Schicksal: Treuhand

Zur Ausstellung 9.000 volkseigene Betriebe mit insgesamt 4,1 Millionen Arbeitsplätzen sollte die Treuhandanstalt in kürzester Zeit «markttauglich» machen. Die Betriebe wurden privatisiert oder liquidiert. Millionen Menschen wurden arbeitslos. Wie erging es ihnen?
Schicksal: Treuhand

Foto: Matthias Eckert

Die Treuhandpolitik traf die Ostdeutschen 1990 wie ein Schicksalsschlag. Waren sie im Herbst 1989 noch selbstbewusst für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen, nahm ihr Leben nun eine unerwartete Wendung. 9.000 volkseigene Betriebe mit insgesamt 4,1 Millionen Arbeitsplätzen sollten von der Treuhandanstalt in kürzester Zeit „marktfähig“ gemacht werden. Die Betriebe wurden privatisiert oder abgewickelt. Millionen von Menschen wurden arbeitslos. Ende 1994 stellte die Treuhandanstalt ihre Arbeit ein, ihre Aufgaben wurden auf verschiedene Nachfolgegesellschaften verteilt. Das ist für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Anlass, die Wanderausstellung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“ noch einmal in Berlin zu zeigen. Die vor fünf Jahren konzipierte Ausstellung, war bisher an rund 40 Orten in elf Bundesländern zu sehen.

In der Ausstellung kommen Zeitzeug*innen zu Wort, deren Lebensgeschichte durch das Agieren der Treuhandanstalt unmittelbar beeinflusst wurde. Sie waren zur Wendezeit beispielsweise Schlosser auf der Neptunwerft Rostock, Kranführerin im Stahlwerk Riesa, Maurer im Chemiekombinat Buna, Kumpel im Kaliwerk Bischofferode oder Fernsehelektronikerin in Oberschöneweide. Als lebensgroße Porträts treten sie den Besucher*innen in der Ausstellung buchstäblich auf Augenhöhe gegenüber und berichten von ihren Erfahrungen. Über QR-Code können kurze Sequenzen aus ihren Erzählungen angehört werden, in denen sich die damalige Stimmungslage auch heute noch widerspiegelt.

Die hier geschilderten Erlebnisse und Empfindungen stehen beispielhaft für die Lebensgeschichten von Millionen Ostdeutscher, die durch Privatisierungen, Betriebsschließungen und Massenentlassungen – zeitweilig oder dauerhaft – an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Besonders bitter für die Betroffenen war, dass die Treuhandanstalt auf individuelle Lebensleistungen, berufliche Qualifikationen und Kenntnisse aus 40 Jahren DDR ebenso wenig Rücksicht nahm wie auf Emanzipationserfahrungen der Jahre 1989/90.

Die Berichte der Betroffenen werden durch die Geschichte volkseigener Betrieben und Kombinate gerahmt, deren Schicksal unter dem Regime der Treuhandanstalt nachgezeichnet wird. Auch sie stehen exemplarisch dafür, wie die Treuhandanstalt mit dem volkseigenen Vermögen der DDR-Bürger*innen umging. Historisch und politisch eingeordnet wird das Agieren der Treuhand durch den Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler, die Politiker Christa Luft, Hans Modrow und Bodo Ramelow sowie den DDR-Oppositionellen Bernd Gehrke.

Die von Rohnstock-Biografien kuratierte Ausstellung ist vom 4. Juli bis 10. Oktober 2024 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Straße der Pariser Kommune 8A, 10243 Berlin zu sehen und kann von Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr und zu Veranstaltungen, besichtigt werden.

24.06.2024, 21:34

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