Kaltes Grausen am Horizont: Warum die Grünen aus der Koalition aussteigen sollten
Endzeit Die Ampel-Koalition verlöscht flackernd, aber was kommt dann? Gerade die Grünen wären gut beraten, sich für eine neue Rolle zu entscheiden. Ein Plädoyer für den Koalitionsbruch
Diese Gesichter sagen alles über den Zustand der Koalition
Collage: der Freitag, Material: Imago Images
Warnhinweis: Dieser Text enthält Prognosen, und das bekannte Bonmot ist ja nicht aus der Luft gegriffen, dass Vorhersagen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Aber manchmal kann es helfen, sich vorzustellen, was kommen könnte. Das öffnet womöglich sogar die Augen dafür, was jetzt getan werden kann.
Übertragen wir die offensichtlichen Befunde zur aktuellen politischen Lage auf die Bundestagswahl 2025, dann erscheint eine Konstellation am Horizont, die im ersten Moment kaltes Grausen hervorruft. Und im zweiten Moment noch kälteres Grausen, weil sich zeigt: Sie ist in weiten Teilen schon Gegenwart. Nur dass sich jetzt vielleicht noch etwas tun ließe, um dem drohenden Szenario des Herbstes 2025 zu begegnen.
Die Tagesform der flackernd
rm der flackernd verlöschenden Berliner Ampel stellt nur den offensichtlichsten Teil der Diagnose dar. Wer nach der Wahl von 2021 aus unerfindlichen Gründen hoffte, der rechte Sozialdemokrat und Schuldenbremsen-Fan Olaf Scholz werde mit dem geschmeidigen Grünen-Duo Baerbock/Habeck und der marktliberalen Lindner-FDP die versprochene „Fortschrittskoalition“ zustande bringen, hätte es auch damals schon besser wissen können. Und spätestens seit Putins Angriff auf die Ukraine, dessen Folgen sich mit den Corona-Nachwehen und der aufkommenden Klimakatastrophe mischten, war klar: Auch diese Regierung ist zwar in der Lage, akute Krisenfolgen abzudämpfen. Aber den Pfad der ökologisch-sozialen Transformation, dessen Koordinaten sich in grünen Wahlprogrammen noch in Ansätzen fanden, wird sie nicht betreten.Putzige Appelle an die AmpelNun bastelt die Ampel an ihrem wohl letzten Haushalt, und der Kanzler ergeht sich per Sommerinterview erneut in der verbalen Quadratur des Kreises: hier die Schuldenbremse und der Verzicht auf Steuererhöhungen am oberen Ende („Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir haben“), dort das sozialstaatliche Versprechen, das sich mit diesen Tabus eben nicht halten lässt: „Wir werden den Sozialstaat verteidigen. Und wir werden ihn auch entwickeln.“ Geradezu putzig sind vor diesem Hintergrund die politischen und medialen Appelle, die Ampel möge sich doch bitte „zusammenraufen“ und einen schönen Etat beschließen.Die Hoffnung auf eine noch so maßvolle Reformpolitik, wie sie manche noch mit der zahlenmäßigen „rot-grünen“ Übermacht im Ampelbündnis verbanden, ist also zerstoben. Die konservative und die extreme Rechte teilen sich die Frust- und Verunsicherungs-„Dividende“ untereinander auf und sammeln Zustimmung ein für das leere Versprechen, globalen Krisen durch Abschottung gegen Flüchtende und militärische Aufrüstung nach außen, verbunden mit der Diffamierung sozialstaatlicher Leistungen nach innen, begegnen zu können. Die SPD torkelt ihnen rhetorisch hinterher, während die Grünen beim Krötenschlucken (siehe europäisches Asylsystem) wenigstens ein paar verbale Restbestände ihres humanitären und sozialen Anspruchs zu artikulieren versuchen.Für die Zukunft leitet sich aus all dem nach der Europawahl und laut Umfragen Folgendes ab: Die nächste Bundesregierung wird aus derselben ominösen „Mitte“ bestehen, angeführt von einer neokonservativen CDU/CSU, die auch in der EU nun wieder die Richtung bestimmen dürfte. Als willige Partner der Unionsparteien werden in Berlin wie in Brüssel eine inhaltlich größtenteils entleerte „Sozialdemokratie“ und, falls noch im Parlament, eine „liberale“ Kraft zur Verfügung stehen, die sich in Deutschland unter Christian Lindner noch eindeutiger der konservativ-marktliberalen Radikalität verschrieben hat als in Europa.Keine linke Option in SichtUnd die Opposition? Stärkste Kraft wäre hier, wenn die aktuellen Befunde sich bestätigen, wieder die AfD. Oder aber, fortgesetzten Aufstieg vorausgesetzt, das Bündnis Sahra Wagenknecht, das in der Klima- wie der Migrationspolitik den Unionsparteien näher steht als der Linken, von der es sich abgespalten hat. Da helfen – Stichwort Migration – auch vermeintlich feine Differenzierungen nichts: Wer meint, Wagenknecht stelle eine Alternative zur Abschiebe-Rhetorik der AfD-getriebenen großen Koalition aus Union, SPD und FDP dar, hat sich wohl im Datum geirrt. „Ein sicheres Bleiberecht statt Abschiebung ist ein Gebot der Menschlichkeit“, hat sie zwar einmal verkündet – aber das war 2012 und bezog sich auf europäische Menschen, hier aus dem Kosovo. Im Jahr 2024 sagt die Ex-Linke, wohl wissend, dass es auch bei abgelehnten Asylanträgen viele humanitäre Gründe für ein Bleiberecht geben kann: Wer keinen Anspruch auf Asyl habe, solle „in unserem Land nicht mehr einen Bleibestatus und auch nicht mehr Anspruch auf Sozialleistungen haben“.Wirtschaftspolitisch fordert das BSW zwar bessere Löhne und Sozialleistungen und will Großkonzerne entflechten. Aber das Loblied der mittelständischen Wirtschaft und den Ruf nach deren Förderung kann es genauso schön intonieren wie die CDU-Mittelstandsvereinigung, man lese nach im Parteiprogramm. Sollte Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine bis zum September 2025 beendet sein (auch wenn das kaum jemand zu hoffen wagt), würde auch ein national-konservativ-soziales Bündnis aus Union und BSW in die Nähe des Möglichen rücken.Die Linkspartei ist zwar nach Wagenknechts Abgang ehrlich darum bemüht, Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen mit konsequenter Klima- und liberaler Migrationspolitik zu verbinden. Aber ein giftiges Gemisch aus der Komplexität dieses Ansatzes, einer oft angestaubten Klassenkampf-Rhetorik, der notorischen Zerstrittenheit vergangener Jahre und der von rechts geschürten Stimmung wird aus heutiger Sicht dafür sorgen, dass sie mit dem Ende der parlamentarischen Existenz bestraft wird.Und die Grünen? Wenn sich das hier angedeutete Szenario bewahrheiten sollte, stehen sie jetzt vor Entscheidungen, die weit über die eigene Partei hinaus für Jahre von Bedeutung sein können. Kurz gesagt: Zu reden wäre über Opposition als womöglich einzige Chance gegen den kontinuierlichen Rechtstrend des politischen Spektrums. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die Grünen darauf vorbereitet sind.Protestpartei, das war einmalVerantwortliche Politik, so hat es auch die ehemals erfolgreiche Protestpartei leider verinnerlicht, lasse sich am ehesten oder gar ausschließlich in einer Regierung verwirklichen. Die Kompromisse, die dann in Koalitionen zu schließen seien, stellten eben den Preis für die Erfolge dar, die den Koalitionspartnern abgerungen werden könnten. Das ist natürlich eine legitime Denkweise, und ganz ohne Pluspunkte steht ja die Grünen-Bilanz selbst in der Ampelregierung nicht da, auch in der Energie- und Klimapolitik: Wer weiß, wie lange die Atomkraftwerke in Deutschland ohne sie noch laufen würden, und selbst das weitgehend entschärfte und in der Entstehung verkorkste Heizungsgesetz gäbe es womöglich nicht.Wenn es bei dieser Einstellung bleibt, werden die Grünen 2025 mit der SPD um den Platz an der Seite eines CDU-Kanzlers konkurrieren (wenn nicht gleich beide für eine Mehrheit benötigt werden). Aber wer sich den rechten Rollback vor Augen führt, muss sich eine Frage fast zwangsläufig stellen: Erfordert Verantwortung für die Demokratie unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht etwas ganz anderes, nämlich entschiedene Oppositionspolitik links der konservativ-rechten Übermacht, am besten im Bündnis mit fortschrittlichen Initiativen und Bewegungen aus der Zivilgesellschaft? Und wäre womöglich jetzt der Moment, dem Land die reale Lage durch einen Ampel-Ausstieg mit einem Schlag vor Augen zu führen?Ja, solche Fragen lösen Unbehagen aus, und das ist kein Wunder. Die aktive Annahme der Oppositionsrolle durch die Grünen würde schließlich bedeuten, der konservativ-marktliberalen „Mitte“, unterstützt von der großkoalitionär eingestellten Scholz-SPD, das Feld des Regierens „freiwillig“ zu überlassen: Entweder würde die rotgelbe Rest-Ampel noch ein bisschen weitermachen und sich bei der Mehrheitssuche die Kompromisse von Friedrich Merz und Markus Söder diktieren lassen. Oder es gäbe Neuwahlen, die Ähnliches hervorbrächten, nur unter offizieller Führung durch die CDU/CSU.Die Mitte rückt nach rechtsDas sind in der Tat traurige Szenarien. Das Dumme ist nur: Sie entsprechen der aktuell rechten Hegemonie im politischen Raum und womöglich auch in der Gesellschaft. Spätestens im Herbst 2025 werden aus heutiger Sicht diese Mehrheitsverhältnisse per Bundestagswahl beglaubigt, und womöglich läge die Entscheidung dann gar nicht mehr bei den Grünen: Sehr gut könnte es so laufen wie vor einem halben Jahr in Hessen, wo die CDU die Grünen für zehn Jahre biegsamster Koalitionstreue mit einem Wechsel zur SPD, dem aus ihrer Sicht kleineren Übel, „belohnte“.Aber selbst wenn die Grünen 2025 wieder die Chance bekämen, mitzuregieren: So schmerzhaft es wäre, einem Merz-Scholz-Bündnis (vielleicht ergänzt durch Lindner) das Feld zu überlassen, so sehr könnte es sein, dass gerade dieser Verzicht ihrer Verantwortung für die Demokratie entspräche. Denn viel spricht dafür, dass die Erfolge der nach rechts gerückten „Mitte“ und der extremen Rechten mit einem höchst bedrohlichen Mangel zu tun haben: Es gibt in diesem Land keine nennenswerte politische Kraft, die fortschrittliche Alternativen sowohl zum großkoalitionären „Weiter so“ als auch zu völkisch-nationalen Fantasien hörbar formuliert.So wie die Dinge liegen, könnte das nur eine grüne Partei sein, die sozial-ökologische Transformation zugleich realistisch und radikal buchstabiert und dem Frust über das mittige Herumwerkeln an den Multikrisen der Gegenwart mit einer fortschrittlichen Alternative begegnet – einer Alternative eben auch zur „Alternative für Deutschland“.Dass das aus der Regierung heraus nicht funktioniert, haben zweieinhalb Jahre Ampel ausreichend bewiesen. Das liegt zwar zum einen an der erschreckenden Anpassungsbereitschaft, die vor allem Robert Habeck bei aller Eleganz im Auftreten an den Tag legt – siehe seinen jüngsten Kotau vor Unternehmensinteressen beim Thema Lieferkettengesetz. Aber es liegt eben auch an der Entwicklung der realen Machtverhältnisse: Die Legislaturperiode der Ampel wird wohl in die Geschichte eingehen als die Zeit, in der die Gegenbewegung der ökonomisch Mächtigen gegen die gesellschaftlichen und politischen Kräfte der ökologisch-sozialen Transformation wieder die Oberhand gewonnen hat – zumindest vorerst.Was immer man von den Grünen in ihrem jetzigen Zustand hält: Wenn sich das auf mittlere Sicht wieder ändern soll, ist keine Partei in Sicht, die den Transformationsgedanken in sich „aufheben“ und gegen alle Mehrheiten und Widerstände dafür kämpfen könnte. Das ist es wert, den Weg in die Opposition zu gehen. Und wenn sie das nicht gleich tun, könnten die Grünen zunächst mal das ausprobieren, was die FDP sich ständig erlaubt: die Durchsetzung eigener Grundpositionen an bestimmten Stellen zur Bedingung für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit zu machen. Sparen durch Verzicht auf alle neuen Autobahntrassen oder Ende der Ampel – das wäre doch mal ein Ansatz für die Haushaltsgespräche.
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