Taxifahrer in Berlin: „Einmal musste ich einen Kollegen an der Ampel aufwecken“
Interview Mustafa Yılmaz hat Ingenieurwissenschaften studiert, heute fährt er jeden Tag neun Stunden Taxi in Berlin. Was verdient er? Wie sind seine Arbeitsbedingungen? Und wie geht er mit betrunkenen Fahrgästen um?
Das US-amerikanische Unternehmen Uber macht Taxifahrer:innen das Leben zur Hölle
Foto: Douglas Abuleo/Polaris/Laif
„Mein Chef sagt, so was sollen wir nicht machen“, antwortet mir Mustafa Yılmaz, der eigentlich anders heißt, als ich ihn nach einem Interview frage. „Das geht auch anonym“, sage ich und er willigt ein, mit mir über seine Arbeit zu sprechen. Seine Arbeit ist das Taxifahren. Im Taxi lernen wir uns kennen, Mustafa Yılmaz fährt mich zum Berliner Hauptbahnhof. Er ist sechzig Jahre alt und lebt in Berlin-Neukölln. Wenn ich mit Gepäck unterwegs bin, ist Taxifahren mein Luxus. Wie luxuriös ist das, in ein Auto zu steigen, das mich an der Haustür abholt und an einen gewünschten Ort fährt?! Und die viel wichtigere Frage: Wie luxuriös (oder eben auch nicht) ist es, dieses Taxi zu fahren?
der Freitag: Herr Yılmaz,
der Freitag: Herr Yılmaz, seit wann fahren Sie Taxi?Mustafa Yılmaz: Seit 29 Jahren. Vorher war ich an der Uni, habe Ingenieurwissenschaften studiert und nebenbei in der Gastronomie gearbeitet, bei großen Veranstaltungen, auf Messen. Ich kam aus Ankara nach Berlin für das Studium. Ingenieurwissenschaften zu studieren war damals richtig schwer, vor allem zusammen mit dem Nebenjob. In der Woche habe ich studiert, am Wochenende in der Gastronomie gearbeitet. Fürs Lernen hatte ich wenig Zeit und auch sprachlich war es schwierig, obwohl ich an einer Sprachschule war. Trotzdem war es nicht ausreichend, ich saß mit großen Wörterbüchern am Tisch. Ich habe auch kein Bafög bekommen, musste für alles selbst arbeiten. Mein Vater war einfacher Arbeiter, er sagte mir, er kann mir nichts finanzieren. In der Türkei war das wirklich schwierig. In Berlin war es grausam, alles so dunkel. Ich hatte am Anfang kein gutes Gefühl. Dann habe ich das Studium schleifen lassen, weil alles so anstrengend war. Freunde von mir machten damals einen Taxischein und ich habe das dann auch gemacht. Erst bin ich nur ab und zu Taxi gefahren. Nach drei oder vier Jahren wurde es dann zu meinem Vollzeitjob.Wurde das Gefühl in Berlin irgendwann besser?Ja, mit der Zeit wurde es besser. Als ich finanziell selbstständig war und sprachlich besser wurde. Irgendwann ist das hier Heimat geworden. Meine Frau habe ich auch in Berlin kennengelernt, sie arbeitet als Sozialarbeiterin.Haben Sie den Begriff „New Work“ schon mal gehört?Nein, noch nie.Haben Sie eine Idee, was er bedeuten könnte?Vielleicht irgendwas neu Erfundenes? Etwas Neues aufbauen? Sonst kann ich mir darunter nichts vorstellen.Es geht vor allem darum, wie sich Arbeitsbedingungen verbessern müssten, damit alle besser arbeiten können. Wie könnte denn Ihre Arbeit als Taxifahrer angenehmer sein?In letzter Zeit ist das Taxigeschäft richtig schlecht geworden. Die großen Kapitalunternehmen versuchen, Taxis zu vernichten. Uber, Bolt, Freenow, die machen Dumpingpreise. Ich frage mich, wie die selber klarkommen. So ein Wagen hat richtig viele Kosten. Viele Fahrer von Uber sind ohne Sozialversicherungen. Uber ist ja nur der Vermittler und kassiert dreißig Prozent vom Umsatz. Das Geld bleibt ja auch nicht in Deutschland, sondern geht weg nach Amerika. Es ist so schwierig, sich vorzustellen, wie die das machen. Es ist eine richtige Ausbeutung, also auch die Uber-Fahrer werden ausgebeutet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das besser werden könnte. Die einzige Möglichkeit wäre, dass man bei diesen Unternehmen die gleichen Bedingungen hat wie in Taxiunternehmen. Sonst geht das Taxigeschäft den Bach runter. Viele Taxiunternehmen haben deshalb jetzt schon aufgegeben.Wie läuft das Geschäft denn im Moment?In letzter Zeit merkt man schon, dass es den Leuten wirtschaftlich schlechter geht seit Corona. Einmal ist jemand eingestiegen und sagte, ich soll eine bestimmte Strecke fahren, die ungefähr 20, 21 Euro kostet. Er sagte, bei Uber würde er sieben Euro zahlen, ich sollte ihn also auch für sieben Euro fahren. Ich habe gesagt, nee, tut mir leid. Man muss ja eine bestimmte Summe für die Fahrt bekommen, damit es sich lohnt. Die Ausbeutung der Uber-Fahrer zeigt sich auch am unaufmerksamen Fahren. Morgens habe ich schon einen Uber-Fahrer bei einer grünen Ampelphase schlafen sehen. Ich musste dann neben ihn fahren und ihn aufwecken. Das ist wirklich gefährlich, weil die so viel arbeiten.Wie viel arbeiten Sie ungefähr pro Woche?Wenn es gut läuft, dann so neun Stunden am Tag, von Montag bis Freitag. Sonnabends fahre ich auch manchmal vier Stunden. In der Woche stehe ich morgens um kurz vor vier Uhr auf, dann laufe ich zum Wagen und um 4:30 Uhr beginne ich meine Arbeit.Was ist die beste Zeit fürs Taxifahren?Das hat sich geändert. Früher war es der frühe Morgen, so gegen fünf Uhr. Da gab es schöne Flughafentouren oder Touren zu Bahnhöfen und Jugendliche, die ausgegangen sind. In letzter Zeit fängt es oft gegen halb acht an und läuft gut bis mittags. Dann gibt es eine Pause und wenn ich um 15 oder 16 Uhr aufhöre, geht das Geschäft wieder los. Dann ist allerdings auch viel Verkehr.Wie viel Geld verdienen Sie im Monat?Das ist sehr unterschiedlich. Wir bekommen Mindestlohn und dann ein paar Prozent drauf, wenn es gut gelaufen ist. Aktuell habe ich so 1.000, 1.200 Euro im Monat. Manchmal sogar darunter. Wenn ich Alleinverdiener wäre, könnte ich davon nicht leben. Viele meiner Kollegen müssen noch Mietzuschuss beantragen. Einige arbeiten auch länger, zehn Stunden täglich, damit sie ein paar Euro mehr haben.Wie viel Trinkgeld sollte ich im Taxi geben, was meinen Sie?Zehn Prozent finde ich angemessen. Ich habe aber auch schon mal 20 Euro bekommen. Dabei bemerke ich auch Unterschiede: Amerikaner sind sehr großzügig, Engländer überhaupt nicht, Italiener auch nicht, Türken auch nicht. Deutsche geben meistens die zehn Prozent. Früher konnte man sich vom Trinkgeld auch mal was leisten, das geht heute nicht mehr. Es gibt weniger Trinkgeld als früher. Aber die Leute sind schon meistens nett.In vielen Städten gibt es jetzt die neue Option, ein Taxi mit Festpreis zu bestellen. Ist das besser für Sie als eine Fahrt mit dem Taxameter?Meine Chefs sagen, das sei nicht gut für uns, die Preise würden dadurch für uns runtergehen. Aber auf der anderen Seite ist es gut für den Fahrgast. Mal angenommen, die eine Route ist voll, dann kann ich ohne schlechtes Gewissen einen Umweg fahren, der aber schneller ist.Was ist das Anstrengendste am Taxifahren?Betrunkene Menschen, die Stress suchen. Das hatte ich einige Male, ich rufe dann die Polizei und die Polizeibeamten helfen dann. Da verliert man Zeit und Geld. Ich muss das dann als Fehlfahrt aufschreiben. Und die Straßenverhältnisse sind schlimm. Es gibt so viele gesperrte Straßen und Baustellen. Und in Anliegerstraßen dürfen wir auch nicht fahren. Das macht es oft komplizierter.Was ist das Schönste an Ihrem Job?Ich lerne wirklich sehr interessante Menschen kennen, die aus allen Nationen kommen. Ich bin auch schon mal zu Geburtstagen von Fahrgästen eingeladen worden. Aber da bin ich nicht hingegangen, ich feiere selbst auch meinen eigenen Geburtstag nicht. (lacht)
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