Turbulenzen der Reise. Zwei Varianten, vier Songs und ein Star.

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Einige Dinge sind zeitlos. Bei manchen muß man zu den Anfängen zurückgehen. Sicher gehört The Rocky Road to Dublin zu den herausragenden Gassenhauern des traditionellen irischen Liedguts. Allerdings: Anders, als enthusiastische Linkspartei-Feten und Folkpunk-Konzerte vermuten lassen, handelt es sich bei dem beliebten Traditional keinesfalls um einen Rebel Song. Glorifiziert wird weder der steinige Weg zur Republik noch die Aktionen der Provos im britisch okkupierten Norden. Rocky Roads to Dublin ist im besten Sinn ein romantischer Song – einer, der in humorvoller Weise Mißgeschicke und Scheitern thematisiert. Am authentischsten klingt er darum in unverfälschtem Kontext – hier als Hintergrund in einem irischen Pub der 1960er Jahre.

Empfehlenswert: der dazugehörige Dokumentarfilm. 1968 thematisierte The Rocky Road to Dublin das Lebensgefühl der irischen Jugend – und ihre Meinung zu Popmusik, zu Sex, Abtreibung, zur allseits präsenten katholischen Kirche und zu den unkommoden, traditionsversperrten Verhältnissen in der in Selbstgenügsamkeit und zweifelhaften Arrangements erstarrten irischen Repubik. Heikel – bis in die 2000er blieb der Film in Irland verboten. Weswegen der Konzertausschnitt ein gutes Beispiel dafür ist, dass die Iren und Irinnen – von Guiness Beer abgesehen – nur drei Dinge haben: ihren Widerstandsgeist, ihren Humor – und ihre Musik.

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Ob herausragend, Mittelmaß oder grottenschlecht: Erfolgreiche Songs werden gecovert, so ist das in der Popmusik. Eine der originelleren Rocky-Road-Coverversionen ist The Rockier Road to Poland aus dem Jahr 2012 – eingespielt von Pogues-Urgestein Shane MacGowan zusammen mit der irischen Formation The Aftermath. Engagementstechnisch ist an dem Song nichts auszusetzen: die Verkaufserlöse des Songs wurden der Simon Community of Ireland for the Homeless zugeführt. Visuell gesehen offeriert der Clip eine irre Abfolge von Trash, Psychedelic und typisch irischen Humor. Sicher Punk, sicher hart, sicher auf der Höhe der Zeit – und ebenso sicher nicht jedermanns Geschmack. Wie sieht die sonstige Ausbeute aus? Üppig; die Anzahl weiterer Rocky-Road-Clips im Netz ist geradezu phänomenal. Aus popbildungsbürgerlicher Warte wäre hier etwa die Dubliners-Version für den Sherlock Holmes-Soundtrack aufzuführen, oder auch die – im Film gleichfalls verwendete – Version der Dropkick Murphys. Da diese Kolumne schon von der Aufgabenstellung her eine gnadenlose Vorauswahl zu treffen hat, an der Stelle nur noch zwei: die Pubkonzert-Einspielung von The Windrose und diese geradezu magische Homestudio-Eigenproduktion.

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Die Anzahl populärer irischer Traditionals ist bekanntlich Legion. 1987 taten sich die alten und die neuen Matadoren des Genres zusammen und veröffentlichten eine Maxi mit dem Doppel-Gassenhauer The Irish Rover und Whiskey in the Jar. 1990 folgte das, was bei kommerziell erfolgreichen Kooperationen zu erwarten ist: die Fortsetzung. Pogues und Dubliners befeuerten mit ihrem Fußball-WM-Schlachtsong Jack’s Heroes nicht nur die Folkfans, sondern auch die irische Nationalelf in Italy. Der Clip zum Song ist zweigeteilt. Der erste Teil offeriert bestes Zusammenspiel zwischen Traditionalisten und den Traditions-Novizen aus der Londoner Punk-Szene – und am Mike einen Shane MacGowan, der selten so mit sich im Reinen erscheint wie in diesem Clip. Teil zwei stellt unter Beweis, dass die Iren selbst eine ernste Sache wie den Fußball nicht unbedingt bierernst sehen. So kann man den Song auf zweierlei Weise nehmen: als Zeitdokument oder einfach als unprätentiöse Einspielung eines Gassenhauers.

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Anders als Rocky Road to Dublin ist Dirty Old Town ein jüngeres Gewächs. Entstanden ist der Song 1949, Autor der Folksinger Ewan MacColl. Auch Dirty Old Town gehört zu jenen irischen Songs, die ohne Ende gecovert und neuinterpretiert wurden – unter anderem von Esther & Abi Ofarim, der deutschen Formation Fiddler’s Green, den Dubliners und selbstredend den Pogues. Zu Shane MacGowan, der ihn oben interpretiert, standen die Wetten nach seinem Rauswurf bei den Pogues unterschiedlich. Auch ich gehörte zu jenen, die ihre Aktien damals eher auf die Band gesetzt hätten. Es kam anders. Die Pogues gerieten Ende der Neunziger aus dem Blickfeld. MacGowan hingegen startete mit unterschiedlichen Formationen durch – zugegeben meist betrunken, oft chaotisch und selten vorhersagbar. Aber mehr und mehr einer, der die irische Liedgut-Tradition in zeitgemäßer, authentischer Form repräsentierte – vielleicht als der einzige echte Rock’n’Roll-Star, den diese Form Musik hervorgebracht hat.

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Nur Folk-Geklimpere, muß das sein? Nun – zum Schluss hier echter Damned Fucking Rock’n’Roll. Anlässlich der Erdbeben-Katastrophe auf Haiti 2010 trafen sich mehrere nicht mehr ganz taufrische Herr- und Frauschaften im Studio, um einen Benefit-Song zugunsten der Erdbeben-Opfer aufzunehmen. Mit dabei: Shane MacGowan, Johnny Depp, Nick Cave, Glen Matlock, Pretenders-Muse Chrissie Hynde, Bobby Gillespie, Paloma Faith und Eliza Doolittle. Die Song-Auswahl fiel auf den Screamin’ Jay Hawkins-Evergreen I Put A Spell On You. Songauswahltechnisch sicher ein Glücksfall. Musiker und Interpret(inn)en sind erkennbar mit Enthusiasmus bei der Sache. Die Splitscreen-Technik im Clip passt nicht nur zu der dokumentierten Aufnahmesession. Zusammen mit den unverfälschten Farben setzt sie eine Referenz auf die Sixties und Seventies – eine Zeit, als Popmusik und Engagement noch keine zwei Paar Schuhe waren, sondern vielmehr zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

BISHERIGE FOLGEN DIESER KOLUMNE:

5x Magischer Realismus (29. Juni 2017)

5x Geschlechterkampf (14. Juni 2017)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz