Berlin ohne Fahrpläne: Schlimmbesser geht immer

Kolumne Im Juli startet in Berlin ein außergewöhnliches Pilotprojekt: Die Busse der BVG fahren dann statt nach festem Fahrplan nach flexibler Abstandstaktung. Susanne Berkenheger ist sich sicher, dass die neue Entlastungsmaßnahme funktionieren wird
Ausgabe 24/2024
Kann das Pilotprojekt „Fahren ohne Fahrplan“ helfen das alltägliche Chaos der BVG einzudämmen?
Kann das Pilotprojekt „Fahren ohne Fahrplan“ helfen das alltägliche Chaos der BVG einzudämmen?

Foto: Imago/Jürgen Held

Ich bin schon ganz aufgeregt, denn am 1. Juli soll das aufsehenerregende Pilotprojekt „Fahren ohne Fahrplan“ bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) starten. Einige Busse sollen dann statt fester Zeiten feste Abstandstaktungen einhalten. Das soll entlasten, weil die Busse dann nicht einem minutengenauen Fahrplan hinterherhetzen, sondern dem jeweils vorausfahrenden Bus. Im Zweifel, so hieß es im April, als die Idee mit Verdi in einem Manteltarifvertrag festgeschrieben wurde, müssten Fahrerinnen und Fahrer sogar Pausen einlegen, damit der Rhythmus beibehalten wird.

Vorbei seien dann die Zeiten, in denen Busse in Rudeln durch die Stadt fahren. Auf diese Nachricht hin quoll das Internet über: Ähm, muss ich als Fahrgast diese Zwangspausen mitmachen? Und an der nächsten Haltestelle quetschen sich dann Millionen Leute in den einzigen Bus rein. Das ist doch der Horror! Wen soll das denn bitte schön entlasten?

So nörgelte das Internet, weil es wie üblich nur oberflächlich informiert war. Lassen Sie uns, liebe Lesende, deshalb einen Blick in die Tiefen des Konzepts werfen. Jede Busfahrerin kann natürlich – sobald sie irgendwo steckenbleibt – alle anderen Busfahrer anfunken. Dann stoppen alle Fahrzeuge der gesamten Linie gleichzeitig, um die entlastende Abstandstaktung nicht zu gefährden. Im Extremfall muss der eine oder andere Bus auch ein Stückchen rückwärts fahren. Fahrgäste, die schon ausgestiegen sind, sollen aber nur in Einzelfällen gezwungen werden, wieder einzusteigen und sich zurücktransportieren zu lassen, um die Taktung nicht durcheinander zu bringen.

Die Entlastungsmaßnahme wirkt allerdings grundsätzlich nur, wenn Fahrgäste mitmachen. Wenn etwa eine Linie, sagen wir, seit einer Stunde steht, dann würden sich – nach aktueller Unsitte – immer mehr Fahrgäste an einzelnen Haltestellen sammeln, obwohl doch für jeden sichtbar ist, dass die Station bereits übervoll ist. Wieso? Weil man in vielen Jahrzehnten gelernt hat: Je mehr Leute sich irgendwo sammeln, umso größer ist das Busrudel, das irgendwann kommt. Es soll Berliner geben, die noch nie in ihrem Leben an einen Fahrplan glaubten, sondern annehmen, dass die BVG allein auf solche Menschenansammlungen reagiert. Manche sollen sogar Leute bezahlen, um mit ihnen dazustehen und zu warten. Da eine schimpfende und wütende Meute, die sich in nur einen einzigen Bus zu stopfen versucht, für Busfahrerinnen und Busfahrer wenig entlastend wirkt, soll es – Gerüchten zufolge – künftig verboten sein, sich noch anzustellen, wenn schon alles voll ist.

Wie ein Bus eine Höchstmenge an Fahrgästen mitnehmen darf, so wird es eine dynamisch angezeigte Höchstmenge an Warteplätzen auf den Bus geben. Wenn etwa die digital angezeigten zwei Warteplätze schon voll sind, hat man ohne Meckern einfach weiterzugehen. Wann und wo geht’s jetzt los? Das wollte ich von der BVG wissen. Spokesperson Jannes Schwentu antwortete geheimnisvoll: „Selbstverständlich informieren wir unsere Fahrgäste rechtzeitig, sobald es zu Änderungen an den Fahrplänen kommt.“

Ich dechiffriere das folgendermaßen: Intern hat die BVG schon die stark verbesserte Stufe zwei gezündet. Es könnte also sein, dass das Taktungsmodell einfach übersprungen wird und ab 1. Juli an einigen Busstationen statt eines Fahrplans folgender Hinweis hängt: Der Bus kommt rechtzeitig!

Die Ratgeberin

Susanne Berkenheger war früher Netzliteratin (Zeit für die Bombe) und Satirikerin (SPAM bei Spiegel online). Für den Freitag schreibt sie sehr gerne ihre monatliche Kolumne „Die Ratgeberin“.

Kick it like Freitag!

Sonderangebot zur EM 2024 - für kurze Zeit nur € 12 für 7 Wochen!

Freitag-Abo mit dem neuen Buch von T.C. Boyle Jetzt zum Vorteilspreis mit Buchprämie sichern.

Print

Erhalten Sie die Printausgabe direkt zu Ihnen nach Hause inkl. Prämie.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag und wir schicken Ihnen Ihre Prämie kostenfrei nach Hause.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen