Zu wenig Klimaschutz: Verfassungsbeschwerde gegen gestutztes Klimaschutzgesetz

Klimakrise Diesel, Tempolimit, Dienstwagenprivileg: Eine Koalition aus Umweltschützern will die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz zwingen – denn die schlägt den umgekehrten Weg ein
So sieht eine Klage gegen die Bundesregierung aus:  Gruppenbild der Kläger:nnen in der Bundespressekonferenz
So sieht eine Klage gegen die Bundesregierung aus: Gruppenbild der Kläger:nnen in der Bundespressekonferenz

Foto: Imago

Neue Klimaklage gegen die Bundesregierung: Ein Klagebündnis aus fünf Umweltverbänden kündigte am Mittwoch an, drei neue Verfassungsbeschwerden gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung einzureichen. „Seit 2021 erleben wir in Sachen Klimaschutz eine Kakophonie des Scheiterns“, erklärte eine der Klägerinnen,Luisa Neubauer, die bei Fridays for Future als Sprecherin fungiert. Neben Greenpeace, Germanwatch und dem Bund für Umwelt und Naturschutz BUND beteiligen sich auch die Deutschen Umwelthilfe DUH und der Solarenergie-Förderverein Deutschland SFV. Ihr Vorwurf: Mit dem neuen Klimaschutzgesetz verstößt die Bundesregierung gegen das Grundgesetz. Maßstab des politischen Handelns müsse die klimawissenschaftlich fundierte, rechtlich verankerte Grenze von global 1,5 Grad maximaler Erderhitzung sein, um die Folgen der Klimakrise noch beherrschbar zu halten.

Ein Vorteil des Paris-Protokolls war, dass danach für jedes Land berechenbar wurde, wie viel Treibhausgase es noch ausstoßen darf, wenn es einen fairen Beitrag zum 1,5-Grad Ziel leisten will. Das so genannte Restbudget: jene Menge, die die Menschheit insgesamt noch ausstoßen darf, aufgeteilt auf die Einwohner der einzelnen Länder. Nach dieser Berechnung hat die Bundesrepublik bereits ihr noch zustehendes Restbudget aufgebraucht.

Es geht den Klägern auch um einen Trick, mit dem die Ampel ihre Regierung retten wollte: Nach dem alten Klimagesetz sind alle Sektoren verpflichtet, einen Betrag X an Treibhausgasen zu reduzieren – also der Verkehr, die Landwirtschaft, der Bausektor, die Industrie, die Energiewirtschaft, die Abfallwirtschaft. Werden diese im Gesetz festgesetzten Reduktionsmengen nicht erreicht, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm auflegen, um den Fehlbetrag wiedergutzumachen. So wie im vergangenen Jahr die Bereiche Verkehr und Bau.

Einfach das Klimaschutzgesetz umgeschrieben

Allerdings weigerte sich vor allem Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), Maßnahmen wie ein Tempolimit zu beschließen, er legte kein Sofortprogramm auf. Dagegen klagte die Deutsche Umwelthilfe DUH erfolgreich. Im vergangenen Herbst urteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Die Ampelkoalition müsse „gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Gebäude und Verkehr“ vorlegen.

Doch statt dies tatsächlich zu tun, ging Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnisgrüne) in Revision vor das Bundesverwaltungsgericht. Nicht, dass dies etwas am Urteil ändern wird, denn überprüft wird nur, ob der 11. Senat in Berlin einen Verfahrensfehler begangen hat. Immerhin Zeit bis zur Rechtmäßigkeit des Urteils gewannen die Ampel-Koalitionäre dadurch aber – und sie nutzten diese, um sich ein neues Gesetz zu schreiben. Nach der Neufassung müssen nun nicht mehr die einzelnen Sektoren Zielmarken erreichen, das Instrument des Sofortprogramms ist hinfällig.

Zumindest theoretisch: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das Gesetz immer noch nicht unterschrieben, wie ein Sprecher gegenüber dem Freitag bestätigte. „Unsere Rechtsanwälte haben dem Bundespräsidenten ein 19-seitiges Rechtsgutachten zukommen lassen, in dem detailliert dargelegt wird, warum die Neufassung des Gesetzes verfassungswidrig ist“, sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Gesetzeskraft erreicht die Neufassung nur, wenn der Bundespräsident unterschreibt, dass er dies nicht tut, hat es noch nie gegeben. Allerdings ist es nun schon zwei Monate her, dass der Bundesrat die Neufassung beschlossen hat, auch dass ein Gesetz so lange im Bundespräsidialamt festhängt, ist ausgesprochen ungewöhnlich.

So ungewöhnlich wie der Gesetzesakt selbst, findet Jürgen Resch: „Die Panzerknacker werden bei einem Bankraub erwischt, müssen aber nicht ins Gefängnis, weil sie es geschafft haben, nach einer Verurteilung den Bankraub zu entkriminalisieren. Auf die Ampelregierung übertragen: Diese hat sich nach ihrer Verurteilung einfach ein neues Gesetz geschrieben: Das Ausrauben einer Bank ist jetzt legal.“ Ohne Unterschrift aber gilt nach wie vor das alte Klimaschutzgesetz, also das mit den Sofortprogrammen. Wenn der Bundespräsident das bis zum 14. Juli nicht unterzeichnet, „muss Porscheminister Wissing am 15. Juli wieder ein Sofortprogramm vorlegen“, so Resch.

Eine zweite Verurteilung der Bundesregierung

Doch selbst wenn das neue Klimaschutzgesetz vom Bundespräsidenten in Kraft gesetzt wird: Aus dem Schneider ist die Ampel beim Klimaschutz damit noch lange nicht. Denn Deutsche Umwelthilfe und BUND haben nicht nur die mangelnden Sofortprogramme beklagt, sondern auch die mangelnden Klimaschutzinstrumente. Und wieder bekamen die Kläger Recht, Mitte Mai urteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Die Ampelkoalition tut zu wenig für den Klimaschutz. Deshalb muss sie „das Klimaschutzprogramm 2023 um erforderliche Maßnahmen ergänzen“.

„Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichtes hat festgestellt, dass die aktuelle Gesetzgebung 200 Millionen Tonnen Treibhausgase zu wenig einspart: Die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen sind also nicht ausreichend, um das Gesetzesziel zu erreichen“, so Resch. Außerdem habe das Gericht festgestellt, dass die Maßnahmen nicht präzise genug formuliert sind: Aus einer Maßnahme „Abbau klimaschädlicher Subventionen“ lasse sich nur dann ein Minderungsbetrag ermitteln, wenn die Subvention auch exakt benannt ist, die abgebaut werden soll – also zum Beispiel das Dieselprivileg: Durch dieses wird jeder Liter Diesel 18 Cent billiger als Benzin. Allerdings werden bei der Dieselverbrennung etwa 13 Prozent mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der gleichen Menge Benzin.

Dieses Programm ist nach dem Klimaschutzgesetz jenes politische Instrument, mit dem das gesetzlich verbindlich festgeschriebene deutsche Klimaziel erreichbar wird: minus 65 Prozent bis 2030 gegenüber 1990. Weil dieses Ziel aber in Gefahr ist, zog die Deutsche Umwelthilfe neuerlich vor Gericht. Und bekam wieder Recht: Die Regierung muss mehr Klimaschutz machen.

Bereits ein Erfolg vor dem Verfassungsgericht

Auch nach diesem Urteil ist ausdrücklich wieder Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Doch kann sich Klimaschutzminister Habeck ein zweites Mal leisten, gegen ein Urteil für mehr Klimaschutz in Revision zu gehen?

Zumal nun mit der Verfassungsbeschwerde ein noch schärferes Schwert über seinem Kopf schwebt: BUND und der Solarenergie-Förderverein Deutschland haben Deutschlands oberstes Gericht schon einmal angerufen. Und 2021 von den Bundesverfassungsrichtern Recht bekommen: Um die Rechte kommender Generationen zu schützen, verpflichtete Karlsruhe damals die Vorgänger-Regierung, das Klimaschutzgesetz nachzuschärfen. Raus kam dabei jenes Gesetz, das die Ampel nun wieder abgemildert hat.

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