Rot gilt als die Farbe der Liebe, ein Symbol, das Nähe, Wärme und Geborgenheit verspricht. Sie ist eine Farbe des Lebens, die Farbe des Blutes, das in unseren Adern pulsiert und unsere Wangen sich röten lässt, wenn sich die Gefäße bei Scham, Wut oder Verlegenheit erweitern. Rot ist auch eine Warnung. Sie soll uns schützen – vor Viren auf dem Laptop, vor Gift, Autos oder Zügen. Eine Rote Karte im Sport bedeutet das vorzeitige Ende; wer rotsieht, muss gehen. Manche sehen nur noch rot: Rot ist die Farbe der Wut, der Glut, eine unerbittliche Farbe, auch eine Farbe der Rache.
Rot regt an, regt auf, erregt; keine andere Farbe lässt Marketingcoaches so viel philosophieren. Rot sei ein schwieriger Farbton, die Wirkung hervorstechend, aber auch alarmierend. Gängiger Tipp: Leuchtendes Rot nur gering dosiert einsetzen, man soll es ja nicht übertreiben. Ob leuchtend oder blass, die Farbe Rot trägt eine Last von Bedeutungen, auch im Politischen, ist die Farbe der Linken, eine Aufforderung zum Umsturz, mindestens zur Veränderung, Bandiera rossa. „Avanti o popolo“, eine Farbe der Agitation; „Bandiera rossa la trionferà“, eine Farbe der Hoffnung.
Rot ist eine Parole, Revolution, vergossenes Blut; ein rotes Fahnenmeer für die einen Ausdruck des Kampfes für den Fortschritt, Hoffnungsschimmer; für die anderen sicheres Anzeichen der Regression, Dystopie. Geschwenkt wurde die Rote Fahne einst beim Aachener Aufruhr vor fast 200 Jahren, seitdem immer wieder geschwenkt, damit einige Geschicke der Welt gelenkt, so manches Unheil, das damit einherging, aber auch verdrängt.
Rot ist aber noch mehr, die Farbe der Korrektur, mit dem Rotstift heben wir hervor, notieren Gedanken, daneben, darüber, darunter, unterstreichen und streichen durch. Rot markiert, korrigiert und verändert.
Vielleicht brauchen wir dieses Rot in unserer Zeit mehr denn je – „Wieso eigentlich unserer?“ (Peter Hacks). Gerade in Zeiten, in denen kaum Hoffnung auf Verbesserung besteht, die eigenen Handlungsspielräume eng wie nie scheinen, sollte alles auf den Prüfstand gestellt, die Sache noch einmal durchgegangen werden. In Kenntnis dessen, dass es keine leeren Blätter mehr gibt, können wir nur markieren, korrigieren, verändern, was vorliegt; wir stehen nicht außerhalb von Geschichte und Entwicklung. Ein paar Schritte zurückgehen, um dann, wenn es so weit ist, wieder nach vorn treten zu können.