Ein paar Monate, bevor U-Boote in Athen zum Stadtgespräch wurden, saß der Chef des griechischen Gewerkschaftsverbands (GSEE), Yiannis Panagopoulos, bei einem Treffen, zu dem die deutsche Kanzlerin europäische Gewerkschaftsführer nach Berlin geladen hatte, am Tisch von Angela Merkel. Als die Reihe an ihm war, die Regierungschefin anzusprechen, stellte er ihr instinktiv die Frage, die viele Griechen ihr gern gestellt hätten: „Ist es richtig, dass unsere Regierung Deutschland so viele Waffen abkauft, obwohl sie offensichtlich überhaupt kein Geld für solche Geschäfte hat und deshalb Löhne und Renten kürzt?“ Merkel zögerte keine Sekunde und erwiderte umgehend: „Wir haben Sie nicht darum gebeten, einen so großen Teil I
Politik : Der Waffenhandel floriert
Die Kritik an der Heuchelei Deutschlands wird lauter. Auch wenn es der griechische Haushalt nicht hergibt, liefert die Bundesrepublik weiter massiv Rüstungsgüter an Athen
Von
Helena Smith
The Guardian
l Ihres BIP für die Verteidigung auszugeben.“ Dann kam sie auf ausstehenden Zahlungen für U-Boote zu sprechen, auf die Deutschland schon über zehn Jahre warte.Viertgrößter Importeur weltweitMan mag den Auslöser für die Schuldenkrise in der griechischen Verschwendungssucht suchen. Wenn es aber einen Haushaltsposten gibt, bei dem man in Berlin die griechische Großzügigkeit weit weniger streng verurteilt, dann ist es die extravagante Waffenliebe. Hinter regelmäßig wiederkehrenden Ermahnungen, Griechenland müsse seine Ausgaben drastisch zurückführen, es habe „über seine Verhältnisse“ gelebt – Vorwürfe, die am lautesten von Merkel und ihrem Finanzminister Schäuble kommen – , hat die Geschichte noch einen anderen Aspekt. Wenn Abgeordneten, Militärexperten, Ökonomen und Wissenschaftler ihn geltend machen, steht Deutschland weit weniger gut da. „Wenn ein Land von den immensen Summen profitiert hat, die Griechenland für seine Verteidigung ausgibt, dann ist es Deutschland“, sagt Papadimoulis, der für die Koalition der radikalen Linken im griechischen Abgeordnetenhaus sitzt. „Knapp 15 Prozent der deutschen Waffenexporte gehen nach Griechenland, seinem größten Markt in Europa“, so Papadimoulis weiter. Im Parlamentsbüro seiner Partei sitzend, spult er Zahlen herunter: „Griechenland hat über zwei Milliarden Euro für fehlerhafte U-Boote bezahlt, die es überhaupt nicht braucht. Allein aus diesem Geschäft resultieren eine Milliarde Euro Schulden – das Dreifache der Summe, um die Athen die Renten zusätzlich kürzen musste, um das vorerst letzte Hilfspaket der EU zu erhalten.“Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) liegt Paris nur knapp hinter Berlin. Etwa zehn Prozent der französischen Waffenexporte gehen an Griechenland. Von 2002 bis 2006 war der NATO-Staat viertgrößter Importeur konventioneller Waffen weltweit. Und auch heute liegt Griechenland immerhin noch auf Platz zehn. „Im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung, wie sie sich im BIP ausdrückt, gibt das Land doppelt so viel für seine Verteidigung aus wie jedes andere EU-Mitglied“, so Papadimoulis, der früher auch schon im Europaparlament saß. „Noch lange nach Beginn der Wirtschaftskrise, zu einem Zeitpunkt also, da wir auf anderen Gebieten wie dem Gesundheitssektor zu tiefen Einschnitten gedrängt wurden, haben Deutschland und Frankreich noch versucht, lukrative Waffengeschäfte mit uns abzuschließen.“Im Rahmen des jüngsten Rettungsprogramms von EU und IWF, das die kurz vor dem Zusammenbruch stehende griechische Wirtschaft bis 2015 mit Notfallkrediten von 130 Milliarden Euro stützt, hat Athen eine Kürzung seiner Verteidigungsausgaben um 400 Millionen vereinbart. Sein Militärbudget beläuft sich dann jedoch immer noch auf nahezu vier Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Im EU-Durchschnitt sind es zwei Prozent. Zur Begründung für den Kauf von Hightech-U-Booten, Hunderten von Leopard-Panzern, Mirage- und F16-Jets von Deutschland, Frankreich und den USA führt Athen die gefühlte Bedrohung durch die Türkei an.Es wird darüber spekuliert, dass die Zahlung internationaler Hilfsgelder an die Aufrechterhaltung der Verträge mit deutschen und französischen Rüstungsfirmen geknüpft wurde. „Seit der türkischen Invasion auf Zypern im Jahr 1974 hat Griechenland schätzungsweise 216 Milliarden Euro für Waffen ausgegeben. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass die Militärausgaben in Wahrheit noch viel höher liegen als die offiziellen Zahlen besagen, da es so genannte geheime Kassen gibt, auf die der Staat zugreifen kann“, erläutert die in Brüssel ansässige Sicherheitsexpertin Katerina Tsoukala. „Das Problem besteht darin, dass die Waffenbeschaffung in Griechenland – im Unterschied etwa zu Großbritannien – nie transparent und demokratisch vonstatten ging. Stattdessen läuft alles geheim ab und Leute wie ich müssen sich ans Sipri in Stockholm wenden, um an Informationen zu gelangen, die in anderen Ländern ohne Umstände zugänglich wären. Schwarzgeld im SpielDieser Umstand hat dafür gesorgt, dass die griechischen Waffengeschäfte mit den Jahren immer stärker mit Betrug und Korruption auf höchsten staatlichen Ebenen in Verbindung gebracht wurden. In der vergangenen Woche kam der frühere Verteidigungsminister Akis Tsochadzopoulos wegen des Vorwurfs in Untersuchungshaft, er habe von Ferrostaal Schmiergelder in Höhe von acht Millionen Euro genommen. Das deutsche Unternehmen war bereits vor zwölf Jahren mit dem skandalträchtigen Verkauf von vier Klasse-214-U-Booten in Erscheinung getreten, von denen Griechenland aufgrund technischer Mängel bis heute erst eines erhalten hat.Tsochadzopoulos ist bislang der ranghöchste Funktionär, gegen den gerichtlich wegen Korruptionsvorwürfen vorgegangen wird. Ihm wird vorgeworfen, er habe mit Geld von Schweizerischen Konten über Offshore-Unternehmen zwei Anwesen in Athen gekauft, unter anderem eine Luxus-Wohnung auf dem teuersten Boulevard der Hauptstadt. Auch seine Frau und seine Tochter mussten vor Gericht erscheinen, bestritten die Vorwürfe aber ebenso wie der altgediente Sozialdemokrat selbst. Im Zuge der zweijährigen Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft in München, sind bei Ferrostaal mehrere Manager, einschließlich des Geschäftsführers zurückgetreten. Der nahm seinen Hut, nachdem er zugeben musste, dass als Gegenleistung für die Zusicherung des U-Boot-Deals mit Griechenland und Portugal Geld geflossen war. Im Vorjahr entschuldigte sich Ferrstaal öffentlich und erklärte sich zur Zahlung einer Strafe von 140 Millionen Euro bereit.In einem vergleichbaren Fall erreichte Siemens vor kurzem eine außergerichtliche Einigung mit dem griechischen Staat, nachdem Vorwürfe erhoben worden waren, das Unternehmen habe Kabinettsminister und andere Funktionäre bestochen, um sich vor den Olympischen Spiele von 2004 Verträge zu sichern. Der ehemalige sozialdemokratische Verkehrsminister Tassos Mandelis räumte ein, 1998 100.000 Euro von Siemens erhalten zu haben. Die Einigung hat den Gebern einen Weg geebnet, um sich in Griechenland wieder auf öffentlich ausgeschriebene Aufträge zu bewerben, zugleich aber auch ein Schlaglicht auf die unsauberen Geschäftspraktiken führender deutscher Unternehmen geworfen. „Die Heuchelei, mit der wir es hier zu tun haben, ist kaum zu übersehen“, meint Papadimoulis. „In Griechenland wird die Korruption immer wieder als Ursache der Verschwendung herausgestellt, gleichzeitig sind aber Unternehmen wie Ferrostaal und Siemens Pioniere bei diesen Praktiken. Bei einem Großteil der Verteidigungsausgaben sind Korruption und Schwarzgeld mit im Spiel. Die politische Klasse lässt sich auf diese Weise finanzieren. Sie sind damit noch immer durchgekommen, weil sie es stets verstanden, mit den Ängsten der Leute zu spielen.“Vor dem Hintegrund der wirtschaftlichen Lage des Landes – die sich in der Weigerung der IWF-Chefin Christine Lagarde zeigt, einen Bankrott Griechenlands völlig auszuschließen – stellen immer mehr Griechen die Verteidigungsausgaben ihres Landes infrage. Vizepremier Theodore Pangalos erklärte öffentlich, er bereue es, dass Athen so viel Geld für Waffen ausgibt, und rief bei einem Besuch des türkischen Premiers, Recep Tayyip Erdogan, Griechenland werde „gezwungen, Waffen zu kaufen, die wir überhaupt nicht brauchen“.Hört auf!Kein anderer Posten hat in dem Maße zum Schuldenberg des Landes beigetragen wie der Militärhaushalt. Hätte Athen im Laufe der vergangenen zehn Jahre seine Verteidigungsausgaben auf das Niveau anderer EU-Länder reduziert, hätte es ungefähr 150 Milliarden gespart – mehr als das jüngste Rettungspaket. Stattdessen gibt das Land auch heute noch über sieben Milliarden im Jahr für Waffen und anderes militärisches Gerät aus – 2009 waren es noch zehn Milliarden.Der führende griechische Verteidigungsexperte, Thanos Dokos, sagt, die mutmaßliche Bedrohung durch die Türkei und die Angst vieler Politiker, als unpatriotisch gebrandmarkt zu werden, habe eine rationale Debatte über die militärische Extravaganz Griechenlands unmöglich gemacht. „Man könnte argumentieren, Griechenland habe mit 1.300 Panzern – der doppelten Menge Großbritanniens – mehr, als es braucht. Aber niemand hat es gezwungen, so viel für Waffen auszugeben. Dies geschah aufgrund der gefühlten Bedrohung durch die Türkei und dem Bedürfnis, militärisch mit dieser gleich zu ziehen.“ Die Kritik aus Frankreich und Deutschland habe etwas Heuchlerisches, meint Dokos. „Wenn man die wirtschaftliche Lage des Landes und das ganze Gerede kennt, Griechenland habe 20 Jahre lang über seine Verhältnisse gelebt, dann hat man Lust, den Kritikern ins Wort zu fallen und zu rufen: „Hört auf! Es ist heuchlerisch, über die Tatsache hinweg zu sehen, dass eine beträchtliche Summe für den Kauf von Waffensystemen aus Deutschland und Frankreich ausgegeben wurde.“