Parenting versus Spielplatzpolizei: Hört Iron Maiden!

Kolumne Auf dem Spielplatz wird jede Form devianten Verhaltens argwöhnisch beäugt. Marlen Hobrack – Mutter und Metalhead – hat deshalb einen Tipp für diejenigen, die nicht der sogenannten „Normalität“ entsprechen
Ausgabe 26/2024
Heavy Metal schon für die Kleinen: Diese finnische Band spielt Metal für Kinder
Heavy Metal schon für die Kleinen: Diese finnische Band spielt Metal für Kinder

Foto: Olivier Morin/AFP/Getty Images

Treue Leser haben vielleicht mitbekommen, dass ich Heavy-Metal-Fan bin. Bei Lesungen sorgt das bisweilen für Amüsement, aber man könnte meinen, meine Existenz als Metalhead habe wenig bis nichts mit meinem Schreiben zu tun – und schon gar nicht mit dem Thema Mutterschaft. Das dachte ich auch, bis ich jüngst ein Video vom Leipziger Wave-Gothic-Treffen sah. Darin schreitet ein junges Pärchen mit einem schwarzen Kinderwagen im viktorianischen Stil durch das heidnische Dorf. Unter dem Video fand sich ein Kommentar: „Das arme Kind!“, schrieb eine Dame. Ja, dachte ich, was für ein armes Kind, das mit fantasiebegabten, entspannten und kreativen Eltern leben muss!

Das aber führte mich zum Nachdenken über Elternschaft. Praktisch jedes Elternteil kann ein Lied davon singen, dass elterliches Verhalten unter permanenter gesellschaftlicher Beobachtung steht – besonders bei gewissen habituellen Abweichungen. Elternschaft wird ja gerade da am heftigsten kritisiert, wo es um weltanschauliche Differenzen geht. Gentle und Attachment Parenting, Laissez-Faire, permissive oder egalitäre Erziehungsstile – die Liste der Aufregerthemen ist lang.

Was das nun mit Subkulturen wie der Metal- oder Gothic-Szene zu tun hat? Als Metalhead, Punk oder Goth ist man daran gewöhnt, von der Spielplatzpolizei schief angeschaut, bisweilen beleidigt oder schlicht missverstanden zu werden. Da braucht es eine gewisse Indifferenz, eine gewisse Abhärtung, ein gepflegtes „I don’t give a fuck“. Nichts, wirklich gar nichts ist hilfreicher fürs Elterndasein als die Fähigkeit, die Blicke und Kommentare der anderen auszublenden. Es allen mit den eigenen Erziehungsidealen recht machen zu wollen – zum Scheitern verurteilt!

Eltern machen sich immer schuldig

Das gilt im besonderen Maße für Mütter. Ich erlebe so viele Mütter, die eigentlich permanent in einem Selbstverteidigungsmodus stecken und große Angst davor haben, von anderen schief angeschaut und für irgendein vermeintliches Vergehen mit sozialer Missachtung gestraft zu werden. Andere Mütter backen den Kuchen für Partys selbst oder schneidern gar Kinderklamotten? O nein, das lässt die Mutter schlecht dastehen, die Torte aus dem Kühlfach kredenzt und Klamotten von der Stange kauft. Andere Mütter arbeiten Vollzeit oder kümmern sich 24-Stunden-7-Tage-die-Woche um ihre Kinder? Welche Wahl man auch trifft, man macht sich wohl irgendwie schuldig. Aber wenn schon bei einem unsichtbaren Vergehen ertappt, dann wenigstens mit Stolz: Breaking the law, breaking the law …!

Judas hin, Priest her: Wir alle sind soziale Wesen und wollen sozial nicht ausgeschlossen werden, aber die Zwanghaftigkeit, mit der so viele Mütter das eigene Verhalten an den Blicken und Urteilen der anderen messen, macht ihnen das Leben unnötig schwer. Zu viele Frauen sind „People Pleaser“ (ich glaube, der Begriff lässt sich überhaupt nur auf Frauen anwenden, weil die meisten Männer eine gesunde Fähigkeit zur Abgrenzung besitzen) und haben die Stimmen und Anforderungen der anderen Frauen – der Mütter, Großmütter, Freundinnen, Feindinnen – bis zum Grad der Selbstverleugnung verinnerlicht. Deswegen werde ich nicht müde zu betonen, dass nicht alles, was Müttern das Leben schwer macht, mit dem Konzept Patriarchat erklärt werden kann.

Emanzipation jedenfalls beginnt bei Iron Maiden: I’m running free, yeah!

Mutti Politics

Marlen Hobrack ist Schriftstellerin, Journalistin, Mutter und Autorin der monatlichen Freitag-Kolumne „Mutti Politics“. Ihr Buch Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet (2022) ist gerade in einer Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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