Friedrich Merz und die neue, prekäre Lage der Grünen
Parteiensystem Union gegen SPD, AfD gegen Grüne – einige Zeit lang haben sich diese Gegensätze überlagert. Doch jetzt eröffnet CDU-Chef Friedrich Merz eine nur scheinbar alte Perspektive für die Zukunft
Schwarz-Rot, nicht mehr „GroKo“: Hessens Arbeitsministerin Heike Hofmann (SPD), Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und ein der Redaktion leider biusher noch unbekannter Dritter
Foto: Peter Jülich/laif
In Deutschland entsteht gerade ein neues Parteiensystem, unbemerkt noch von vielen. Natürlich sehen alle den Höhenflug der AfD und auch, dass das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ eine Reaktion auf ihn ist. Die Reaktion derer, die das Land regieren, ist aber noch im Schatten des tagtäglichen Geschehens verborgen. Was sich anbahnt, ist ein neues Bündnis von Unionsparteien und SPD, das sich diesmal explizit gegen die Grünen richtet.
Die ersten Anfänge finden wir in der Bildung des Senats von Berlin nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Februar 2023. Nachdem die SPD nur mit hauchdünnem Vorsprung vor den Grünen abgeschnitten hat, entscheidet die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die sich auf eine rot-
sprung vor den Grünen abgeschnitten hat, entscheidet die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die sich auf eine rot-grün-rote Koalition stützte und das auch weiter hätte tun können, ihre Partei vielmehr in eine Koalition mit dem Wahlsieger, Kai Wegner (CDU), zu führen, wo sie nur noch Juniorpartnerin sein wird. Dieses Ereignis hat noch keine Bedeutung über den Augenblick hinaus. Wegner hätte lieber mit den Grünen regiert, doch die können sich so schnell nicht umorientieren. Giffey war ohnehin unzufrieden gewesen, mit Grünen und Linken regieren zu müssen.Die Wärmepumpen-WendeNichts deutet schon darauf hin, dass ein Koalitionswechsel bald auch in Hessen vollzogen werden wird. Im Gegenteil, wir lesen, dass Boris Rhein (CDU), der dortige Ministerpräsident, Hand in Hand mit den Grünen die Heizwende vorantreiben will. Er lässt sich in einer Firma die Produktion der Wärmepumpe zeigen und sagt: „Wir wissen, was die Uhr geschlagen hat.“ Auch die FAZ schreibt noch wohlwollend darüber, dass die Bundesregierung ihr Heizgesetz gar noch ein Jahr früher anpeilt als im Koalitionsvertrag festgeschrieben: „Wo ein politischer Wille ist, da kommt man um die Wärmepumpe kaum mehr herum.“ Doch in den folgenden Monaten zeigt sich die Angst, in Teilen der Bevölkerung, vor steigenden Heizkosten. Der Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) wittert seine Chance.Anfang Juli liest man, dass die Zustimmung zur Energiewende im Ganzen dramatisch gesunken ist. Sie ist zwar immer noch hoch, liegt bei 68 Prozent, ein Jahr zuvor waren es aber 74 Prozent gewesen. Zudem geben fast drei Viertel der Befragten an, die Energiewende sei zu teuer. Ende Juni schon hat Merz die neue Marschrichtung vorgegeben: In der Bundesregierung seien die Grünen „der Hauptgegner“, denn sie hätten in der Energiepolitik polarisiert und so den Erfolg der AfD verschuldet. Merz sagt das auf einem Treffen aller Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU. Man müsse nicht mit den Grünen regieren, präzisiert er und erhält überwiegend Beifall. Bis dahin oft unterschätzt, hat er nun sein Talent bewiesen: Zwei aktuelle Geschehnisse kombinierend, den Unmut über die Heizwende und die neue Formation des Berliner Senats, sieht oder ahnt er eine strategische Möglichkeit, die es so noch nicht gegeben hat. Wirklich herauskristallisiert zeigt sich das Neue aber erst Anfang Oktober nach der Hessenwahl.Noch bevor sich Boris Rhein entschieden hat, mit wem er künftig regieren will, empfiehlt die FAZ eine „Deutschland-Koalition“: Schwarz, Rot, Gelb nach den Farben der Staatsflagge. Merz freilich wird später zu erkennen geben, dass er an eine Zukunft der FDP nicht mehr glaubt, und auch Rhein übergeht sie: Er verabschiedet sich mit Dank von den Grünen, mit denen er reibungslos regiert hatte, und wählt die SPD zum neuen Partner. Was der Sinn ist, erklärt er in der FAZ: Die Ampelregierung orientiere ihre Politik an Minderheiten; „Erneuerung“ wolle auch er, doch „sanft“ müsse sie sein, „also eine Modernisierung mit den Bürgerinnen und Bürgern und nicht gegen sie“. Die hessische SPD sieht es offenbar genauso. In dem Eckpunktepapier, auf das sie sich mit der CDU einigt, taucht Ökologie nur knapp und an vorletzter Stelle auf, dafür wird rechte Migrationspolitik gepriesen und das „Gendern mit Sonderzeichen“ in Schulen, Universitäten und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verboten.Etwas anderes als die Große Koalition von einstMit dem, was man die Große Koalition nannte, hat das nichts mehr zu tun. Sie war ein Notbündnis gewesen, in dem Union wie SPD schon während des jeweiligen Verlaufs ihr Netz nach der FDP, später nach den Grünen auswarfen, um lieber mit denen zu regieren. Was sich in Hessen zum ersten Mal klar zeigt, ist vielmehr eine Zusammenarbeit aufgrund politischer Übereinstimmung. Früher waren SPD und Union Gegner, jetzt sind es für beide die Grünen. Nur darin, dass alle gegen die AfD stehen, sind auch sie noch einbezogen, doch selbst oder gerade die ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten wollen sich nicht mehr, oder nur noch zähneknirschend, mit ihnen zusammentun.Nach Hessen kam noch Hannover. In der niedersächsischen Landeshauptstadt amtiert ein grüner Oberbürgermeister, Belit Onay, und er hatte sich auf ein Bündnis mit der SPD gestützt. Die hat es Ende November aufgekündigt. Onay will die Stadt „nahezu autofrei“ machen, die SPD erklärt nun, sie trage das nicht mehr mit. Da offenbar auch Landesspitzenpolitiker im Hintergrund mitwirkten, stellt sich die Frage, ob schon ein Bruch der rot-grünen Landesregierung unter Stephan Weil seinen Schatten vorauswirft.Erst Anfang Februar 2024 gibt es Anzeichen, dass die Grünen die neue Konstellation zu sichten beginnen. Robert Habeck, ihr Bundeswirtschaftsminister, wendet sich an die Union: „Es gibt vielleicht einen Weg, wie wir zusammenkommen“, sagt er. „Was wäre, wenn wir ein Sondervermögen einführen würden, um die strukturellen Probleme zu lösen?“ Wenige Tage später erklärt Merz, auch eine Koalition mit den Grünen könne nicht ausgeschlossen werden. Er hatte das zwar schon Ende Juni 2023 gesagt und genauso begründet wie jetzt – man müsse der SPD trotz allem zeigen, dass man nicht auf sie angewiesen sei –, doch fallen seine Worte jetzt auf einen anders gewordenen Boden. Besonders die CSU und die Junge Union widersprechen Merz heftig, was nur zeigt, dass sie seine Strategie, sich gegen die Grünen zu profilieren, begriffen haben und mittragen. Anders die Grünen, wie immer naiv: Tarek Al-Wazir, der in Hessen von Rhein vor die Tür gesetzt worden war, will einen „Kurswechsel“ in Merz’ Äußerung sehen. Ähnlich äußert sich die Parteivorsitzende Ricarda Lang.„Das Ende der grünen Hegemonie“?Sie täten besser daran, die Gefahr für sich zu bedenken, die freilich auch nicht überschätzt werden sollte. In der FAZ ist zwar schon „Das Ende der grünen Hegemonie“ ausgerufen worden, aber wenn man es gut überlegt, drängt sich eher der Schluss auf, dass die Hegemonie der Grünen noch stärker geworden ist. Denn was ging dem neuen Kurs von Merz voraus? Die Überlagerung zweier Parteiensysteme, jenes alten, das sich um den Gegensatz von Union und SPD gedreht hatte, und eines neuen, wo die Grünen den ökologischen, die AfD den antiökologischen Pol bildeten. Da war das Thema Ökologie zwar schon hegemonial, aber noch nicht zur Hauptsache geworden. Jetzt ist es anders: Nach der Innovation von Merz definieren sich alle wichtigsten Parteien vor allem ökologisch, auch Union und SPD eben, indem sie mit Ökologie light punkten wollen.Wie können sich die Grünen dagegen behaupten? Auf Olaf Scholz zu setzen, wäre kurzsichtig. Er wird zwar Kanzler bleiben wollen und kann das nur in Zusammenarbeit mit den Grünen, freilich auch mit der FDP, die zunehmend von der Ampel abdriftet. Doch kann er notfalls auch Giffey nachahmen, hat ja schon einmal unter einer CDU-Kanzlerin gedient. Nein, nachdem sich Merz was Neues hat einfallen lassen, müssen es auch die Grünen. Der Unmut in der Bevölkerung über die Heizwende muss ihnen ein Weckruf sein. Sie sollten ihr ein Angebot machen, Ökologie künftig nicht mehr von oben, sondern basisdemokratisch zu gestalten. Wie man liest, hat Habeck sich an der namhaften linken Ökonomin Mariana Mazzucato orientiert: Wenn der Staat, schreibt Mazzucato sinngemäß, das Smartphone ermöglichen kann, kann er auch die Energiewende durchsetzen. Das ist aber ein Fehlschluss, denn zum Smartphone hatte der Staat durch eine Reihe militärischer Erfindungen beigetragen, es ist außerdem im Kapitalinteresse, während Ökologie sich in der Tat, darin hat Boris Rhein ja recht, nur mit der Bevölkerung zusammen verwirklichen lässt. Vor einem Jahr, fanden wir, war die Welt für die Grünen noch in Ordnung. Da lasen wir auch, dass 2022 fünfmal mehr Wärmepumpen bestellt worden waren als 2021 – aufgrund bloßer Förderung. Wie wäre dieser Erfolg noch zu steigern gewesen, hätten die Grünen nicht auf eine befohlene Heizwende gesetzt! Sondern auf einen öffentlichen Konsultationsprozess, angeführt etwa von einem Bürgerrat.
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