Langzeitarbeitslosen 1.000 Euro als Motivation schenken, damit sie einen Job annehmen? Die Ampel plant eine solche „Anschubfinanzierung“. Marcel Fratzscher glaubt, dass diese eigentlich gute Idee dem Populismus zum Opfer fallen wird
Das gesellschaftliche Klima verschärft sich, zugleich tun sich neue Haushaltslücken auf. Und was fällt Regierung und Opposition offenbar immer als Erstes ein? Arme ausgrenzen und beim Bürgergeld weiter zu kürzen
Politik
:
Das planen die Parteien zum Bürgergeld: AfD will biometrische Daten erfassen
Von der AfD über die CDU und SPD bis zur Linken haben die Parteien sehr unterschiedliche Pläne zum Bürgergeld nach der Bundestagswahl. Von der biometrischen Erfassung von Erwerbslosen bis zu 1.400 Euro Regelsatz ist alles dabei
Seit 2023 gibt es in Deutschland das Bürgergeld. Es ersetzt, zumindest dem Namen nach, das frühere Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt. Maßgeblich von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorangetrieben, war es von Anfang an umstritten. Das Bürgergeld hat für die Betroffenen kaum eine Verbesserung mit sich gebracht. Aber zumindest wurden die Sanktionsmöglichkeiten aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2019 etwas eingeschränkt und die Regelsätze immerhin nachträglich der Inflation angepasst. Gegenüber Hartz IV hat das die Kaufkraft der Menschen zwar nicht verbessert, aber dennoch für viel Zündstoff in der öffentlichen Debatte gesorgt.
Insbesondere die Wirtschaftsliberalen und Konservativen halten
essert, aber dennoch für viel Zündstoff in der öffentlichen Debatte gesorgt. Insbesondere die Wirtschaftsliberalen und Konservativen halten nichts vom Bürgergeld und wollen es am liebsten abschaffen – ein Wahlkampfthema, das voraussichtlich eine große Rolle bei den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl am 23. Februar spielen wird. SPD, aber auch andere Parteien links der Mitte wollen an der Regelung festhalten. Die CDU will das Bürgergeld wieder abschaffen. Ein kleiner Überblick in die Parteiprogramme.CDU/CSU: „Neue Grundsicherung“ mit neuem DruckDie Union will das Bürgergeld durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzen. Durch sie soll Druck aufgebaut und „Arbeitsanreize“ verstärkt werden. Den „Vermittlungsvorrang“ will die Union in den Fokus stellen und damit nicht auf Qualifizierung und nachhaltige Integration, sondern auf möglichst schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt setzen. Wie damit der Mangel an Fachkräften behoben werden soll, erläutert CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz nicht. Der Mechanismus der Regelsatzberechnung soll verändert werden, da er die Inflation zu stark einbeziehe. Das würde bedeuten, dass die jährliche Anpassung der Regelsätze noch niedriger ausfallen würde. Folge: eine faktische Kürzung der Kaufkraft. SPD: Jobcenter besser ausstatten, Mindestlohn auf 15 EuroDie SPD will das Bürgergeld beibehalten und setzt auf „nachhaltige Vermittlung“ durch Aus- und Weiterbildung. Sie betont, dass das Bürgergeld „kein bedingungsloses Grundeinkommen“ sei und „Mitwirkungspflichten“ weiter eingefordert werden. Programme, bei denen durch staatliche Zuschüsse Arbeit ermöglicht wird, sollen ausgeweitet und die Jobcenter personell und finanziell besser ausgestattet werden. Den Leistungsbeziehenden soll eine „individuelle und engmaschige Beratung“ ermöglicht werden. Der Mindestlohn soll auf 15 Euro angehoben werden. Bündnis90/Die Grünen: Mehr Qualifizierung und Mindestlohn von 15 EuroAuch die Grünen wollen am Bürgergeld festhalten, da es „Hartz IV überwunden“ habe und damit für „mehr Gerechtigkeit“ sorge. „In herausfordernden Zeiten braucht es einen starken und verlässlichen Sozialstaat“, fordern die Grünen. Sie verlangen zudem den Abbau von prekärer Beschäftigung und einen Mindestlohn von 15 Euro – ganz wie die SPD. Der Fokus soll auf Arbeitsanreize, Qualifizierung und Weiterbildung sowie auf eine nachhaltige Vermittlung, zum Beispiel durch individuelle Coachings durch die Jobcenter gelegt werden. FDP: Mehr Druck, verschärfte Zumutbarkeit, drastische Kürzung durch PauschalbeträgeDie Liberalen wollen das Bürgergeld grundlegend reformieren. Im Vordergrund steht die Vermutung, das Bürgergeld lade dazu ein, es sich bequem zu machen, anstatt zu arbeiten. Deshalb soll eine Pflicht zur „Eigeninitiative inklusive Beweislast“ eingeführt werden. Durch verschärfte Zumutbarkeitsregeln wie eine längere Pendelstrecke und stärkere Sanktionen sollen mehr Menschen in Arbeit gebracht werden. Um längerer Arbeitslosigkeit vorzubeugen, soll es im ersten Jahr eine „Intensivphase“ geben. Die Jobcenter sollen sich um frisch arbeitslos gewordene Leistungsbeziehende besonders intensiv bemühen. Bürokratie will die FDP abbauen und Bürgergeld und Wohngeld zusammenlegen. Für Miete und Nebenkosten sollen nur noch Pauschalbeträge ausgezahlt werden. Für Hunderttausende Leistungsbeziehende würde das eine drastische Kürzung bedeuten. AfD: Härtere Sanktionen, Arbeitszwang, biometrische Daten von Erwerbslosen erfassenAuch die AfD will das Bürgergeld grundlegend reformieren. „Arbeitsanreize“ stehen für sie im Vordergrund. Um Bürgergeld-Empfänger so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen, sollen härtere Sanktionen eingeführt und nach sechs Monaten gemeinnützige Arbeit verpflichtend werden. Weiter will die Partei, dass Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft erst ein Anrecht auf Bürgergeld haben, wenn sie mindestens zehn Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind. Um „Mehrfachbezug“ zu vermeiden, will die AfD die biometrische Identität von allen Bürgergeldbeziehenden erfassen und die Jobcenter besser miteinander vernetzen. Aus dem Wahlprogramm geht nicht hervor, auf Grundlage welcher Zahlen solche drastischen Maßnahmen notwendig sein sollen. Nach Ansicht der AfD sind außerdem die Regelsätze zu hoch.Die Linke: 1.400 Euro Bürgergeld inklusive Miete, sanktionsfreiIn ihrem Wahlprogramm schreibt die Linke: „Nur eine Gesellschaft, in der nicht ständig Angst vor dem Abstieg herrscht, ist eine humane und auch eine produktive Gesellschaft.“ Das Bürgergeld soll eine sanktionsfreie Mindestsicherung werden und inklusive Miete 1.400 Euro betragen, wobei der Beitrag zur Miete sich regional unterscheidet. Langzeitarbeitslose sollen durch erweiterte Qualifizierungsprogramme in den Jobcentern und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Arbeit gebracht werden. Die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld soll verlängert und der Auszahlungsbetrag auf 68 Prozent vom Nettolohn erhöht werden. Die Forderung für den Mindestlohn beträgt 16 Euro. BSW: Wiedereinführung der Arbeitslosenversicherung, Sanktionen bei GrundsicherungDas Bündnis Sahra Wagenknecht will das Bürgergeld durch eine „faire Grundsicherung“ und eine „leistungsgerechte Arbeitslosenversicherung“ ersetzen. Nach Ansicht des BSW verwalte der Sozialstaat derzeit Armut, anstatt die Menschen zu stärken. Menschen, die viele Jahre eingezahlt haben und ihre Arbeit verlieren, sollen besser abgesichert werden und so lange 60 Prozent ihres Nettogehalts bekommen, bis sie eine neue Arbeit finden oder ihnen eine zumutbare Arbeit angeboten wird. Besonders hervorgehoben wird die Mitwirkungspflicht: „Wer Maßnahmen ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit Konsequenzen rechnen.“ Welche das sein sollen, bleibt unklar. Die Jobcenter will das BSW personell und finanziell besser ausstatten und speziell bei jungen Menschen sollen die Qualifizierungsmöglichkeiten verbessert, aber auch die Sanktionsmöglichkeiten verschärft werden. Fazit: Unionsparteien, FDP, BSW und AfD fordern härtere SanktionenBis auf die Linke, die eine Mindestsicherung von 1.400 Euro fordert, will keine Partei den derzeitigen Regelsatz von 563 Euro anheben. Die AfD will den Regelsatz sogar senken. Durch einen veränderten Anpassungsmechanismus, den die CDU anstrebt, würde in Zukunft faktisch auch eine Absenkung des Satzes stattfinden, was auch von der FDP gefordert wird. Zudem würden Pauschalbeträge für Wohnen eine zusätzliche Unterschreitung des Existenzminimums bedeuten. Schon jetzt zahlen 320.000 Haushalte im Bürgergeld jeden Monat durchschnittlich 107 Euro aus ihrem kleinen Regelsatz zur Miete dazu, weil es oft super schwierig ist, angesichts des krassen Wohnungsmangels eine „angemessene“ Wohnung zu finden. Die Grünen und die SPD wollen am derzeitigen Berechnungsmodell des Regelsatzes festhalten. Scharfe Kritik an der Höhe des Regelsatzes kommt von den Wohlfahrtsverbänden. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, bemängelt, dass „regelmäßig keine gesunde Ernährung, keine angemessene Mobilität und soziale Teilhabe möglich“ sei. Laut Berechnungen des Verbands müsste der Regelsatz in diesem Jahr 813 Euro zuzüglich Strom betragen. Großer Streitpunkt bleiben weiterhin die Sanktionen. SPD und Grüne zeigen sich zwar scheinbar zurückhaltend, was schärfere Sanktionen betrifft; sie haben aber gezeigt, dass sie bereit sind, Menschen im Bürgergeld auszuliefern, wenn es drum geht, Kompromisse zu finden. Im Sommer 2024 haben sie drastische Verschärfungen auf den Weg gebracht, die nur durch das Ende der Ampel-Koalition nicht bereits Gesetz geworden sind. Die Unionsparteien, die FDP, das BSW und die AfD fordern sogar noch schärfere Sanktionen bis hin zum dauerhaften kompletten Leistungsentzug bei „Verweigerung“. Dabei sind seit April 2024 sogar wieder Totalsanktionen für zwei Monate möglich, wenn man zum zweiten Mal eine Arbeit ablehnt. Wie häufig das vorkommt, kann niemand genau sagen. Allerdings wurden nur 0,38 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden im vergangenen Jahr überhaupt sanktioniert, weil sie eine Arbeit abgelehnt haben. Angebliche „Totalverweigerer“ gibt es demnach noch viel weniger. Drohkulisse für 10,5 Millionen Beschäftigte im NiedriglohnsektorStudien belegen, dass Sanktionen langfristig keinen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt, dafür aber negative Folgen für die Betroffenen haben. Dennoch fordert lediglich die Linke eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Ein Großteil der gesamten Debatte beschäftigt sich mit dem Thema der angeblichen „Sozialschmarotzer“, anstatt den Fokus darauf zu richten, dass die meisten Bürgergeldbeziehenden dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen und damit trotzdem von einem Regelsatz leben müssen, der zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig ist. Ein schlecht ausgestattetes Bürgergeld ist immer auch eine Drohkulisse für all jene, die bereits arbeiten, insbesondere für die 10,5 Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Nur, wenn das Bürgergeld tatsächlich existenzsichernd ist und damit eine echte Verhandlungsgrundlage bietet, kann Ausbeutung und Armut verhindert werden.