Olaf Scholz, Anton Hofreiter und der Krieg: Von Willy Brandt lernen
Frieden Der Grüne Anton Hofreiter und Roderich Kiesewetter von der CDU setzen SPD-Kanzler Olaf Scholz unter Druck, damit Deutschland Waffen liefert, die Ziele in Russland erreichen. Das wäre mit den SPD-Plakaten zur Europawahl kaum kompatibel
Kanzler Olaf Scholz weiß vielleicht manchmal selbst nicht, was er will
Foto: Kay Nietfeld/picture allaince/dpa
Olaf Scholz, der Zauderer, und die ihn bedrängen – der Film stand am Wochenende erneut auf dem Spielplan. Sollen der Ukraine schwere Waffen geliefert werden, mit denen Ziele in Russland angegriffen werden können und auch sollen? Olaf Scholz will das nicht. Bei einem Bürgergespräch am Sonntag in Berlin hat der Kanzler erneut Nein gesagt. Seine Begründung ist klar: Er will verhindern, „dass da ein ganz großer Krieg draus wird“.
Aber andere haben auch am Wochenende wieder versucht, ihn vor sich herzutreiben. Anton Hofreiter von den Grünen ist dafür, dass die Ukraine mit westlichen Waffen russisches Territorium angreifen darf: „Das Völkerrecht erlaubt es einem angegriffenen Staat, militärische Ziele im Land des Aggressors
militärische Ziele im Land des Aggressors zu attackieren“. Ähnlich Roderich Kiesewetter von der CDU. Kiesewetter will sogar die Schuldenbremse dafür lockern, was seine Partei sonst strikt ablehnt. Der Ukraine-Krieg rechtfertige eine Haushaltsnotlage. Die ökologische Katastrophe ist keine solche Not für seine Partei, und ein möglicher Weltkrieg offenbar auch nicht.Es sind ja nicht nur deutsche Stimmen, die ihn herbeireden. US-Außenminister Antony Blinken befürwortet solche Waffen ebenfalls. Er redet offen davon, wie er Joe Biden, seinen Präsidenten, der noch widerstrebt, davon zu überzeugen versucht. Jetzt hat auch die Parlamentarische Versammlung der NATO eine entsprechende Erklärung verabschiedet.Wird Olaf Scholz (SPD) schließlich nachgeben, vielleicht nachdem Biden nachgegeben hat? Es wäre nicht das erste Mal. Die Haltung des Kanzlers erscheint manchmal zweideutig. Er spricht sich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland aus, lässt aber zu, dass der Verteidigungsminister, sein Parteifreund Boris Pistorius, sich ihr möglichst weit annähert. Jungen Menschen, die Wehrdienst leisten, soll der Zugang zu Studienfächern erleichtert und ein kostenloser Führerschein angeboten werden, schlägt Pistorius jetzt vor. Dem SPD-Präsidium hat es gefallen. Zugleich aber wirbt die Partei im Europawahlkampf mit Plakaten, auf denen uns Scholz anschaut und vor ihm, in Riesenlettern, das Wort „Frieden“ prangt.So lief das bei Willy BrandtAlles nur Ideologie? Es gibt Situationen, in denen bloße Ideologie schon weiterhilft. Wenn die SPD sich wieder zur Friedenspartei erklärte, die gegen die Kriegsparteien in Deutschland stünde, das könnte nützlich werden. Als Willy Brandt Kanzler war, war es so in der Bundesrepublik: Es gab wie heute Kriegsparteien, die Brandts Verhandeln mit Russland, damals die führende Sowjetnation, als Kapitulation vor dem Feind brandmarkten und ihn deshalb zu stürzen versuchten.Reden denn heute die Kriegsparteien anders? Der Unterschied ist doch nur, dass auch die SPD zu einer geworden zu sein schien. Oder sich jedenfalls nicht traute, den Schein, wenn es einer war, zu durchbrechen. Sie traut sich auch jetzt noch nicht richtig. Plakatiert zwar „Frieden“, davon aber, Verhandlungen mit Russland zu fordern, ist sie noch weit entfernt.Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat kürzlich die Abtrennung der ukrainischen Ostprovinzen, in denen russophone Menschen leben, zum russischen Kriegsziel erklärt. Dagegen steht eine NATO-Strategie, die Intensität des Krieges in kleinen Schritten und ohne dass es eine rote Linie gibt, immer mehr zu steigern. Was das Endergebnis wäre, kann sich jede und jeder ausrechnen. Die SPD plakatiert „Frieden“: Wenn das nicht bloß Ideologie sein soll, wäre klar, was sie zu tun hätte. Aber auch wenn es bloß Ideologie ist, kann es eine Eigendynamik in Gang setzen.Das Parteiensystem zur Zeit Willy Brandts war deshalb so stabil, weil eine Hälfte des Spektrums, die Unionsparteien, für kriegsförderliche Spannungen stand und die andere, die SPD und damals auch die FDP, für Frieden. „Sie sind unfähig zum Frieden“, rief noch Brandts Nachfolger Helmut Schmidt den Unionsparteien im Bundestag zu. Alles wütende Geschrei, das er erntete, ließ ihn unbeeindruckt. Es war genau diese Politik, die die SPD damals stark machte.Als Willy Brandt, für seinen Friedenskurs angefeindet, sich zur Wiederwahl stellte, bekam erstmals in der Geschichte deutscher Parlamentswahlen die Linke, damals die SPD, statt der Rechten eine Mehrheit weiblicher Wählerinnen, und damit die Mehrheit überhaupt. Extremistische Parteien hatten bei dieser Rechts-links-Konfrontation, einer Konfrontation innerhalb des Verfassungsbogens, keine Chance. Dahin könnte es, wenn die SPD den Mut aufbrächte, auch heute wieder kommen.
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