In den 1990er-Jahren, als die einstige Juniorinnen-Nationalspielerin Shary Reeves in der Frauen-Bundesliga für den SC 07 Bad Neuenahr auflief, hörte sie von den Rängen manchmal Imitationen von Affengeräuschen. Die später als Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin erfolgreiche Tochter schwarzer Eltern hat in ihrer Fußballkarriere immer wieder solche Erfahrungen gemacht. Ähnliches erlebten ihre männlichen Kollegen: Bananen flogen auf den Rasen, Schmährufe und Pfiffe ertönten, als die ersten schwarzen Spieler in den europäischen Ligen auftauchten.
Rassistische Vorfälle dieser Art sind zwar seltener geworden, aber gehören keineswegs der Vergangenheit an. Der Deutsche Fußballbund, seine führenden Klubs wie auch Ehr
e auch Ehrenamtliche in kleinen Amateurvereinen betreiben seit Jahren Präventionsarbeit, um diese Menschenfeindlichkeit zu verhindern.Schwarze Kicker wie der Verteidiger Antonio Rüdiger sind bei den Fans inzwischen weitgehend akzeptiert, in der Regel werden sie nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt. Aber es ist noch nicht so lange her, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Alexander Gauland öffentlich verlauten ließ, jemanden wie Jérôme Boateng (der frühere Nationalspieler ist in Berlin geboren) wolle man lieber nicht zum Nachbarn haben. Immerhin erntete Gauland wegen dieser Äußerung nicht nur von anderen Parteien, sondern auch auf Transparenten in den Stadien heftigen Gegenwind.Migration und FußballDer Journalist Ronny Blaschke hat über das koloniale Erbe des Fußballs umfassend recherchiert. Die weltweite Verbreitung dieser massenwirksamsten Sportart, so die These des Autors in seinem aktuellen Buch Spielfeld der Herrenmenschen, wäre ohne die globale Präsenz europäischer Staaten nicht möglich gewesen. Vor allem das britische Empire importierte den Fußball einst nach Asien und Afrika, Spanien und Portugal brachten das Spiel nach Mittel- und Südamerika. In einer äußerst selbstherrlichen Sicht interpretierten die Kolonialmächte dies als eine Art westlich-weißes Geschenk an angeblich unterentwickelte Gesellschaften.In Reportagen aus fünf Kontinenten schildert Blaschke, stets durch das Brennglas des Fußballs gesehen, die langfristigen Folgen. Denn absurderweise führte gerade die Migration aus den ehemaligen Kolonien dazu, dass europäische Teams ihre spielerische Qualität spürbar steigern konnten. Exemplarisch bewies dies zuerst die französische Nationalmannschaft, die, wesentlich geprägt durch die Nachfahren algerischer Einwanderer wie Zinedine Zidane, 1998 erstmals Fußball-Weltmeister wurde. In England waren es vor allem Spieler aus der Karibik wie der in Jamaika geborene Raheem Sterling, hierzulande „Deutschtürken“ wie İlkay Gündoğan, die die Leistungen der zuvor homogen weißen Teams verbesserten. Auch dadurch befördert, konnte sich der Fußball zu dem heute etablierten milliardenschweren Business der Unterhaltungsindustrie entwickeln.Ein früher migrantischer „Held“ war der Portugiese Eusébio, der aus dem damals noch als Kolonie besetzten Mosambik stammte. Mit Benfica Lissabon feierte er zahlreiche Erfolge in nationalen und europäischen Wettbewerben, durch seine Tore sicherte sich Portugal den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft 1966. Zur gleichen Zeit glänzte für Brasilien der Spielmacher Pelé, das größte Land Südamerikas hatte People of Color relativ früh in seine Nationalmannschaft integriert. Im Widerspruch dazu kursierte in der vorgeblichen „Rassendemokratie“ dennoch die Behauptung, schwarze Straßenkicker hätten zwar eine natürliche Begabung für den Fußball, taugten jedoch nicht für sportliche Führungsaufgaben.Die einst gängigen Theorien über angeblich per Hautfarbe angeborene Eigenschaften hat die Wissenschaft längst widerlegt. Ein besonders häufig wiederholtes Klischee lautet, dass Schwarze schneller laufen können und athletischer auftreten, dafür aber den Weißen in Sachen Spielintelligenz, Taktik und Strategie unterlegen sind. Bis heute, so Blaschke, durchziehe rassistisches Denken über solche natürlichen Veranlagungen die Sportwelt und ihr mediales Umfeld. Noch immer bedienen sich Fernsehkommentatoren bei Gelegenheit entsprechender Stereotype, wenn sie über die Leistung schwarzer Spieler auf dem Platz urteilen.Deutschlands KolonialgeschichteDas Risiko, bei sportlichem „Versagen“ in mediales Trommelfeuer zu geraten, ist für Kicker mit Migrationshintergrund deutlich höher. Nach dem verlorenen Elfmeterschießen der englischen Nationalmannschaft im EM-Finale 2021 gegen Italien wurden in den britischen Boulevardzeitungen die Schwarzen Jadon Sancho, Marcus Rashford und Bukayo Saka als Schuldige ausgemacht, weil sie ihre Strafstöße nicht verwandelt hatten.Der in Gelsenkirchen aufgewachsene Mittelfeldregisseur Mesut Özil fiel nicht nur wegen seiner mäßigen Leistungen bei der WM 2018 in Ungnade, sondern auch, weil er bei der Nationalhymne nicht inbrünstig mitsang und anlässlich der Präsidentenwahl in der Türkei den Autokraten Recep Tayyip Erdoğan unterstützt hatte.In Blaschkes Buch geht es also um viel mehr als nur um Fußball, den der Autor als die „wohl einflussreichste Alltagskultur unserer Zeit“ charakterisiert. Er nutzt die Popularität der Sportart und den zeitlichen Aufhänger eines großen Turniers, um in kleinen Facetten und historischen Anekdoten über die teils noch wenig bearbeitete europäische Kolonialgeschichte aufzuklären.Dieses Defizit gilt gerade für Deutschland, wo in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Vordergrund stand. Die ein Jahrhundert zuvor begangenen Kolonialverbrechen der selbst ernannten „Herrenmenschen“ in Namibia und Ostafrika wurden dagegen lange Zeit verdrängt. Leider nur am Rande behandelt der Autor das häufig mit Rassismus einhergehende Thema Sexismus. Blaschke hat auch weibliche Spielerinnen – wie die eingangs erwähnte Shary Reeves – interviewt, ihre Erfahrungen mit der doppelten Diskriminierung durch Hautfarbe und Geschlecht kommen im Buch aber noch zu kurz. In einem Internet-Beitrag schildert Reeves ein für sie besonders verstörendes Erlebnis in ihrer Funktion als Botschafterin während der Frauen-Fußball-WM in Deutschland 2011: Auf einer begleitenden Open-Air-Veranstaltung in Dresden wurde sie von einem Rechtsradikalen attackiert, er rammte seinen Ellbogen in ihre Rippen.Selbst ein rassismuskritischer Journalist wie Ronny Blaschke nimmt so besehen eine männliche Perspektive ein. Dennoch dürfte sein materialreiches Werk durch den populären sportlichen Zugang – das Buch wurde sogar auf den Fanseiten von Bayern München und des FC St. Pauli gewürdigt – eine größere Leserschaft erreichen als die zahlreicher werdenden, aber meist trocken-wissenschaftlich orientierten Abhandlungen zum Thema Kolonialismus.Placeholder infobox-1