Helmut Newtons ikonische und unbekanntere Berlin-Bilder, die zwischen den 1930er und Nullerjahren entstanden, werden in den anderen Ausstellungsräumen neu kontextualisiert, von vintage prints von Yva bis hin zur journalistisch-politischen Fotografie von Barbara Klemm. So wird der inhaltliche Bogen von den „goldenen Zwanzigern“, in die Newton hineingeboren wurde, über die Kriegszerstörung, den Wiederaufbau, den Mauerbau und -fall bis ins frühe 21. Jahrhundert geschlagen.
Jewgeni Chaldei, ein russisch-ukrainischer Fotograf, schuf ikonische Bilder vom Häuserkampf rund um den Reichstag in den letzten Kriegswochen im Frühjahr 1945, während Hein Gorny im folgenden Herbst gemeinsam mit Adolph C. Byers über die Stadt flog und ihren ruinösen Zustand nach Kriegsende in einer Serie spektakulärer Luftaufnahmen dokumentierte. In den späten 1950er-Jahren normalisierte sich langsam die lange Zeit so prekäre Situation in Berlin, wie wir anhand der Aufnahmen von Arno Fischer, Will McBride und F.C. Gundlach sehen können, die seinerzeit noch abwechselnd im Ost- und im Westteil der Stadt fotografieren konnten. Der Mauerbau im August 1961 veränderte erneut nahezu alles, im Westteil begannen ab 1966 die Studentenunruhen und die APO-Zeit, festgehalten unter anderem von Günter Zint sowie in einer Archivarbeit von Arwed Messmer, zusammengestellt aus historischen Aufnahmen der West-Berliner Polizei und durch die künstlerische Aneignung neu erlebbar. Messmer interpretierte kongenial auch die Fotografien von Fritz Tiedemann neu, der ab 1949 im Auftrag des Ost-Berliner Magistrats die noch teilweise in Trümmern darniederliegende Stadt systematisch dokumentierte. Die Bildfolgen bestimmter Gebäude, Plätze und Straßenzüge bildeten Panoramen, die von Tiedemann als Kontaktkopien auf Kartons geklebt wurden. Erst durch die Intervention von Arwed Messmer, der die unikatäre Qualität dieser Stadt-Dokumentation erkannte, im Auftrag der Berlinischen Galerie sichtete, rekonstruierte und in riesigen, digitalen Ausbelichtungen materialisierte, können wir Berlin und seine Leere um 1950 völlig neu entdecken.
Die Berliner Mauer taucht in der Ausstellung immer wieder auf, insbesondere in den 12 Folianten von Arwed Messmer und Annett Gröschner, in denen die Besucher den Zustand der gesamten Mauer Mitte der 1960er-Jahre studieren können, ebenso wie Bilder aus der geteilten Stadt, die jenseits des Brandenburger Tores oder des Reichstages entstanden sind und zusammengenommen den Mythos Berlins und seine Visualisierung ausmachen. So sind es bestimmte Projekte, die Foto- oder Filmgeschichte geschrieben haben, die hier spannungsvoll miteinander interagieren, etwa Maria Sewcz‘ Serie „inter esse“ neben Michael Schmidts „Waffenruhe“ und film stills aus Wim Wenders‘ „Himmel über Berlin“; alle stammen aus den späten 1980er-Jahren, noch vor dem Mauerfall.
Der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung und die Fotografien, die dazu und danach entstanden sind, bilden schließlich das letzte Kapitel dieser Übersichtsausstellung. Dafür stehen exemplarisch Ulrich Wüsts Leporellossowie Thomas Florschuetz und Harf Zimmermann mit ihren großformatigen Farbarbeiten, die unter anderem im ehemaligen Palast der Republik entstanden und den Fernsehturm am Alexanderplatz respektive das Schinkel’sche Erbe in Berlins Mitte spannungsvoll neu verorten. Es sind Bilder einer Stadt, die dazu verdammt ist, „immerfort zu werden und niemals zu sein“ (Karl Scheffler).
So wird Newtons Blick auf seine Heimatstadt, in Form von etwa 100 Fotografien, von ebenso vielen Bildern und unterschiedlichen Ansätzen der Kollegen und Kolleginnen in den hinteren Räumen begleitet, kommentiert, ergänzt und gespiegelt. Eine solche Gegenüberstellung mit wechselseitigen Bezügen gab es in der Stiftung bereits 2022 mit der Gruppenausstellung „Hollywood“, einem anderen bekannten Ort der Newton’schen Bildproduktion.