Im Museumsquartier entsteht aktuell ein neuer, gesellschaftspolitisch relevanter Lernort. Am 25. April 2023 beschloss der Rat der Stadt Osnabrück, ihn Die Villa_ Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte zu nennen. Im Untertitel folgte der Rat der Empfehlung des wissenschaftlichen Beirats, der die Neukonzeption seit 2018 begleitet.
Beim eigentlichen Namen Die Villa_ war die Einigung komplizierter. Nach langen, teils kontroversen Diskussionen wurde mit der Entscheidung einerseits der historische Name „Villa Schlikker“ aufgegeben. Andererseits wird der Plan, das Gebäude nach Hans Georg Calmeyer zu benennen, nicht weiter verfolgt. Der Unterstrich in Die Villa_ ist kein grafischer Gimmick, sondern er steht für Diskurs. Er symbolisiert die Differenzen und jeweiligen Vorbehalte bei der Namensfindung. Dadurch markiert der neue Name Die Villa_ den Anspruch, an diesem Ort künftig Debatten kritisch zu führen, Meinungen ausgewogen miteinander auszutauschen und am Ende dieser demokratischen Prozesse zu Ergebnissen zu gelangen, die alle gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam tragen können. Denn Demokratie zählt.
Unser freies Leben in einer offenen demokratischen Gesellschaft ist ein kostbares Gut. Im Alltag erscheinen uns die Menschrechte wie selbstverständlich garantiert. Doch um zu verstehen, dass um die Fundamente unserer Demokratie täglich gerungen werden muss, genügt ein Blick zurück in die Vergangenheit. Die Geschichte des Nationalsozialismus zeigt, wie bürgerliche Freiheiten einst in einer Diktatur gezielt eingeschränkt wurden, wie demokratische Regeln schrittweise aufgehoben und wie gesellschaftliche Gruppen mit Gewalt aus der Gemeinschaft ausgegrenzt, ja am Ende aufgrund einer totalitären und rassistischen Ideologie ermordet wurden.
In Kürze wird Die Villa_ im Museumsquartier als Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte eröffnet werden. Dort möchten wir die Ursachen und Folgen der NS-Zeit analysieren und daraus für unsere gemeinsame Gegenwart und Zukunft lernen. Was bedeutet eine demokratische Zivilgesellschaft für uns alle? Was bedroht sie? Und wie wirkt sich unser individuelles und gemeinschaftliches Handeln dabei aus? Das gilt es in der Villa_ miteinander auszuloten und gemeinsam zu diskutieren.
Osnabrück im Nationalsozialismus ist inhaltlicher Ausgangspunkt des neuen Forums – und das nicht von ungefähr. Denn Die Villa_ ist selbst Teil dieser Geschichte. Hier befand sich zwischen 1932 und 1945 die Kreiszentrale der Osnabrücker NSDAP. Von hier aus wurde in der Osnabrücker Region die Politik der NS-Diktatur umgesetzt. Genau an diesem ehemaligen Ort nationalsozialistischer Täterschaft möchten wir einen Reflexions- und Erlebnisraum mit Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus schaffen. Parallel zu den historischen Linien reflektieren wir in unserem Gegenwarts-Parcours, welcher gesellschaftlicher Grundlagen es bedarf, um heute und in Zukunft ein menschliches und friedliches Miteinander zu gewährleisten.
Dabei steht das menschliche Handeln im Zentrum unseres Forums. Wie verhielten sich Menschen in der NS-Gesellschaft? Welche Handlungsspielräume besaßen sie? Welche Formen des Widerstandes oder widerständigen Verhaltens gab es? Und können wir daraus etwas für morgen lernen? Dazu beleuchten wir, neben vielen anderen Biografien, insbesondere die Geschichte des Osnabrückers Hans Georg Calmeyer (1903-1972). Der Jurist war während des Zweiten Weltkriegs Teil des deutschen Besatzungsregimes in den Niederlanden. Ihm und seinen Mitarbeitern gelang es, etwa 3.000 Jüdinnen und Juden vor der Deportation ins KZ und damit vor dem Tod zu bewahren. Viele Hunderte Fälle, die ihm zur Entscheidung vorlagen, beschied Calmeyer allerdings auch negativ. Vor dem Hintergrund seines Lebensweges von der Weimarer Republik über die Jahre des Nationalsozialismus bis in die bundesdeutsche Nachkriegszeit lassen sich Handlungsspielräume in Zeiten der Unterdrückung aufzeigen und diskutieren.
Künftig bietet Die Villa_ mithin reichlich Perspektiven, insbesondere für Jugendliche und Studierende, um an einem ehemaligen Ort der NS-Diktatur gemeinsam an einer friedlichen Zukunft zu arbeiten: in Workshops und Arbeitsgemeinschaften, auf Tagungen und in wissenschaftlichen Projekten. Dabei geht es nicht zuletzt immer auch um die Reflexion unseres eigenen Handelns und unserer Identität.