Warum die BSW für Gewerkschafter*innen keine Alternative ist.

Parteineugründung Ulrike Eifler und Nils Böhlke aus dem Bundessprecher*innenrat der BAG betrieb & gewerkschaft argumentieren, weshalb die Parteineugründung keine Alternative für Gewerkschafter*innen sein kann.

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Mit der Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) ist die Spaltung der Bundestagsfraktion der LINKEN endgültig vollzogen. Die neue Formation ist aus einer langen Debatte darüber entstanden, ob für die LINKE „die soziale Frage“ noch zentral sei. So hatte Wagenknecht ihrer Partei im Bundestagswahlkampf 2021 eine nicht nach vorn gerichtete, auf strategische Veränderungen ausgelegte, sondern im Gegenteil eine die Partei lähmende, fast schon zermürbende Debatte aufgezwungen. In ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ sprach sie davon, dass sich sozialdemokratische und linke Parteien auf den Irrweg des Linksliberalismus eingelassen hätten, die Linke theoretisch entkernt sei und sich von großen Teilen ihrer Wählerschaft entfremdet habe.[1] Wagenknecht und ihr Umfeld - strömungspolitisch vor allem in der Sozialistischen Linken verortet - forderten, dass DIE LINKE ihren Kurs ändern müsse, andernfalls sei die Gründung einer neuen Partei unausweichlich.

Wir sind keinesfalls der Meinung, dass DIE LINKE sich die Debatte über politische Schwerpunktsetzungen und Ausrichtung ersparen kann. Ganz im Gegenteil: Tatsächlich zeigen die Wahlergebnisse unter Gewerkschaftsmitgliedern, dass DIE LINKE als Partei, die sich in der Tradition der Arbeiter*innenbewegung sieht, ein großes Problem hat. Seit der Bundestagswahl 2013 geht die Zustimmung von Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen kontinuierlich zurück. Selbst Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wählen eher AfD oder FDP statt der LINKEN ihre Stimme zu geben. Das Mißtrauen der Klasse gegenüber der Partei ist in der Tat groß. Zu den Gründen haben wir uns an anderer Stelle bereits geäußert.[2] Darin haben wir zudem deutlich gemacht, dass wir auch weiterhin für die LINKE und in der LINKEN für Veränderungen im Interesse der gesamten Klasse kämpfen wollen.

Vor diesem Hintergrund wollen wir mit dem folgenden Text herausarbeiten, warum BSW weder eine Alternative für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sein kann, noch für diejenigen, die die soziale Frage und den Kampf für die Interessen der Lohnabhängigenklasse ins Zentrum ihres politischen Handelns stellen. Denn - so argumentieren wir -eine Partei, die die Interessen der abhängig Beschäftigten vertreten möchte, muss die Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit als Klasse in den Blick nehmen.

Sanktionen gegen junge Arbeitslose

DIE LINKE ist aus der Bewegung gegen die Agenda 2010 entstanden. In den Jahren 2005 bis 2010 stand der Kampf gegen Hartz IV im Mittelpunkt erfolgreicher Wahlkämpfe. Dieser Schwerpunktsetzung lag die Überzeugung zugrunde, dass die Angriffe auf Erwerbslose und deren Lebensstandard letztlich ein Angriff auf die gesamte Klasse sind. Das System Hartz IV verschärfte den Druck auf Menschen in der Langzeitarbeitslosigkeit, es sollte aber auch die Belegschaften in den Betrieben disziplinieren. Der aufgebaute Druck, jeden angebotenen Job und jede angebotene Qualifikationsmaßnahme annehmen zu müssen, sowie die viel zu niedrigen Regelsätze, trugen wesentlich dazu bei, dass Löhne und Gehälter gedrückt wurden.

DIE LINKE konnte den Unmut darüber aufgreifen und stellte damit einen gesellschaftlichen Gegenpol dar, der für viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu einem wichtigen Bezugspunkt wurde und nicht zuletzt auch die Positionierung der Gewerkschaften gegenüber der Agenda-Politik veränderte. Dass Sahra Wagenknecht in einem ihrer ersten Interviews nach der Gründung des BSW sich nun für Sanktionen gegen junge Menschen ausspricht, die angebotene Qualifikationsmaßnahmen nicht annehmen[3], ist eine deutliche Abkehr von den Positionen der LINKEN gegenüber dem Hartz-Regime und damit gegenüber der Agenda-Politik. Keine Änderung gegenüber den Positionen der LINKEN ist, dass sie sich dafür ausspricht, dass ältere Beschäftigte und Rentner*innen besser abgesichert werden müssen. Unserer Ansicht nach verliert Wagenknecht mit dieser Unterscheidung die Handlungsfähigkeit der Klasse aus dem Blick und trägt dazu bei, dass die Älteren gegen die Jüngeren und Arbeitende gegen Menschen ohne Arbeit in Stellung gebracht werden. Das schwächt die Abwehrkräfte der gesamten Klasse.

Fehlender Klassenstandpunkt in der Wirtschaftspolitik

Auch wirtschaftspolitisch vertritt die BSW keineswegs den Standpunkt der Lohnabhängigenklasse. Fast schon im Duktus der neoliberalen Agenda-Politik fordert BSW, dass der „Wirtschaftsstandort“ gesichert werden müsse.[4] Wie unscharf offenbar mit Klassengrenzen operiert wird, zeigt der ehemalige Landessprecher der LINKEN in NRW und BSW-Gründungsmitglied Christian Leye, als der fordert, dass Industrieunternehmen, selbst solche, die als Marktführer bekannt sind, als Mittelstand unterstützt werden müssen.[5] Dabei soll gar nicht in Abrede gestellt werden, dass es durchaus historische Situationen geben kann, wo die Klasse mit dem kleinen Bäcker oder auch mit den Handwerksbetrieben mit einigen wenigen Angestellten gemeinsame Interessen haben kann, aber Marktführer oder auch die sogenannten „Hidden Champions“[6] sind Unternehmen mit einem durchschnittlichen Umsatz von fast einer halben Milliarde Euro[7]. Wer aus deren Sicht argumentiert oder gemeinsame Interessen mit den Beschäftigten suggeriert, verabschiedet sich von Klassenpolitik. Linke Industriepolitik darf gerade in der Transformation nicht daraus bestehen, den Unternehmen die grüne Modernisierung so günstig wie möglich zu machen. Sie sollte vielmehr den Industriebau so gestalten wollen, dass die Handlungsmacht der Beschäftigten nicht untergraben, sondern gestärkt wird. Die Forderung der Bundestagsfraktion nach einem Ausbau der Mitbestimmung spielt bei BSW aber offenbar keine Rolle.

Dass es gerade auch mittelständische Industrieunternehmen sind, in denen Betriebsräte bekämpft werden und Tarifbindung untergraben wird, scheint ebenso vergessen zu sein, wie die Tatsache, dass es einen Klassengegensatz auch gerade dort gibt, wo die meisten deutschen Beschäftigten arbeiten - in den mittleren Unternehmen. Wer nicht darüber redet, dass es gerade jetzt in den aktuellen Umbrüchen der Arbeitswelt darauf ankommt, dass die Beschäftigten eine stärkere Rolle spielen müssen, der macht Industriepolitik ohne die Perspektive der Klasse. Ein Wegwischen des Klassengegensatzes aber desorientiert die Klasse in den anstehenden Verteilungsauseinandersetzungen und schwächt gewerkschaftliche Gegenwehr gegen Versuche, Krisenkosten auf die Beschäftigten abzuwälzen. „Mittelstand und Familienunternehmen prägen die deutsche Unternehmenslandschaft. Sie machen den Wirtschaftsstandort international wettbewerbsfähig, stemmen den größten Teil der Wirtschaftsleistung und beschäftigten die meisten Mitarbeiter“, heißt es auf der Website von Arbeitgeberverbänden.[8] Wer die Interessen der Lohnabhängige vertreten möchte, der sollte nicht so klingen wie ein Mittelstandsunternehmen. Auch mittelständische Unternehmen berufen sich darauf, den Mittelstand zu sichern, um den Wirtschaftsstandort zu retten. Um sich von den Arbeitgeberpositionen abzugrenzen, darf die politische Linke nicht auf Sozialpartnerschaft, sondern muss auf Klassenkampf setzen. Die Gewinne der Unternehmen auf Kosten der Arbeit der Beschäftigten müssen mehr denn je infrage gestellt werden - nicht zuletzt, weil die Gewerkschaften, wenn sie auf Sozialpartnerschaft setzten, stets geschwächt aus den Auseinandersetzungen hervorgegangen sind.

Kampf gegen die AfD

Neben den Auseinandersetzungen über die Verteilung der Krisenkosten muss der Kampf gegen die erstarkende AfD ein zentrales Handlungsfeld der Gewerkschaften sein, denn wie beispielsweise sollen betriebliche Funktionäre die Transformation industrieller Fertigungsprozesse gestalten, wenn sich die Leugnung des Klimawandels - wie AfD-Politiker unaufhörlich suggerieren - in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen festsetzen? Nicht ohne Grund also hat die Auseinandersetzung mit der AfD auf den Gewerkschaftstagen sowohl bei der IG Metall als auch bei ver.di eine zentrale Rolle gespielt. Historisch war das Einknicken gegenüber rechten Diskursen nie Rückenwind für gewerkschaftliche Verteilungskämpfe. Nicht zufällig initiieren Herrschende in Krisenzeiten regelmäßig „Das Boot ist voll“-Debatten. Das half ihnen, Sündenböcke zu finden und den gesellschaftlichen Unmut eben nicht gegen Herrschende, sondern gegen Asylsuchende im Speziellen und Migrant*innen im Allgemeinen zu richten.

Wenn sich jetzt also BSW-Politiker dafür aussprechen, Asylverfahren zu beschleunigen, um schneller abschieben zu können[9] und im Bundestag gemeinsam mit CDU und AfD für eine Erweiterung vermeintlich sicherer Drittstaaten stimmen,[10] dann ist das eben jenes Einknicken vor der verschärften Asyldebatte. Es ist zwar richtig, dass das Proletariat sehr genau spüre, „dass unter den herrschenden Machtverhältnissen in Ökonomie und Gesellschaft unbegrenzte Zuwanderung zwingend zunächst zu noch mehr Ausbeutung aller, ob deutscher oder migrantischer Herkunft, führen wird“, wie WASG-Mitbegründer Ulrich Maurer schreibt.[11] Aber die politische Linke muss sich immer zuerst die Frage stellen, was die Klasse stärkt und was sie schwächt und wie die herrschenden Machtverhältnisse verändert werden können. Statt also den spaltenden herrschenden Diskurs zu verstärken, sollte sie sich fragen, was notwendig wäre, um die Menschen zu organisieren und kampffähig zu machen. Das Gegenteil tut, wer die herrschende Ideologie - das Problem seien zu viele Migrant*innen und nicht die völlig unterfinanzierte soziale Infrastruktur, die bei angemessener Besteuerung der Vermögenden und der Aushebelung der desaströsen Schuldenbremse auch kurzfristig massiv verbessert werden könnte - nicht in Frage stellt. Wer dazu beiträgt, dass ein Klima entsteht, in dem es legitim und gesellschaftlich anerkannt ist, den Unmut nicht nach oben, sondern nach unten zu richten, der stärkt den Aufstieg rechter, reaktionärer Kräfte. Denn in einem solchen Klima fühlen sich die Kräfte wohl, die der Todfeind der Gewerkschaftsbewegung sind und die allein durch ihre Stärke diese schwächen.

Stärkung vs. Entmündigung der Klasse

Gewerkschaft ist die Selbstorganisation der Beschäftigten, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Der Vers aus der Internationale „Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun,“ ist seit jeher konstitutiv für die Gewerkschaftsbewegung. Es war dabei immer notwendig, dass verschiedene politische Positionen diskutiert werden können. Mehrheiten wurden durch Überzeugung und in der gemeinsamen Praxis gewonnen. Auch in der LINKEN gibt es viele - wenn auch nicht immer einfache Diskussionen - in denen um Mehrheiten gerungen wird. Der MItgliederentscheid zum Bedingungslosen Grundeinkommen war nur eine Entscheidung, mit der wir nicht guthießen. Andere folgten. Doch auch, wenn wir nicht immer einverstanden sind mit den Entscheidungen der Partei, sehen wir in ihr ein Kampffeld, auf das wir Einfluss nehmen können - das tun wir auch.

Demgegenüber sehen wir diese Möglichkeit im BSW nicht. Es ist anzunehmen, dass die Ausrichtung des Bündnisses auf die Person Wagenknecht dazu führen wird, dass sich aus existenziellen Gründen keine Position durchsetzen kann, die nicht Wagenknecht selbst mitträgt. Die Art wie Wagenknecht die politische Schwerpunktsetzung ihrer Partei kritisierte, verdeutlicht vielleicht das Problem am ehesten: Sie war nicht Teil einer innerparteilichen Debatte auf Augenhöhe, bei der um Positionen und Kompromisse gerungen wurde mit dem Ziel, die Partei in ihrer Gesamtheit stärker zu machen. Wagenknecht führte die Diskussion außerhalb der Partei - über Bücher, Talkshows, Veranstaltungen. Es ging dabei um das Repräsentieren ihrer Positionen, die der Person Wagenknecht, nicht um die Stärkung der Partei. Indem sie DIE LINKE von außen und de facto als Objekt kritisierte, nahm sie eine bürgerliche Perspektive ein. Die Stärke der Arbeiterbewegung war aber immer ihre Kollektivität, der gemeinsame Austausch von Einschätzungen, das Ringen um Perspektiven, die Suche nach Kompromissen, um das Einigende in den Vordergrund zu stellen. Die Klasse sollte Subjekt gesellschaftlicher Veränderung sein, nicht die Partei und schon gar nicht eine einzige Person. Der starke Fokus auf eine Person macht die Lohnabhängigen zu handlungsunfähigen Objekten und bewirkt nicht die Stärkung der Klasse, sondern fördert ihre Entmündigung. Eine solche Entmündigung endete in der Geschichte immer fatal. Sie ist aus unserer Sicht keine gewerkschaftliche Perspektive.

[1] Wagenknecht, Sahra (2021): Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt“, Campus, Frankfurt/ New York.

[2] 4,9 Prozent: War’s das für DIE LINKE? AG Betrieb & Gewerkschaft (betriebundgewerkschaft.de)

Linke Gewerkschaftspolitik auf der Höhe Zeit? AG Betrieb & Gewerkschaft (betriebundgewerkschaft.de)

DIE LINKE braucht einen Klassenkompass AG Betrieb & Gewerkschaft (betriebundgewerkschaft.de)

[3] Sahra Wagenknecht über Bürgergeld: »Falscher Ansatz« - junge Menschen sollen sich um Arbeit bemühen - DER SPIEGEL

[4] (1) "Deut... - Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit. | Facebook

[5] In... - Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit. | Facebook

[6] https://buendnis-sahra-wagenknecht.de/wp-content/themes/bsw/assets/files/BSW_Gruendungsmanifest.pdf

[7] https://www.iwd.de/artikel/hidden-champions-die-starken-aus-der-zweiten-reihe-424550/

[8] https://bdi.eu/themenfelder/mittelstand-und-familienunternehmen/wo-das-herz-der-deutschen-wirtschaft-schlaegt

[9] Amira Mohamed Ali (Bündnis Sahra Wagenknecht): Müssen Migration dringend begrenzen | Presseportal

[10] Moldau und Georgien als sichere Herkunftsstaaten (Entschließungsantrag) | abgeordnetenwatch.de

[11] Maurer, Ulrich (2018): Wars das? Ein Nachruf auf die SPD, VSA, Hamburg, 29.

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