Collage: der Freitag, Material: Istock, Portrait: Silje Paul
Wenn man als politische Kommentatorin nach der Stimmung in einer Stadt gefragt wird, steht es um dieselbe für gewöhnlich schlecht. Das gilt auch für die Stimmung in Dresden, nachdem der sächsische SPD-Politiker Matthias Ecke in der Nacht vom 3. Mai von einer Gruppe junger Männer angegriffen und zusammengeschlagen wurde. Immerhin zwei davon, so legen MDR-Recherchen nahe, seien rechtsextrem.
Nicht nur die Dresdner und Ecke selbst fühlen sich nun erinnert an die „Baseballschlägerjahre“, jene Zeit der 1990er und 2000er, in der das Gesetz der Stärkeren herrschte – die Stärkeren, das waren die Skins mit ihren Springerstiefeln. In jenen Jahren hatte sich der Staat, repräsentiert durch Polizei und Politik, zurückgezogen, wollt
jahre“, jene Zeit der 1990er und 2000er, in der das Gesetz der Stärkeren herrschte – die Stärkeren, das waren die Skins mit ihren Springerstiefeln. In jenen Jahren hatte sich der Staat, repräsentiert durch Polizei und Politik, zurückgezogen, wollte nichts wissen von dem, was da passierte, auf den Straßen und in den Jugendzentren. Später machte der Sachsensumpf von sich reden, Judikative, Legislative und Exekutive schienen durchsetzt von braunen Netzwerken. Rechtsoffenheit, das war in Sachsen ein Problem.Irgendwann ebbte die offene Aggression ab und machte anderen Gefühlsregungen Platz. Bürger der Mitte hatten nun Angst, nicht vor Jungs in Springerstiefeln, sondern vor dem Islam, vor der Entgrenzung, vor unaufhaltsamer gesellschaftlicher Dynamik, vor Veränderung. An keinem Ort wurde diese Angst, die immerzu in aggressive Abwehr umzuschlagen drohte, sicht- und fühlbarer als in Dresden, wo Pegida zunächst schweigend aufmarschierte, bevor der angebliche Protest der schweigenden Mehrheit in Verbalinjurien gegen Politiker umschlug. Wozu sich Bürgerliche nicht herablassen wollten – Politikerbeschimpfungen etwa –, dazu erklärten sich die Fußtruppen der neuen Rechten gerne bereit. Und so geht es bis heute: Oben, bei den Grübelgestrigen, wird wortreich philosophiert über linken Zeitgeist und Kulturverlust, in der Mitte, bei den Gegenwartsfrustrierten, verheißt die AfD das Ende der Zumutungen, und unten, bei den Zukunftslosen, wird zugetreten und beschimpft; die Aufgaben sind verteilt. Von wegen Brandmauer. Nicht mal ein Papierparavent trennt die Lager noch.Vermutlich sind die jugendlichen Schläger von heute nicht die Kinder der Bürgerlichen. Womöglich sind sie die Kinder der Baseballschlägerschwingenden von gestern, die irgendwann doch etwas hatten, das sie verlieren konnten. Einen Job etwa, oder Frauen, die Hasis Sperenzchen nicht mittrugen. Nur löschte das die Ideologie nicht aus. Nun zieht es die Söhne wieder auf die Straße. Mit einem Unterschied: Damals waren die Opfer „die anderen“ – all jene, die nicht als Teil des herbeifantasierten Volkskörpers gelten durften. Heute sind es mit Politikern Menschen, die zwar prinzipiell dem konstruierten Wir zuzurechnen wären, verbal aber seit Jahren zu „Volksverrätern“ stilisiert werden.Blühende AggressionenNun führt Rhetorik allein noch nicht zur Gewalt. Aber wo Politik keine Antworten findet auf die Zumutungen einer zukunftslosen Gegenwart mit Klimawandel, Sozialstaats- und Kapitalismuskrise, da blüht die Aggression noch vor den Landschaften. Und weil es kein Ziel gibt, kein System, das sich angreifen, revolutionieren, niederreißen ließe, da werden die politischen Krisen auf Politiker projiziert, auf Menschen aus Fleisch und Blut. Der AfD anzukreiden, sie sei die Verantwortliche für solche Entwicklungen, erscheint zu billig. So unsympathisch man sie auch finden mag, sie ist selbst Ausdruck der Krise, nicht ihr Auslöser. Allerdings gelingt es ihr, zusammenzuführen, was eigentlich nicht zusammengehört: Die Gutsituierten und die Abgehängten. Während sich linke Kräfte immer weiter aufspalten in weltanschaulich wie sozioökonomisch immer diversere und kleinteiligere Lager, gelingt es der AfD, über habituelle Grenzen hinweg, Brücken zu schlagen. In Dresden nahm diese Entwicklung vor gut zehn Jahren ihren Anfang.Nein, Zustände wie in der Weimarer Republik müssen wir nicht fürchten; wir verfügen über wehrhafte Institutionen, eine unabhängige Justiz und eine aktive Zivilgesellschaft. Wenn es aber etwas gibt, das an die frühen dreißiger Jahre erinnern mag, so ist es der Abgesang auf die Zukunft.Selbst im Dresdner Stadtbild lässt sich das sehen: Etwa im Versuch, das barocke Dresden wiederaufzubauen und den rekonstruierten Zustand zu bewahren. So barock ist Dresden gar nicht. Ein Großteil der markanten Architektur ist historistisch geprägt, griff bereits zur Entstehungszeit auf Eigentlich-nie-Gewesenes zurück. Als die Neue Synagoge gebaut wurde, da galt ihre selbstbewusste zeitgenössische Architektur als Provokation, als Fremdkörper, nicht nur im Stadt-, sondern im Selbstbild. Man wollte nicht modern sein, nicht zeitgenössisch, man wollte immer schon gewesen sein. No future hinter schöner Fassade.Den Zukunftslosen schrecken Strafen nicht. Der Ruf nach Härte rekurriert auf die Autorität des Gesetzes, um das sich die Täter nicht scheren. Weder verbale noch juristische Aufrüstung schützt am Ende die Wahlkämpfer. Auch das eine traurige Erkenntnis: Wie viel Kampfbereitschaft die Demokratie am Ende ganz konkret braucht.Die echte Dresdner Mitte kämpft weiter trotzig gegen die rechtskonservative Umwelt. Ihre Kundgebungen sind Selbstvergewisserung. „Wir sind mehr.“ Mehr, gewiss. Nur sind die anderen derzeit schlagkräftiger. Dabei offenbart sich in Dresden wie deutschlandweit eine der traurigsten Pointen der politischen Gegenwart. Wenn es denn gelingt, eine große Mehrheit von Menschen zu mobilisieren, dann grundsätzlich nur noch gegen etwas. Gegen die Verrohung, gegen die Gewalt, gegen die AfD. So kreist die Mitte um ein heimliches Gravitationszentrum: die Gefahr von rechts.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.