Dominique Manotti beleuchtet in ihren Krimis virtuos die Verbindungen zwischen Politik und Kriminalität, welche die französische Gesellschaft durchziehen
Dominique Manottis Politthriller bringen die internationalen Feuilletons zum Jubeln. In Deutschland dauert die Entdeckung ein bisschen länger. Diese Verspätung ist nachvollziehbar, denn Manottis Krimis behandeln vorwiegend Themen aus Wirtschaft und Politik, für die sich die deutsche Literaturkritik eigentlich nicht zuständig fühlt.
Zudem sind ihre Bücher meist in den achtziger Jahren angesiedelt wie der Thriller Roter Glamour über linke Korruption der Ära Mitterand, der in Deutschland zum Krimi des Jahres 2011 gekürt worden ist. Letzte Schicht, der die Proteste gegen eine Betriebsschließung in der lothringischen Provinz zum Thema hat, wurde mit internationalen Preisen bedacht und von deutschen Feuilletons hoch gelobt, obwohl es um hierzuland
obt, obwohl es um hierzulande schwer nachvollziehbare internationale Verflechtungen der französischen Wirtschaft geht.Kein Wunder: Die Krimis der Wirtschaftshistorikerin und ehemaligen Gewerkschaftsfunktionärin Manotti sind spannend, realitätsnah und links. Nun sind progressive Krimis heute ja nichts Besonderes mehr, gerade Bücher aus der skandinavischen Schule des Detektivromans lesen sich gelegentlich wie ein sozialdemokratisches Parteiprogramm in Form eines Thrillers, wie Denis Scheck einmal bemerkt hat. Was macht Manottis Krimis also so außergewöhnlich? Da ist zum einen die Schreibweise: Die Thriller sind multiperspektivisch und ausgesprochen verdichtet, Geschwafel, belehrende Exkurse und pädagogische Einlassungen fehlen ganz. Dafür sind sie vielschichtig und doppelbödig: Gut und Böse sind oft nicht eindeutig geschieden, uneigennützige Güte hätte in der von ihr geschilderten Welt sowieso keine Chance.Geheimnis des ErfolgsDa ist es nur folgerichtig, dass Manotti auf einen sympathischen Seriendetektiv vom Schlage Wallanders oder Brunettis verzichtet. Diese Detektive haben normalerweise die Funktion, die Leser an die Hand zu nehmen und ihnen moralische Orientierung zu geben. Manotti aber will bei aller aufklärerischen Absicht den Lesern nicht die Welt erklären, das sollen die schon selber machen. Zu diesem Zweck reicht der Argument Verlag, in dem die meisten Bücher Manottis erschienen sind, regelmäßig Links aus dem Internet nach, mit denen sich der Leser über den Realitätsgehalt und die Hintergründe von Manottis Geschichten informieren kann. Das ist für Interessierte hilfreich, aber nicht zwingend notwendig, denn die Krimis funktionieren auch so, was sicherlich ein Geheimnis von Manottis Erfolg ist.Ein frühes Beispiel für ihre unsentimentale, realitätsgesättigte Schreibe ist der im Februar 2012 von Assoziation A wiederaufgelegte Krimi Hartes Pflaster, der im Original von 1993 stammt. Er enthält bereits den wilden Cocktail, der Manottis Thriller auszeichnet. Es geht um Sexualmord, Kinderprostitution, politische und polizeiliche Korruption und die Ausbeutung der illegalen türkischen sans papiers, welche die in aller Welt begehrte französische Haute Couture zu Hungerlöhnen nähen. Weitere Ingredienzien des 1980 spielenden Thrillers sind illegaler Waffenhandel, Markenpiraterie, der Papstattentäter Ali Ağca und der Heroinhandel, der Krimi mutet so wie eine French Connection von unten an. Das Ganze spielt hauptsächlich im Pariser Arbeiterviertel Sentier, in dem die alteingesessenen Prolos langsam von Migranten aus aller Welt verdrängt werden. Die traditionellen Klüngel, ihre Korruption und Gaunereien können sich nicht mehr gegen sozialen Wandel behaupten und müssen Platz machen für neue Gangs und neue Formen der Kriminalität.Der Spagat zwischen der internationalen und lokalen Ebene gelingt Manotti hier noch nicht ganz so virtuos wie in späteren Romanen. Trotzdem schafft sie es, aus den disparaten Bestandteilen einen ebenso spannenden wie anspruchsvollen Thriller zu konstruieren. Dabei verlangt sie ihren Lesern einiges ab, denn die müssen sich aus den multiperspektivischen Schnipseln selbst einen Reim auf das Geschehen machen.Tief verwurzelte MissständeWer Hartes Pflaster oder Roter Glamour liest, fühlt sich gelegentlich an jüngere französische Skandale, wie die Affären des Dominique Strauss-Kahn, erinnert. Die Aktualität von Machenschaften zu demonstrieren, bei denen sich zwar die Köpfe, aber nicht die Mechanismen ändern, ist ein wichtiges Anliegen von Manotti, das aber bislang nur nebenher eine Rolle spielte. Wesentlich direkter thematisiert sie aktuelle Probleme und Skandale im Krimi Einschlägig bekannt, der in der fiktiven Pariser Vorstadt Panteuil spielt. Hier leuchtet sie die Hintergründe der Krawalle in den Banlieues von 2005 aus. Dafür bricht sie mit ihrem bisherigen Schreibstil und verzichtet auf die Verzahnung der internationalen, nationalen und lokalen Ebene. Stattdessen konzentriert sie sich ganz auf die Polizei von Panteuil, in deren Kreis sich ein Drama abspielt, wie es in Krimis oder Polizeiromanen eher selten zu lesen ist: Statt die Kriminalität zu bekämpfen, ist die Polizei des Ortes die meiste Zeit damit beschäftigt, selber Verbrechen zu begehen beziehungsweise diese zu vertuschen, wenn die Täter aus den eigenen Reihen stammen oder gut betucht sind.Friede den Palästen, Krieg den Hütten, ist das Motto dieser Truppe, nicht nur wenn es um den Abriss von besetzten Häusern geht. Bei diesem Krieg hat die Polizei es besonders auf Roma und Migranten abgesehen. Gewalttätige Übergriffe sind dabei nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Manotti macht deutlich, dass diese keineswegs nur Folge einer Fehlentwicklung des regionalen Polizeiapparates sind. Im Gegenteil, die Linie der Polizei von Panteuil wird von der Polizeigewerkschaft und der Wirtschaftselite unterstützt. Auch die Presse ist auf ihrer Seite und die Justiz, die die Schuldigen, die ihr die Polizei präsentiert, immer brav aburteilt, so dubios die Beweislage auch sein mag.Madame Le Muir, Polizeipräsidentin von Panteuil, die Menschenrechte für unvereinbar mit der Polizeiarbeit in den Banlieues hält, erhält Rückendeckung von höchster Stelle: Selbst vom Élysée-Palast wird die sogenannte harte Linie mit Wohlgefallen betrachtet. Verbindungen zur Front National oder zu noch rechteren Gruppierungen sind in diesem Polizeiapparat nichts Außergewöhnliches, wie in Manottis Romanen allgemein eine große Nähe von Politik, Polizei und dem Gedankengut der radikalen Rechten angedeutet wird. Beim Fußvolk der Polizei, das oftmals selbst zur zweiten oder dritten Migrantengeneration gehört, sind manchmal weniger individuelle Bösartigkeit oder Rassismus als die tief verwurzelte Fremden- und Frauenfeindlichkeit des Apparats für die Missstände verantwortlich. So verwundert es auch nicht, dass die Inlandsgeheimdienstlerin Noria Ghozali, die Madame le Muir und ihren Gefolgsleuten eigentlich das Handwerk legen wollte, am Ende resigniert über die Konsequenzen ihres Misserfolgs nachdenkt. Ohne die Enthüllungen eines Satireblattes vom Typ des Canard enchaîné wäre dieser noch größer gewesen, so aber entschließen sich die politischen Verantwortlichen, die Polizeireihen in Panteuil wenigstens von den größten Schurken zu befreien, jedoch ohne die Führungsebene und deren kriminelle Freunde anzutasten.Während viele deutsche Leser noch vor wenigen Monaten Manottis Darstellung der endemischen Ausländerfeindlichkeit der Polizei und das Zusammenwirken von radikalen Rechten und staatlichen Stellen für übertrieben oder für ein rein französisches Problem gehalten hätten, kann man sich nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle diesbezüglich nicht mehr sicher sein. Vielleicht wissen wir nur deshalb so wenig über solche Verquickungen hierzulande, weil wir keine Schriftstellerin wie Dominique Manotti haben, die es fertigbringt, diese zu einem ebenso aufklärerischen wie spannenden Thriller zu verarbeiten.