Das Müllmonster im Pazifik: Können die Weltmeere noch gerettet werden?

Reportage 13 Millionen Tonnen Kunststoff landen jedes Jahr im Ozean. Wir haben Menschen getroffen, die das Meer von den Plastikfluten befreien wollen. Sie kämpfen dabei nicht zuletzt gegen die Profitinteressen großer Konzerne. Können sie gewinnen?
Ausgabe 25/2024
Das Müllmonster im Pazifik: Können die Weltmeere noch gerettet werden?

Montage: der Freitag, Material: Midjourney, iStock

Plastik ist überall. Forschende haben es in der Todeszone des Himalaya nachgewiesen, aus arktischen Gewässern gefischt und in Form einer umhertreibenden Einkaufstüte im Marianengraben gesichtet – in 11.000 Metern Tiefe. Die Menschheit produziert rund 430 Millionen Tonnen Plastik im Jahr. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Asien. Deutschland ist mit über 20 Millionen Tonnen jährlich aber Europameister in der Plastik-Produktion. Auch beim Müllexport sind wir europäische Spitze. In der Regel hat Plastik kein zweites Leben: Laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden weltweit nur neun Prozent des verwendeten Plastiks recycelt.

Blue New Deal

Die Serie „Blue New Deal“ ist ein Projekt von drei freien ReporterInnen – Svenja Beller, Julia Lauter und Martin Theis – und dem Fotografen Fabian Weiss. Im Freitag schreiben sie während eines Jahres über Lösungen, die sowohl die Ozeane schützen als auch deren Potenzial nutzen, die Erderwärmung zu stoppen. Das Projekt wird vom European Journalism Centre (EJC) über den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt. Alle Reisen werden kompensiert.

Alle Artikel zur Serie finden Sie unter freitag.de/blue-new-deal

Etwa 13 Millionen Tonnen Plastik landen dem WWF zufolge jährlich im Ozean. Dort bleibt es über Jahrhunderte hinweg und zerfällt zu immer kleineren Teilen. Als Mikroplastik landet es in den Mägen von Meerestieren oder im Sediment. Laut UN könnte sich die jährlich produzierte Plastikmenge bis zum Jahr 2050 sogar verdoppeln. Marine Ökosysteme sind damit immer größeren Bedrohungen ausgesetzt. Der Freitag hat mit Menschen gesprochen, die sich damit nicht abfinden. Mit Matthias Egger, der das Meer mit dem Projekt The Ocean Cleanup vom umhertreibenden Abfall befreien will. Mit Konrad Rosen, der mit der Initiative Catchgreen biologisch abbaubare Kunststoffe produziert, die im Ozean keinen Schaden anrichten. Und mit Jyoti Mathur-Filipp, die die Verhandlungen zum internationalen Plastikabkommen der Vereinten Nationen leitet, damit der Plastikmüll gar nicht erst ins Meer gelangt. Alle drei stehen an der Schwelle zu wichtigen Erfolgen. Sind unsere Ozeane also doch noch vor der Vermüllung zu retten?

Meeresforscher Matthias Egger verließ seine akademische Laufbahn als Biogeochemiker, um sich Aufräumarbeiten im Ozean zu widmen. Heute leitet er die Forschungsabteilung bei The Ocean Cleanup. Die niederländische Non-Profit-Organisation hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2040 will sie mit einem eigens entwickelten System 90 Prozent des an der Oberfläche treibenden Plastiks aus dem Ozean fischen. Finanziert wird sie durch Spenden. „Früher habe ich in meiner Arbeit ein Gefühl von Relevanz vermisst“, sagt Egger. „Heute werden meine Ergebnisse direkt genutzt, um Lösungen zu entwickeln.“

The Ocean Cleanup arbeitet mit einem hufeisenförmigen Auffangsystem, zwei Kilometer lang und vier Meter tief, das an den offenen Enden von zwei Schiffen gezogen wird. Hinten befindet sich eine große Tasche, in welcher der eingefangene Abfall landet. Schließlich wird dieser an Bord geholt. Die Grundidee hatte Gründer Boyan Slat im Alter von 16 Jahren, als er im Familienurlaub in Griechenland mehr Müll als Fische im Meer schwimmen sah. Zwei Jahre später, 2013, rief er die Organisation ins Leben. Seitdem wurde das System über verschiedene Prototypen weiterentwickelt. „Wir sind so weit, dass die Technologie funktioniert“, sagt Matthias Egger. „Jetzt kommt der Feinschliff – und bald wollen wir eine ganze Flotte aufbauen.“

Sonnenbrillen aus Plastikmüll

Ein Großteil des Meeresmülls sammelt sich in fünf gigantischen Strudeln. Der größte Müllstrudel im Pazifik, zwischen Hawaii und Kalifornien, ist ungefähr viermal so groß wie Deutschland. Laut einer Studie von The Ocean Cleanup könnten sich dort 1,8 Billionen Plastikteile unterschiedlichen Ausmaßes befinden. Also will The Ocean Cleanup das Problem genau dort angehen. „Auch innerhalb der Müllstrudel konzentriert sich das Plastik je nach Wetter an verschiedenen Hotspots“, sagt Mathias Egger. „Wir arbeiten daran, die Strömungswege des Plastiks – je nach Wetterbericht – für mehrere Tage im Voraus zu modellieren.“ So könne das Aufräumsystem besonders effizient eingesetzt werden.

Die Organisation geht nach eigenen Berechnungen davon aus, dass eine Flotte mit zehn ihrer Systeme den pazifischen Müllstrudel in zehn bis 15 Jahren fast vollständig räumen könnte. Weil The Ocean Cleanup im Niemandsland arbeitet, wird die Organisation rechtlich zum Besitzer des gesammelten Plastiks. Mangels internationaler Unterstützung muss sie den Abfall stets bis nach Europa bringen.

Um zu demonstrieren, dass gesammeltes Ozeanplastik auch eine nützliche Ressource sein kann, produzierte The Ocean Cleanup daraus eine Reihe von Sonnenbrillen. Ein Elektroautohersteller verbaut das recycelte Ozeanplastik bereits in seinen Elektroautos. „Das meiste Plastik in den Müllstrudeln ist sehr homogen und widerstandsfähig“, sagt Matthias Egger. Meist handele es sich dabei um die recyclebaren Stoffe Polyethylen oder Polypropylen. Weil es für die Verwendung des Begriffs Ozeanplastik keine rechtlich bindenden Definitionen gibt, wurde Unternehmen, die mit dessen Verwendung warben, Greenwashing vorgeworfen. Bei The Ocean Cleanup kann man sich der Herkunft immerhin sicher sein – die Organisation hat mehr als genug davon.

Doch wie gelangt das Plastik überhaupt ins Meer? Wo treibt es dann hin? Und welche Folgen hat es für die marinen Ökosysteme? Mit seiner Forschungsabteilung versucht Matthias Egger stetig präzisere Antworten auf diese Fragen zu finden.

Für The Ocean Cleanup untersuchen sie aber auch die Umweltauswirkungen der eigenen Arbeit, um den Netto-Nutzen berechnen und die Methode anpassen zu können. Einzelne Forschende schätzen den Schaden durch die Arbeiten höher ein als ihren Nutzen. Etwa, weil das treibende Plastik zu Lebensraum und Brutstätte für manche Art geworden ist. Oder weil durch das Abfischen von Plastik das Ökosystem der an der Oberfläche lebenden Kleinstlebewesen gestört werden könnte. Egger aber ist überzeugt, dass sich der Schaden in Grenzen hält. „Die meisten Tiere um das Plastik herum sind invasive Arten, die dort ohne den Müll keinen Lebensraum hätten“, sagt er. Sie nähmen den ansonsten heimischen Arten die Nährstoffe und ernährten sich mitunter von diesen. Trotz eines vielleicht bleibenden ethischen Problems sei es für das Ökosystem aus biologischer Sicht besser, wenn die invasiven Arten mitsamt Plastik verschwänden. Auch den Einfluss auf Kleinstlebewesen hat die Organisation untersucht – diese seien in der Regel kleiner als die Maschen des Systems, weshalb sie im Wasser verbleiben würden.

Fischerei entsorgt jährlich 640.000 Tonnen illegal

Um größeren Beifang zu vermeiden, werden Wale, Haie und Delfine mit Licht und Ton verscheucht, kleinere Fische können durch Löcher in den Maschen des Systems entkommen. Egger hofft, dass The Ocean Cleanup bald überflüssig wird: „Wir bieten an sich ja keine Lösung, sondern können nur den Schaden minimieren.“ Dazu muss das Plastik gestoppt werden, bevor es in den Ozean gelangt. Seine Organisation hat etwa ein System für Flüsse entwickelt, das Abfall schon vor der Meeresmündung auffängt. Die größten Hoffnungen aber setzt Matthias Egger in die Verhandlungen der Vereinten Nationen zu einem internationalen Plastikabkommen.

Ein großer Teil der Plastikverschmutzung geht auf die Fischerei zurück. Laut Greenpeace landen jährlich rund 640.000 Tonnen illegal entsorgte oder verlorene Netze, Bojen, Leinen, Fallen und sonstiges Arbeitsgerät in den Weltmeeren. Nach Messungen von The Ocean Cleanup besteht der pazifische Müllstrudel zu über 75 Prozent aus Abfällen von Fischfang und Aquakultur. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge machen allein Netze der Fischerei zwischen 30 und 50 Prozent des gesamten Plastikmülls im Ozean aus. Diese werden etwa zurückgelassen, wenn sie sich am Grund verhaken oder Fischer illegal unterwegs sind und auf hoher See flüchten müssen. Manche Netze gehen unbeabsichtigt bei Unwettern über Bord, andere werden schlicht auf einfachstem Wege entsorgt. Weil sie danach ziellos im Meer herumtreiben, werden sie auch Geisternetze genannt.

Das Forschungsprojekt Catchgreen – an dem die schwedische Firma Gaia Biomaterials und ihr südafrikanischer Vertriebspartner Kompost-it arbeiten – strebt eine Lösung an: Netze und Leinen aus biologisch abbaubarem Kunststoff. Finanziert wird das durch britische Entwicklungshilfe. Leiter der Forschung und Entwicklung ist Konrad Rosen, er hat für Gaia Biomaterials bereits biologisch abbaubare Kunststoffe für Einkaufstüten, Obst- und Gemüseverpackungen mit entwickelt. Der Name seines Wundermaterials in verschiedenen Varianten lautet: Biodolomer.

Fliehende Fische

Dafür schuf Rosens Firma verschiedene Verbindungen aus abbaubarem Polyester, Kalziumcarbonat, pflanzlichen Ölen und Stärke. Es soll sich anfühlen wie Plastik und dieselben Eigenschaften besitzen – allerdings innerhalb einiger Wochen vollständig zerfallen. „Als unsere südafrikanischen Partner uns nach einem ähnlichen Material für die Fischerei fragten, hatte ich sofort eine Idee“, sagt Rosen. Damit begann die Jagd nach der perfekten Formel. „Am Ende wird es wohl eine Verbindung aus dem aus Bernsteinsäure hergestellten Polyester und Kalziumkarbonat sein, wie es etwa in Eierschalen oder Muscheln vorkommt.“

Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden Fischernetze aus vergänglichen Naturstoffen wie Leinen, Hanf oder Sisal hergestellt. Dann wichen diese synthetischen Alternativen wie Nylon, Polypropylen oder Polyethylen, die zwar stabil und kostengünstig sind, allerdings über Jahrhunderte hinweg Schaden im Meer anrichten. Die größte Herausforderung sei es, sagt Konrad Rosen, ein Netz zu entwickeln, das ebenso reißfest ist wie eines aus fossilem Plastik. Aber wenn es verlorengeht, soll es schnell seine mechanischen Eigenschaften verlieren und möglichst bald kompostiert sein. Während Geisternetze oft jahrelang im Wasser treiben, fischen sie nämlich weiter, fangen kleine Krebsarten, Fische, jagende Meeresvögel und Wale.

Wo Netze über Meeresböden oder Vegetation schleifen, beschädigen sie natürliche Lebensräume und bewegungsunfähige Organismen wie Korallen. Außerdem sondern sie vom Beginn ihrer Nutzung an Mikroplastik ab, das anscheinend besonders häufig in die Nahrungskette gelangt: Eine Studie zu Mikroplastik im Nordostatlantik ergab, dass zwei Drittel aller Fischarten Kunststoffpartikel in ihren Mägen hatten – 98 Prozent davon waren synthetische Fasern aus Textilien oder Netzen. Die Netze von Catchgreen sollen dank einer hohen Dichte zu Boden sinken, sobald sie verloren gehen, und dort möglichst schnell kompostieren. „Sobald unser Material am Grund liegt, lassen sich darauf Mikroben nieder und beginnen, die Polymerverbindungen aufzulösen“, sagt Rosen.

Umweltfreundliche Alternativen sind teurer

Etwa den halben Weg der Entwicklung habe er nun hinter sich. Wie lange wird es dauern, bis das Endprodukt marktreif ist? „Wir stellen bereits Seile von sehr guter Qualität her, doch ist das Material noch nicht zugfest und langlebig genug, um die extreme Belastung eines Schleppnetzes auszuhalten“, sagt Rosen. In einem Jahr aber will er auch dieses Ziel erreicht haben.

In Feldversuchen mit einzelnen kenianischen Küstendörfern fängt Catchgreen klein an. „Wir experimentieren zunächst mit Stellnetzen“, erklärt Projektleiterin Emma Algotson. Diese Vorrichtungen stehen im Wasser, sodass Fische hineinschwimmen und sich dann in den Netzen verheddern. Catchgreen hat zunächst die Seile am oberen und unteren Ende der dünnen Nylonnetze durch Biodolomer ersetzt. „Außerdem werden unsere Seile in Kenia bereits für die Algenzucht und das Korallenfarming eingesetzt“, sagt Algotson.

Dies sei ein Etappensieg, da an der Küste in der Regel sehr billige und kurzlebige Netze und Seile genutzt würden, die nicht recycelt und selten fachgerecht entsorgt würden. Jeder Anteil eines abbaubaren Materials verringert die Umweltbelastung vor Ort. Die Wirkung des Projekts wird am Ende vor allem von ökonomischen Faktoren abhängen. Bei ähnlichen Versuchen anderer Initiativen entpuppten sich biologisch abbaubare Netze als weniger effizient und konnten sich deshalb nicht durchsetzen. Catchgreen kennt die Herausforderung: „Wenn das Material zum Beispiel dehnbarer ist als konventioneller Kunststoff, dann können manche Fische die Maschen weiten und entkommen“, sagt Emma Algotson. Fischer müssten dann entsprechend länger arbeiten, um das gleiche Einkommen zu erzielen.

Außerdem seien die umweltfreundlichen Alternativen wesentlich teurer – auch, weil es sich um ein neues Produkt handle. So kostet ein Seil von Catchgreen noch um die fünf Dollar, während umweltschädliche Produkte für Centbeträge zu haben sind. „Für uns bedeutet das, dass unsere Netze genauso gut oder besser als die gängigen Netze sein müssen“, so Algotson. „Und dass wir vor allem für die kleinen Fischerdörfer auch Wege der Subventionierung finden müssen.“ Doch am Ende bleibt eines unumgänglich: Um die Plastikverschmutzung des Ozeans einzudämmen, muss die Menschheit den Umgang mit Plastik an Land ändern.

Der Weg zum UN-Abkommen

Dies hat sich die internationale Staatengemeinschaft nun zum Ziel gesetzt: Nach einer UN-Resolution formierte sich das Intergovernmental Negotiating Committee on Plastic Pollution (INC). Es besteht aus Staatsoberhäuptern, UmweltministerInnen und sonstigen VertreterInnen der UN-Mitgliedsstaaten. Das Komitee nahm die Verhandlungen in der zweiten Jahreshälfte 2022 auf. Das Ziel: bis zum Ende des Jahres 2024 ein rechtlich bindendes Abkommen zu verabschieden – und die Plastikverschmutzung bis 2040 zu bewältigen.

Jyoti Mathur-Filipp arbeitet im Hauptsitz des UN-Umweltprogramms in Nairobi, Kenia, und leitet die Verhandlungen. Trotz ihrer 30-jährigen Erfahrung in den Bereichen Umweltschutz, Klimakrise und Biodiversität bezeichnet sie sich als hoffnungsvolle Person – und blickt optimistisch auf das Plastikabkommen. Immerhin herrsche große Einigkeit bei den teilnehmenden Staaten: „Kohlendioxid ist unsichtbar und der Klimawandel von unserer alltäglichen Erfahrung entrückt. Doch jeder Mensch sieht Plastikmüll, sobald er sein Haus verlässt“, sagt Mathur-Filipp. In ihrer Heimat Indien und anderen Ländern sei dies noch mehr der Fall als etwa in Deutschland, wo sie lange lebte. Der INC möchte Kunststoffe nicht vollständig verbannen.

„Plastik hat viel Gutes für uns Menschen getan. Wir nutzen es, um Lebensmittel zu verpacken, und brauchen es im Gesundheitssystem“, sagt Mathur-Filipp. „Alternativen sind toll – aber wir werden Plastik nicht vollständig ersetzen können.“ Es gehe vielmehr darum, den gesamten Lebenszyklus eines Plastikprodukts zu managen. „Wir sollten in den nächsten Jahren zu einem Plastikkreislauf gelangen, in dem wir reparieren, wiederbenutzen, wiederbefüllen und recyceln“, so Mathur-Filipp. „Plastik ist eine Ressource, in der viel Geld steckt. Aktuell landet dieses Geld bestenfalls auf dem Müll.“

Gerade in Entwicklungsländern werde Plastik auf Müllkippen über Jahrzehnte liegengelassen, wobei es Kohlendioxid freisetze und allerlei Giftstoffe in den Boden sickerten. Ein Fokus der Verhandlungen liegt auf dem Zurückdrängen von kurzlebigem Plastik, das nur einmal genutzt wird – etwa Plastikbesteck, Zigarettenfilter und Mikroplastik in Kosmetika. Bei anderen Produkten soll der Kreislauf des Plastiks gesetzlich verankerte Voraussetzung sein. In Kenia wurde bereits ein Gesetz mit dem Titel „Extended Producer Responsibility“ verabschiedet, das Produzenten für das von ihnen produzierte Plastik verantwortlich macht – bis es wiederverwendet, recycelt oder entsorgt ist.

Wenn der Schuster verschwindet

Gesetze wie dieses seien überall auf der Welt in Arbeit, sagt Mathur-Filipp. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals wurde von der EU bereits 2020 ein Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft verabschiedet. Das Ziel ist auch hierbei, über bloße Abfallwirtschaft hinauszugehen und bereits beim Produktdesign anzusetzen. Das deutsche Pfandsystem hat für Mathur-Filipp Vorbildcharakter. Allerdings fiel ihr bei ihrem jüngsten Besuch in Deutschland etwas auf, das für einen weltweiten Trend steht: „Ich wollte in Bonn meine Schuhe reparieren lassen, doch der Schuster hatte dichtgemacht.“

Schuster und Schneider werden immer seltener. Staaten müssten daher gezielt in Reparatursysteme investieren. Dabei geht seit 2023 etwa Frankreich voran – mit einem Bonussystem, das die Reparatur von Kleidung und Schuhen mit bis zu 25 Euro subventioniert, um den Kleidermüll von jährlich 700.000 Tonnen auf französischen Müllkippen zu reduzieren.

Jyoti Mathur-Filipp ist zu Neutralität verpflichtet und kann nichts zu den Bruchlinien innerhalb der Staatengemeinschaft sagen. Kritik an den Verhandlungen kommt unterdessen von Umweltverbänden und aus der Wissenschaft. Zum Beispiel von Douglas McCauley.

Der ist Meeresforscher an der University of California und modelliert Plastikverschmutzung. Das Abkommen sieht er als einmalige Chance – doch er findet den Entwurf nicht konsequent genug. Gegenüber dem Fachmagazin Nature sagte er, ein unambitioniertes Abkommen sei schlimmer als gar kein Abkommen. Man würde dann nämlich nur so tun, als würde man die Probleme lösen. Und in Wahrheit täte sich: nichts.

Profit steht über allem

Ähnlich wie auf Klimakonferenzen endet die Einigkeit bei Profitinteressen: Auf der einen Seite verhandelt eine Allianz der Willigen, rund 60 Staaten wie Norwegen oder Ruanda, die sich für besonders ambitionierte Regelungen aussprechen. Weil aber Plastik hauptsächlich aus Erdöl hergestellt wird, blockieren einzelne Ölstaaten – wie Saudi-Arabien, Russland und Iran. Die finden, man solle nicht unbedingt weniger Plastik produzieren, sondern lieber mehr recyclen. Sie bevorzugen teils umstrittene und industriefreundliche Lösungen wie das chemische Recycling, bei dem Plastik auf molekularer Ebene transformiert wird.

Das Problem: Der Prozess ist bis dato energieintensiver als die Produktion von neuem Plastik.

Das Ergebnis der ersten drei Sitzungen des INC und seiner 175 Mitgliedsstaaten in Uruguay, Frankreich und Kenia ist ein 75-seitiger Entwurf für ein „rechtlich bindendes Instrument zur Plastikverschmutzung, inklusive der Meeresumwelt“. Nicht umsonst taucht das Meer bereits im Titel auf. „Der Müll im Ozean ist der Ursprung dieser Diskussion um Plastik und dessen Lebenszyklus“, sagt Mathur-Filipp. „Deshalb glaube ich, dass die Meere durch unser Abkommen am Ende gut geschützt sein werden.“

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Geschrieben von

Martin Theis

Freier Autor

Martin Theis ist freier Reporter mit dem Schwerpunkt Klimawandel. Er studierte Rhetorik in Tübingen und besuchte die Reportageschule in Reutlingen. Seit zehn Jahren schreibt er für Magazine im deutschsprachigen Raum. 2023 erschien sein Buch Endzeitreise - Als mein Sohn mich fragte, wann die Welt untergeht im Tropen Verlag. Darin begibt er sich an die Fronten der Klimakrise und auf Expedition zu den eigenen Wurzeln in der VW-Stadt Baunatal.

Martin Theis

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