Protest gegen Tesla in Grünheide: Wie stünde Brandenburg ohne Elon Musk da?

Meinung Ist Tesla der richtige Adressat der Klimaschutzbewegung? Ein Kommentar zur Ambivalenz der Proteste in Grünheide
Ausgabe 20/2024
Protest gegen die Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin (11.5.2024)
Protest gegen die Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin (11.5.2024)

Foto: Ben Kriemann/Pic One/picture alliance

Stellen wir uns einmal vor, Elon Musk hätte keine Tesla-Gigafactory in Grünheide (Mark) gebaut. Der Streichholzstangen-Wald zwischen Zuggleisen und Autobahn stünde noch, das Wasser wäre ein bisschen weniger knapp in Brandenburg und im Landkreis Oder-Spree, und 1.500 Polizistinnen wie Polizisten hätten wohl ein geruhsameres Wochenende verbracht. Oder auch nicht: Die Klimaschutzbewegung hätte ja, gäbe es Musks Elektroauto-Fabrik nicht, die Zeit nutzen können, um statt dieser eines der vielen neuen Flüssiggasterminals in Deutschland zu blockieren – oder eine der Produktionsstätten für Autos mit einem Verbrennermotor. Noch gibt es hier ja einige davon.

Doch dabei hätte es eben kein derart illustres und mobilisierendes Feindbild gegeben wie im Fall des Finanz- und Elektroauto-Konzerns Tesla mit seinem so obszön reichen wie libertären Boss Elon Musk. Die Aktivist*innen-Anreise, etwa aus dem Berliner Innenstadtring, wäre mit dem öffentlichen Personennahverkehr zum Flüssiggasterminal auf Rügen auch beschwerlicher gewesen als die 20 Zugminuten bis Grünheide – und dann fährt der Zug dorthin inzwischen auch noch mehrmals stündlich, wegen Tausender pendelnder Tesla-Arbeiter. Schließlich macht es wohl auch mehr Spaß, ein „Wasser Wald Gerechtigkeits-Camp“ nicht etwa bei VW in Wolfsburg, sondern am Strand eines herrlichen Sees in Brandenburg zu errichten.

Lithium statt Öl

Ist es aber nun wirklich eine gute Idee der Klimabewegung, sich als nächstes großes Ding nach Lützerath und den Protesten gegen das Abbaggern eines Dorfes für den Kohlebergbau im Jahr 2023 den Widerstand gegen Elektromobilität auf die Fahnen zu schreiben? Ja, lassen der gigaschnelle Bau der gigagroßen „Factory“ in Grünheide und die dabei sichtbare Durchsetzungsmacht eines undurchsichtigen US-Multimilliardärs wie Musk vermuten.

Einen Punkt hat die Klimabewegung auch, wenn sie darauf hinweist, dass im Namen postfossiler Mobilität für die nördliche Hemisphäre die Erde in der südlichen Hemisphäre nun zwar nicht mehr für Öl, aber etwa für Lithium umgegraben und zerstört wird. Zudem liegt auf der Hand, dass die massenhafte Produktion von Privat-PKWs das Problem eines massenhaften motorisierten Individualverkehrs in den Städten nicht löst, sondern verstetigt.

Eine eigene Schule aus den Gewerbesteuereinnahmen

Doch hätte Elon Musk wirklich keine Gigafactory in Brandenburg gebaut und würde Tesla der Gemeinde Grünheide nicht Millionen Euro an Gewerbesteuern überweisen, dann hätte diese Gemeinde jüngst nicht beschlossen, den Neubau der Gerhart-Hauptmann-Grundschule im Ortsteil Hangelsberg selbst günstig zu kaufen, sondern ein Privatinvestor hätte ihr diesen ungünstig vermietet. Das boomendste Bundesland der Republik hieße nach Jahren der Klage über die Deindustrialisierung des Ostens nicht Brandenburg, und dort wie nebenan in Polen würden einige Menschen mehr nach Arbeit suchen, statt sie bei Tesla gefunden zu haben. Es hätte sich dann nicht ein Teil dieser Menschen politisiert und organisiert, um einen Betriebsrat mit der IG Metall an der Spitze zu wählen und Gewerkschaftsfeind Elon Musk eine Lektion in deutscher Mitbestimmung zu erteilen.

Die Gemeinde Grünheide müsste jetzt nicht entscheiden, ob sie ein paar Streichholzstangen mehr roden lässt, damit Teslas Werk wachsen, ein neuer Bahnhof entstehen und viel mehr Frachtgut über die Schienen statt über die Straßen transportiert werden kann. Und über diese Straßen würden dann eben noch ein paar Elektroautos made in China mehr transportiert werden statt solcher made in Brandenburg.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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