Eine gewisse Schadenfreude kann Paul Krugman nicht verbergen. Erst habe die Wall Street das Protestcamp der Occupy-Aktivisten im Zuccotti Park verächtlich abgetan, schreibt er in seiner New York Times-Kolumne. Nun, wo die Bewegung auf immer größere Resonanz stößt, setzt das „Gejammer“ ein. Doch die Börsianer hätten keinen Grund sich missverstanden zu fühlen, meint der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2008. Schließlich habe die Wall Street in hohem Maß zur ökonomischen Polarisierung und wachsenden Ungleichheit in den USA beigetragen. Trotzdem wähnte sich die Finanzindustrie unangreifbar und reagiert nun umso geschockter auf die öffentliche Empörung: „Bis vor ein paar Wochen schien es, als habe die Wa
Politik : Umringt von Mentoren
Erfreut bis euphorisch. Künstler, Autoren und Intellektuelle verbünden sich mit dem globalen Protest. Ein Überblick
Von
Steffen Vogel
angreifbar und reagiert nun umso geschockter auf die öffentliche Empörung: „Bis vor ein paar Wochen schien es, als habe die Wall Street unser politisches System derart wirksam bestochen und eingeschüchtert, dass es vergaß, wie dort üppige Gehaltsschecks ausgestellt und gleichzeitig die Weltwirtschaft zerstört wurde.“Ähnlich wie Krugman reagieren viele Intellektuelle erfreut bis enthusiastisch auf die neue globale Protestbewegung. Es scheint, als ob engagierte Künstler und Theoretiker nur auf diesen Moment gewartet hätten. Gut 1.200 Autoren haben auf occupywriters.com bereits ihre Solidarität bekundet, darunter Salman Rushdie, Margaret Atwood und Jonathan Lethem. Alice Walker hat für die Website ein Gedicht beigesteuert, mit dem sie auf die Festnahme des Theologen Cornel West bei einer Occupy-Aktion in Washington reagiert. Der Princeton-Professor hatte schon im August in einem wütenden Kommentar für die New York Times beklagt, in den USA herrsche seit 30 Jahren ein „einseitiger Krieg gegen Arme und arbeitende Menschen im Namen einer moralisch bankrotten Politik.“ West fügte hinzu: „Unsere zwei größten Parteien … haben lediglich alternative Versionen oligarchischer Herrschaft zu bieten.“Zahlreiche Schauspieler, Regisseure und Autoren haben auch den Weg in den Zuccotti Park gefunden. Michael Moore hat zu den Demonstranten gesprochen, Noam Chomsky, Spike Lee, Barbara Ehrenreich, Susan Sarandon, Naomi Klein und auch Slavoj Žižek. Der slowenische Philosoph setzte bei seinem viel beachteten Auftritt einen anderen Akzent als Krugman: „Klagt nicht Leute und ihre Verhaltensweisen an."Žižek, Hardt und NegriDas Problem ist nicht die Korruption oder die Gier, das Problem ist das System, das uns dazu treibt, korrupt zu werden.“ Leidenschaftlich forderte er die Protestierenden zu „harter und geduldiger Arbeit“ auf: Nachdem die Denkblockade überwunden sei und die Welt nicht mehr als die bestmögliche gelten dürfe, müssten nun Alternativen zum Kapitalismus entworfen werden.Žižek ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er sich mit der Bewegung identifiziert: „Wir sind keine Träumer, wir sind die, die aus einem Traum erwachen, der sich längst in einen Alptraum verwandelt hat.“ Noch im August hatte erdeutlich mehr Distanz erkennen lassen. Angesprochen auf die spanischen Indignados, die Vorläufer des Wall Street-Protestes, beklagte er deren angebliche Staatsfixiertheit: „Diese Menschen rufen ausschließlich nach einem neuen Herrn. Lassen Sie mich ein grausames Gedankenexperiment machen: Würde sich ein ehrlicher, gemäßigter Faschist diesen Forderungen nicht anschließen?“Doch wer nur auf die programmatischen Leerstellen schaut, riskiert diese Bewegung falsch zu verstehen. Ihre interne Struktur und ihre politische Kultur sprechen gerade nicht für eine starke Autoritätsgläubigkeit, sondern verleihen ihr einen Charakter, der sie nicht beliebig anschlussfähig macht. So jedenfalls sehen es Michael Hardt und Antonio Negri. Sie schreiben in einem Beitrag für Foreign Affairs, diese Bewegung – die von Kairo über Madrid und Tel Aviv nach New York gekommen sei und große Anleihen bei den Globalisierungskritikern mache – lebe jene „wahre Demokratie“, die sie fordert, selbst vor. In ihren Zeltstädten treffe man auf „partizipatorische Entscheidungsfindung“ und gemeinsame Willensbildung in Versammlungen. Diese Experimente mit radikaler Demokratie könnten, so hoffen die Empire-Autoren, zum Modell einer gesellschaftlichen Alternative werden. Die repräsentative Demokratie halten Hardt und Negri für beschädigt, wenn nicht gar gescheitert, nicht zuletzt, weil sich die Politik zunehmend ökonomischen Interessen unterwirft. Nötig sei ein „neuer, demokratischer verfassungsgebender Prozess“.Todd Gitlin und Judith ButlerAber verfügt diese Bewegung tatsächlich über das Potenzial, solche Veränderungen anzustoßen? Todd Gitlins Erfahrung nach entziehen sich Bewegungen raschen Einordnungen: „Sie sind widerspenstig, oft chaotisch, verwirrend, von Konflikten durchzogen und unberechenbar“, schreibt Der Mediensoziologe von der Columbia University, in den sechziger Jahren Präsident der Students for a Democratic Society, mit deutlicher Sympathie in The New Republic. Das gelte umso mehr in einer vielfältigen Gesellschaft, deren kulturelles Leben dezentralisiert ist. Journalisten stelle das vor ein Problem, aber auch Linke, „denen soziale Bewegungen verdächtig sind, die dazu neigen, außer Kontrolle zu geraten – jedermanns Kontrolle.“Judith Butler widmet sich weniger den Forderungen als den Praktiken der gegenwärtigen Straßenproteste. Bei einem Vortrag in Venedig argumentierte sie, die jüngsten Platz-Besetzungen räumten mit der seit der Antike althergebrachten Unterscheidung zwischen Öffentlich und Privat auf, derzufolge Männer politisch handeln und Frauen die Versorgung sicherstellen. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo hat die feministische Theoretikerin eine Arbeitsteilung beobachtet, bei der die Geschlechterdifferenz aufgehoben wurde: „Die soziale Form des Widerstands nahm Gleichheitsprinzipien auf, die nicht nur regelten, wie und wann Menschen sprachen und … gegen das Regime handelten, sondern auch wie sie sich um … die Betten auf dem Pflaster und die improvisierten Einrichtungen zur medizinischen Versorgung kümmerten.“Über die Ziele eines Protestes geben demnach nicht nur Transparente und Flugblätter Auskunft, sondern das Handeln der Demonstranten selbst: „Im idealen Fall inszeniert eine Allianz jene gesellschaftliche Ordnung, die sie erschaffen will.“