Diese Wut kann eine nötige Debatte entfachen

Meinungsfreiheit Der Streit zwischen Trump und Twitter könnte die wichtige Diskussion über Plattform-Regulierungen neu beleben
Ausgabe 23/2020
Immer wieder fordern Aktivisten wie Mike Merrigan, dass Donald Trumps Profil von der Kurznachrichtenplattform Twitter gelöscht wird
Immer wieder fordern Aktivisten wie Mike Merrigan, dass Donald Trumps Profil von der Kurznachrichtenplattform Twitter gelöscht wird

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Diese Tat könnte eine Wende einleiten: Am 27. Mai versah das soziale Netzwerk Twitter in recht eigenmächtiger und selbstherrlicher Manier einen Tweet des US-Präsidenten mit dem zarten Hinweis: „Informieren Sie sich bitte auch aus anderen Quellen!“ Das, was Trump hier schreibt, könnte gelogen sein. Diese höfliche Anmerkung brachte den eigenmächtigen und selbstherrlichen Präsidenten so in Rage, dass er dem sozialen Netzwerk drohte, es an die Kandare zu nehmen. Einen Tag später erließ er ein Dekret, das darauf abzielt, Internet-Plattformen, die sich so frech wie Medien benehmen, künftig auch so zu behandeln: als „Volksfeinde“.

Der Schlagabtausch zwischen Trump und Twitter verweist auf ein Problem, das zwei unterschiedliche Ebenen hat. Auf Ebene eins agiert ein Präsident, der wiedergewählt werden will. Alles, was diesem Ziel dient, wird er tun. Alles, was dabei zu Bruch geht, wird er in Kauf nehmen: die Beschädigung der Demokratie, die Gefährdung des Weltfriedens, den Ruin von Twitter. Er würde sogar Washington niederbrennen, wenn ihm das die Wiederwahl sichert. Denn Twitter ist für Trumps Strategie enorm wichtig. Er schätzt das Instrument, weil er sich nur mit ihm als brutaler Alleinherrscher und gleichzeitig als respektloser Rebell inszenieren kann. Blamiert ihn Twitter vor seinen 81 Millionen Followern, ist es aus mit dem Nimbus des Unbeherrschbaren. Er spürt die Gefahr instinktiv.

Auf einer zweiten Ebene ist das Problem komplexer. Hier muss man Trump bescheinigen, dass er ins Schwarze getroffen hat. Es geht darum, ob Internet-Plattformen, die als bloße Vermittler, als „Intermediäre“ definiert sind, weiter von einem doppelten Privileg profitieren sollen. 1996 hatte der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das in Paragraf 230 das Erfolgsrezept aller Internet-Giganten enthält: „Intermediäre“ (wie Google, Facebook, Amazon, Youtube, Twitter, Whatsapp, Instagram oder Wikipedia) dürfen für Inhalte, die von Dritten auf die Plattformen hochgeladen werden, nicht verantwortlich gemacht werden, sie können die Inhalte allerdings „moderieren“. Nie hat es bessere Rahmenbedingungen für eine aufstrebende Industrie gegeben.

Mit der Zeit jedoch machten sich die Nachteile des Privilegs bemerkbar. Hass und Hetze, Fake News und gesteuerte Kampagnen zwangen zu gesetzlicher Regulierung. Der Druck wuchs, die allzu freie Rede von den Plattformen zu entfernen. Die Chefs von „Big Tech“ formulierten ethische „Standards“, markierten Zweifelhaftes oder sperrten Nutzer aus. Sie fingen an, so zu handeln wie Verleger, indem sie nach Gutdünken entschieden, was auf ihre Plattformen darf und was nicht, was eingeordnet werden muss und was eher versteckt werden soll.

Der Medienrechtler Dieter Dörr stellte aufgrund dieser Entwicklung fest, dass die überkommene Grenzziehung „zwischen Individual- und Massenkommunikation fragwürdig“ geworden sei. Auch das Fehlen eines „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebots“ sei als Unterscheidungsmerkmal längst untauglich. Es verschleiere nur die „zunehmende Meinungsmacht“ der Plattformen.

Trumps wütende Reaktion könnte daher die Debatte über Plattform-Regulierungen neu beleben. Statt den sogenannten Intermediären Privilegien einzuräumen, sollte darüber diskutiert werden, ob sie eher nach dem Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nach dem Vorbild der privatwirtschaftlichen Presse oder als genossenschaftliches Gemeineigentum zu regulieren sind.

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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