Vor wenigen Jahren nur war es ein Skandal, wenn sich ein AfD-Politiker mit Marine Le Pen oder Matteo Salvini zeigte. Vom Schulterschluss mit der europäischen extremen Rechten war die Rede, als 2017 Frauke Petry als AfD-Chefin in Koblenz führende Kräfte des französischen Rassemblement National (RN), der italienischen Lega und anderer Parteien traf. Sieben Jahre später haben sich die Vorzeichen geändert.
Schon im vergangenen Sommer erklärte Maximilian Krah, als er sich um die AfD-Spitzenkandidatur für die Europawahlen bewarb, seine Partei sei die „spannendste Rechtspartei in Europa“ – weil sie sich nicht an den Mainstream anpasse, wie es die anderen europäischen Rechtsparteien täten. Er wiederholte das bei jeder sich bietende
zenkandidatur für die Europawahlen bewarb, seine Partei sei die „spannendste Rechtspartei in Europa“ – weil sie sich nicht an den Mainstream anpasse, wie es die anderen europäischen Rechtsparteien täten. Er wiederholte das bei jeder sich bietenden Gelegenheit – und wurde Spitzenkandidat.Heute meiden viele Rechte in Europa die AfD, nicht nur wegen Aussagen wie der Krahs. Inzwischen ist der Bruch sogar offiziell vollzogen: Zunächst beendete Marine Le Pen die Zusammenarbeit mit der AfD, dann schloss die Fraktion Identität und Demokratie (ID) alle AfD-Abgeordneten aus dem Kreis nationalistischer und rechtsradikaler Parteien im Europäischen Parlament aus. Krah hatte der italienischen Tageszeitung La Repubblica ein Interview gegeben und darin unter anderem gesagt, dass „nicht jeder, der eine SS-Uniform getragen hat, automatisch ein Verbrecher“ gewesen sei. Dass Krah, wegen Spionage- und Bestechlichkeitsvorwürfen ohnehin schwer unter Druck, Kritikern eine solche Steilvorlage lieferte, werten auch sehr viele innerhalb der AfD als groben Fehler.Das Verhältnis der ID zur AfD ist schon länger angeknackstGerade zwischen dem französischen RN und Krah kam es schon in der Vergangenheit immer wieder zu Verstimmungen, etwa als er einen französischen Aktivisten der Identitären einstellte: Guillaume Pradoura hatte der RN wegen Antisemitismus rausgeworfen. Krahs ID-Fraktionsmitgliedschaft wurde zeitweise sogar suspendiert, weil er den rechts von Le Pen stehenden Éric Zemmour bei den französischen Präsidentschaftswahlen unterstützte.Beschädigt war das Verhältnis zwischen der AfD und den Granden der europäischen Rechten schon länger. Der Europaparteitag im vergangenen Sommer musste mit Grußworten aus Frankreich und Italien auskommen, zu größeren europäischen Treffen der Rechten wurde die AfD in letzter Zeit nicht eingeladen. Von den relevanten rechten Kräften hielt zuletzt nur noch die österreichische FPÖ zu ihr. Der jetzt vollzogene Bruch offenbart eine Konfliktlinie, die Europas Rechte wie die AfD selbst durchzieht: die zwischen rechter Realpolitik und rechtsradikaler Fundamentalopposition.Nach Jahrzehnten in der Opposition soll es etwa für Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahl 2027 endlich so weit sein. Etablierte Mitte-rechts-Parteien verschwinden, Rechte gewinnen hinzu, so ist es vielerorts in Europa. Die polnische PiS, die italienischen Fratelli d’Italia und die Lega sowie die FPÖ und die Partei „Die Finnen“ sind oder waren bereits in Regierungsverantwortung oder werden wie die Schwedendemokraten indirekt beteiligt. Geert Wilders steht in den Niederlanden kurz vor der Amtsübernahme. Giorgia Melonis Partei Fratelli d’Italia gehört im Europaparlament derweil der anderen rechten Fraktion an, den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR), ebenso wie Abgeordnete von PiS, spanischer Vox, „Die Finnen“ und Schwedendemokraten. Doch Melonis Weg hat Marine Le Pen sicher vor Augen, er führt politisch gen Mitte. Um Präsidentin zu werden, muss sie weit über ihr eigenes Lager hinaus Menschen überzeugen. Die Abgrenzung zur AfD ist ein weiteres taktisches Manöver bei Le Pens Strategie der „dédiabolisation“, der Entdämonisierung des RN. Aber nicht nur.Keine Mäßigung in AussichtIn Hinblick auf die EU selbst haben viele der realpolitisch orientierten Rechtsparteien ihre Positionen gemäßigt: Diejenigen, die jahrelang die Europäische Union abgelehnt und einen Austritt befürwortet haben, wollen sie nun reformieren. Spricht der rechte Rand der AfD und dessen Umfeld von „Melonisierung“, so kritisiert er damit die allzu große realpolitische Anpassung in Italien und Frankreich als Opportunismus. Auch Parteichef Tino Chrupalla versprach jüngst beim Landesparteitag der sächsischen AfD, eine „Melonisierung“ werde es mit der AfD nicht geben.Stimmen in der AfD, die ihre Partei taktisch lieber stärker zur Mitte hin orientiert und so perspektivisch möglicherweise als Juniorpartner regierungsfähig sehen würden, gibt es zwar weiterhin, sie sind in den vergangenen zwei Jahren aber leiser geworden. Der Konflikt zwischen Realpolitik und Fundamentalopposition in der AfD ist wie der Dissens in der Geopolitik ungelöst. Bis Anfang des Jahres überdeckte ein lang anhaltender demoskopischer Höhenflug die internen Konflikte. Mit sinkenden Umfragewerten scheinen sie sich zuzuspitzen.Das gilt auch für jene zweite Konfliktlinie innerhalb der Rechten in Europa wie in der AfD in Deutschland: die geopolitische Ausrichtung. Bereits die Affären um Krah, die eine Nähe zu Russland und China suggerieren, stießen gerade jenen in der AfD sauer auf, die eher auf ein transatlantisches Bündnis setzen und eurasischen Konzeptionen äußerst skeptisch gegenüberstehen. Auch bei den meisten großen Rechtsparteien in Europa orientiert man sich gerade seit dem Ukraine-Krieg stärker in Richtung der NATO; selbst beim französischen RN hält man sich mit allzu großen Avancen in Richtung Moskau inzwischen zurück.Eine transatlantische Rechte in EuropaDer Verleger Götz Kubitschek schrieb dieser Tage auf dem Blog der neurechten Sezession, hinter den aktuellen Verwerfungen im rechten Lager stehe eigentlich der Kampf um die geostrategische Ausrichtung Europas. Im vom RN forcierten Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion sieht Kubitschek eine Entscheidung Le Pens für ein transatlantisches rechtes Europa-Projekt, das sich um Fratelli d’Italia, Lega, PiS, Wilders und inzwischen auch um Viktor Orbán gebildet habe. Die AfD spiele bei diesem Projekt, das er als ein antideutsches klassifiziert, keine Rolle mehr.Die AfD wird aber nach den Wahlen am 9. Juni im Europaparlament vor der schweren bis angesichts der jüngsten Entwicklungen unlösbaren Aufgabe stehen, sich einer der großen rechten Fraktionen anzuschließen – oder eine Allianz aus kleineren rechtsradikalen Parteien zu schmieden. Willige Abgeordnete aus sechs weiteren Ländern muss sie finden, um eine Fraktion gründen zu können. Gut möglich, dass aus der „spannendsten Rechtspartei in Europa“ bald die einsamste geworden ist.Für Maximilian Krah muss das auf lange Sicht nicht das Ende bedeuten. In der AfD dürften Machtkämpfe und inhaltliche sowie strategische Konfliktlinien in der kurzen Zeit zwischen den Europawahlen und dem Parteitag in Essen Ende Juni weiter eskalieren. Der aus dem Wahlkampf verbannte Spitzenkandidat hat sich zwar bereits aus dem AfD-Bundesvorstand verabschiedet und angekündigt, nicht wieder für diesen zu kandidieren. Doch auch Chrupalla und dessen Co-Chefin Alice Weidel sind nach diesem maximal desolaten Europawahlkampf angeschlagen. Die nächsten Bundesvorstandswahlen stehen voraussichtlich in zwei Jahren an. Sollte der latente Abwärtstrend der AfD anhalten und die Parteispitze dann unter Druck stehen, könnte Krah sich durchaus wieder als Alternative ins Spiel bringen, womöglich als eine Art innerparteilicher Anti-Establishment-Kandidat der Marke Donald Trump.