Thwaites-Gletscher: Das Ende von Hamburg

Klimakrise Der Thwaites-Gletscher schmilzt dramatisch. Wann wird New York, Hamburg, Jakarta oder Tokyo nicht mehr bewohnbar sein werden? Ist das schon in 20 Jahren? Oder erst in 60 Jahren? Aber das ist eher eins unserer kleineren Probleme
Ausgabe 22/2024
Der Thwaites-Gletscher könnte Hamburg untergehen lassen
Der Thwaites-Gletscher könnte Hamburg untergehen lassen

Foto: Jim Yungel/Nasa/dpa

Er gilt als der wichtigste Gletscher der Welt, weshalb er auch so genannt wird: „Doomsday-Gletscher“, oder auf Deutsch „Weltuntergangs-Gletscher“. Denn dieser Gletscher bestimmt, ab wann New York, Hamburg, Jakarta oder Tokyo nicht mehr bewohnbar sein werden. Ist das schon in 20 Jahren? Oder erst in 60 Jahren?

Es geht um den „Thwaites-Gletscher“ in der Westantarktis, benannt nach einem US-amerikanischen Glaziologen. Dieses Eisfeld ist halb so groß wie Deutschland und einige Kilometer dick. Schmilzt der Gletscher komplett ab, steht der Pegel der Ozeane weltweit mindestens 60 Zentimeter höher als heute.

Aber das ist nur der kleine Teil der Gefahr, der vom „Weltuntergangs-Gletscher“ ausgeht: Noch nämlich „klemmt“ er vor gewaltigen Gletschermassen so wie ein Korken auf der Flasche. Wenn dieser Korken weggeschmolzen ist, fließen die gefrorenen Wassermassen in den Ozean, tauen dort und lassen den Meeresspiegel um mehrere Meter weiter ansteigen.

Auf Grönland, einer Eismasse mit dem Ausmaß viermal so groß wie Deutschland, schmilzt das Eis von oben nach unten – ein Prozess, den die Wissenschaft als Kipp-Element bezeichnet: einmal angeschoben, lässt er sich nie wieder anhalten. Jeder, der in den Bergen wandern geht, kann das nachfühlen. Weil er weiß, oben auf dem Gipfel ist es kühler als im Tal, packt er sich einen Pullover ein. In der Spitze ist der grönländische Eisschild 3.300 Meter hoch, aber diese Spitze schmilzt nach unten in immer wärmere Schichten, was den Schmelzprozess beschleunigt. Die Wissenschaft sagt: Ohne Klimaschutz wird der Meeresspiegel allein durch das Wasser des Grönlandeises um sieben Meter steigen. Emden liegt ein Meter hoch.

Energie-Bombardement der Meere bleibt nicht ohne Folgen

Der Thwaites-Gletscher schmilzt anders, wie eine Ende Mai veröffentlichte Studie zeigt: Wie eine gierige Zunge „leckt“ ihn warmes Ozeanwasser von unten ab. 90 Prozent jener Energie, die durch den menschgemachten Treibhausgaseffekt auf der Erde verblieben sind, haben uns die Meere abgenommen, weil Wasser Energie viel leichter speichert als zum Beispiel Sand oder Beton. Nach Berechnungen der Wissenschaft waren das 228 Zettajoule bis zum Jahr 2019. Das ist so viel Energie wie 3,5 Milliarden Atombomben der Hiroshima-Größe besitzen.

Logisch, dass ein derartiges Bombardement der Meere nicht ohne Folgen bleiben kann: Bereits heute steht fest, dass Mitte des Jahrhunderts 70 bis 90 Prozent aller Korallen weltweit abgestorben sein werden. Aber auch vor der Antarktis macht das warme Ozeanwasser keinen Halt: Ohne echten Klimaschutz wird der „Thwaites-Gletscher“ in zehn, spätestens in 20 Jahren kollabieren. Zwar wird dann der Meeresspiegel nicht sofort um viele Meter steigen, Abschmelzen braucht Zeit, weshalb binnen eines Jahrhunderts „nur“ ein bis zwei Meter möglich sind. Wegen der Unumkehrbarkeit entscheiden wir aber heute, wie sich das Antlitz der Erde in den nächsten Jahrtausenden verändern wird.

Hilfreich ist deshalb ein Urteil, das das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Mitte Mai gefällt hat: Der Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) unternimmt zu wenig für den Klimaschutz. Nicht das erste Urteil, dass Habeck an den Pranger stellt, bereits im November 2023 hatte das Gericht die Klimapolitik der Ampelregierung für unzureichend erklärt und Nachbesserungen gefordert. Statt sich jetzt aber Gedanken zu machen, wie das Grönlandeis und der „Thwaites-Gletscher“ wirksamer geschützt werden können, ging Habecks Ministerium gegen das Urteil in Berufung.

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