Zwischen einem Anlass und seiner Beachtung in den Medien besteht nicht immer ein rational begründbares Verhältnis. So war es auch am Freitag im Berliner Regierungsviertel. Im Bundestag ging gerade die Debatte über das zweite Konjunkturpaket von Union und SPD zu Ende, jenem Sammelsurium von Gesetzen also, das die Republik in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten vor Schlimmerem bewahren soll. Die weitaus größere Aufmerksamkeit der Hauptstadtjournalisten galt zu jener Stunde aber nicht der Politik der großen Koalition sondern einem ganz anderen Bündnis. Einem theoretisch möglichen, einer Variante, über deren Wahrscheinlichkeit zurzeit niemand endgültige Aussagen treffen möchte: Könnte es im Herbst eine Ampelkoalition auf
Politik : Sozialliberale Signale
Steinmeier stellt ein Buch über Westerwelle vor – und alle denken nur an das eine. Aber wie wahrscheinlich ist eine Ampelkoalition wirklich?
uf Bundesebene geben?Eine Antwort darauf haben natürlich auch der SPD-Vizekanzler und der FDP-Vorsitzende nicht gegeben. Allein schon der gemeinsame Auftritt von Frank-Walter Steinmeier und Guido Westerwelle ist Botschaft genug. Weniger, weil dabei wirklich gezeigt wird, was zwischen den beiden Parteien und Personen möglich ist. Sondern eher, weil man sieht, was jedenfalls nicht ausgeschlossen wird. Auf eine Buchvorstellung unter Beteiligung eines führenden Sozialdemokraten und Oskar Lafontaine wird man noch eine ganze Weile warten müssen.SPD und Grüne wollen die AmpelUnd auf eine Ampelkoalition? Die ist für den Herbst weder ausgeschlossen noch allzu fern liegend. „2009 gibt es eine Ampel“, sagt die als links geltende SPD-Vizechefin Andrea Nahles und Grünen-Chefin Renate Künast ließ sich mit dem Satz zitieren, „wir sagen, dass die nächste Regierung eine Ampel sein wird“. Auch die sozialdemokratische Justizministerin Brigitte Zypries sagt, „wer es wirklich ernst meint mit Bürgerrechten und einer toleranten Gesellschaft, der darf die Ampel als Koalitionsoption nicht ausschließen“.Für Sozialdemokraten und Grüne liegt die Wunschkonstellation Rot-Grün unerreichbar weit. Selbst wenn man einbezieht, dass die Sozialdemokraten noch bei jeder Wahl in den letzten Wochen deutlich an Boden gutmachten, wird das dieses Mal allenfalls dazu reichen, Schwarz-Gelb zu verhindern, ein Bündnis das sich seiner aktuellen Umfragewerte keineswegs sicher sein kann. Die SPD hat bloß noch diese eine Machtoption jenseits der großen Koalition, deren Fortsetzung sie nur wollen kann, wenn ein Bündnis mit FDP und Grünen nicht möglich wird. In der einstigen Ökopartei steht vor allem die Basis einer Ampel skeptisch gegenüber, allerdings weniger skeptisch als der Jamaika-Variante mit der Union. Die Spitze der Grünen weiß auch, dass sich die Liberalen nur mit Ämtern und Zugeständnissen zum Lagerwechsel bewegen ließen. Andererseits könnte die Partei in einem solchen Bündnis die vorteilhafte „Mittelposition“ besetzen, die ihrer Anschlussfähigkeit in beide Richtungen sowieso am besten entspricht: mit der FDP gegen zu viel Staat bei den Sozialdemokraten, mit der SPD gegen zu viel Markt bei den Liberalen.Westerwelle muss sich nach zwei vergeblichen Anläufen, die FDP auf Bundesebene in eine Regierung zu führen, dieses Mal alle Optionen offen halten. Er tut dies, indem er Wahlkampf in beide Richtungen macht. Gegen die Union, um sich weiter an deren Schwäche zu stärken. Und gegen die Sozialdemokraten, deren Bündnisavancen er zurückweist. „Nur weil die Union hässlicher wird, werden SPD und Grüne ja nicht schöner“, lautet ein Satz von ihm, der immer wieder auftaucht. Eine offensive Werbung für die Ampel kann sich die FDP auch gar nicht leisten, weil dies jene abschrecken könnte, die jetzt zu Westerwelles Partei laufen, weil sie die Union zu sozialdemokratisch finden.Am Freitag war es eher an Steinmeier, mehr oder weniger deutliche sozialliberale Signale auszusenden. Abgesehen von zahlreichen Schmeicheleien die politische Erfahrung Westerwelles betreffend, welche man noch unter normaler Höflichkeit verbuchen könnte, waren auch sehr eindeutige Angebot darunter. Die Zeit des Spaßpolitikers Westerwelle wurde ebenso historisiert wie die „neoliberale Phase“ - ganz so, als ob nun eine neue Etappe beginnen könnte, wofür sich in Sachen Markt allerdings der „Fundi“ Westerwelle noch zum „Realo“ verwandeln müsse.Sozialliberale ErinnerungenDer SPD-Kanzlerkandidat und der FDP-Vorsitzende sind altersmäßig nur fünf Jahre auseinander und beide von der Zeit der letzten sozialliberalen Koalition ab 1969 biografisch geprägt. Im Vergleich zu jenen Jahren, heißt es in der jüngsten Ausgabe der Berliner Republik der sozialdemokratischen Netzwerker, seien heute die Voraussetzungen für eine Neuauflage des Bündnisses unter Einschluss der Grünen ungünstig. Vor allem fehle es an einem gemeinsamen Projekt, an Schnittmengen. Ein paar hat Steinmeier bei der Buchvorstellung allerdings genannt: Gemeinsamkeiten in der Einwanderungspolitik, bei Ziel einer „Liberalisierung der Gesellschaft“, in Bildungsfragen und der Außenpolitik.Guido Westerwelle sprach nach Steinmeier von einer „fast beängstigend freundlichen Vorstellung“. In seiner kurzen Rede ging der FDP-Chef auch weniger auf Politisches ein, als auf peinliche Jugenderinnerungen und seine eigenen Qualitäten als Beifahrer. „Was soll ich herumdrucksen“, sagte Westerwelle dann noch einmal, „ich will eine bürgerliche Regierung und dafür werde ich kämpfen.“Dafür, dass andere Möglichkeiten offen bleiben, wird von anderen gesorgt. Im sozialdemokratischen Parteiblatt Vorwärts veröffentliche der FDP-Generalsekretär am 11. Februar eine Eloge auf Friedrich Ebert. Anlässlich des 90. Jahrestages seiner Wahl zum Reichspräsidenten lobte Dirk Niebel bedeutungsschwanger, dieser habe "auf ein Bündnis von Sozialdemokratie und liberalem Bürgertum“ gesetzt.