Scholz will Abschiebungen nach Afghanistan: Starker Rechtsstaat, schwacher Kanzler

Meinung Abschiebungen nach Afghanistan sind bisher aus gutem Grund nicht erlaubt. Wenn das Olaf Scholz jetzt ändern will, hilft er vor allem der AfD
Regierungserklärung im Bundestag: Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, Schwerstkriminelle und Gefährder auch in unsichere Länder wie Afghanistan und Syrien abzuschieben
Regierungserklärung im Bundestag: Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, Schwerstkriminelle und Gefährder auch in unsichere Länder wie Afghanistan und Syrien abzuschieben

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Mannheimer Messerstecherei ist ein schreckliches Verbrechen, das hart bestraft werden muss. Und damit ist vom rechtsstaatlichen Standpunkt eigentlich schon alles gesagt. Ist unser Rechtsstaat irgendwie zu weich, fördert er Verbrechen, indem er sie nur unzureichend ahndet? Nein. Der Täter von Mannheim kann in Deutschland seine gerechte Strafe finden. Arbeitet er für eine Organisation oder gibt es ein Umfeld, das ihm Beifall spendet? Das Zweite trifft vereinzelt zu. Gegen Beifallspender muss der Staat vorgehen und kann es auch.

Aber das Ereignis steht in zwei Kontexten, die ihm exemplarische Bedeutung verleihen. Diese beiden Kontexte bilden selbst wieder einen einzigen. Als der Kanzler am Donnerstag im Bundestag zu dem Ereignis Stellung nahm, wäre zu wünschen gewesen, dass er alles einbezogen hätte; das geschah nicht. Der eine Kontext ist die Abschiebediskussion und, man kann sagen: -kampagne, die nun seit vielen Monaten läuft und von den Unionsparteien, mehr noch aber von der AfD befeuert wird. Einzig auf diesen Kontext hat sich Olaf Scholz in seiner Rede bezogen und zwar derart, dass er sich der Behauptung anschloss, unser Recht sei zu schwach, mit Tätern wie dem Mannheimer Messerstecher fertig zu werden.

Abschiebungen nach Afghanistan sind bisher aus gutem Grund nicht erlaubt, das soll jetzt anders werden. Warum denn? Wenn die in Afghanistan herrschenden Taliban zu dem Schluss kommen, einige Beifallspender des Täters würden mit dem „Islamischen Staat“ sympathisieren, könnte ihm Folter drohen. War Deutschland zu weich, solange es diesem Risiko niemanden aussetzen wollte, selbst Mörder nicht?

Der zweite Kontext ist, dass die Tat auf einer antiislamischen Kundgebung geschah. Gerade dieser Kontext macht es interessant, dass der Täter offenbar keiner islamistischen Organisation angehört hat. Er galt als assimiliert, er war es wahrscheinlich auch. Aber eine „Mahnwache Pax Europa“ hat ihn provoziert. Michael Stürzenberger, die zentrale Figur der Mahnwache, vergleicht den Islam mit einem Krebsgeschwür. Seine islamfeindlichen Aktionen haben ihn schon mehrmals vor Gericht gebracht, wegen Volksverhetzung, er macht aber immer weiter. Muss ich betonen, dass das keinen Gegenangriff mit dem Messer rechtfertigt? Ja, ich muss es, das ist in Deutschland üblich geworden. Es ist aber auch wichtig, zu fragen: nicht nur nach demjenigen Umfeld des Täters, das ihm Beifall spendet, sondern auch nach dem anderen, das ihn mit Islamhass verhetzt hat.

Olaf Scholz hat das nicht getan. Er hat sich in seiner Rede ganz einfach in die Abschiebungskampagne eingeklinkt. Einen schwächelnden Rechtsstaat haben wir nicht, einen schwachen Kanzler schon eher.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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