Leseprobe : Geschichte der Gefährdung der Demokratie

Viele Anführer haben willige Mitläufer, ohne deren Unterstützung die späteren Herrscher anonyme Geheimdienstler oder Hochstapler geblieben wären. In Kurzbiografien wird dargelegt, dass die Bindung zwischen Führer und Nachfolgern entscheidend ist

Ohne seine republikanischen Freunde wäre er niemand: Ex-Präsident Donald Trump
Ohne seine republikanischen Freunde wäre er niemand: Ex-Präsident Donald Trump

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

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Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin – Trump – Netanyahu

Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin – Trump – Netanyahu

Rafael Seligmann

Hardcover

176 Seiten

18€

In Kooperation mit Herder Verlag

Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin – Trump – Netanyahu

Keck und laut für die Freiheit

Vorbemerkung

Bestimmen fortan „starke Männer“ ohne Skrupel das Schicksal der Welt? In Diktaturen, aber auch in etablierten Demokratien? Putin, Trump, Netanyahu, Erdogan, Xi und ihre Brüder im Geiste geben vor, einfache und wirksame Lösungen für vielfältige Bedrohungen zu besitzen. Damit gelingt es ihnen, Millionen für sich einzunehmen, die fürchten, den fortwährenden Herausforderungen des digitalen Zeitalters nicht gewachsen zu sein. Diese Menschen haben Angst vor ihnen unverständlichen Veränderungen in Technik und Gesellschaft, vor Kriegen, Krisen und dem Verlust ihres Ansehens und Auskommens. Die vermeintlichen Alleskönner sind fähig, ihren Anhängern zumindest zeitweilig die Angst zu nehmen. Dieses Buch nimmt diese Führer, ihre Mobilisierungsmethoden, ihre Rezepte und deren Preis unter die Lupe. Es entlarvt sie als Brandstifter.

Politische Pyromanen gelangen durch Propaganda und Zwang ans Ruder. Sie entscheiden, ob sie auch außenpolitisch in die Offensive gehen. Ihr Ziel ist die Macht zur Ausschaltung aller „Feinde“ sowie unumschränkte Herrschaft. Wie funktioniert das symbiotische Verhältnis zwischen Brandstiftern und ihren Mitläufern? Allein die schier bedingungslose Gefolgschaft des willigen Anhangs ermöglichte es dem anonymen Kriegsheimkehrer, dem ehemaligen Geheimdienstler, dem New Yorker Hochstapler, dem Istanbuler Religionsschüler, dem traumatisierten Bruder, zu Lenkern des politischen Geschehens mit destruktiven Möglichkeiten aufzusteigen. Die Schleifung der politischen Freiheiten empfindet ihre willige Gefolgschaft nicht als Einschränkung, sondern als Befreiung.

Die freiheitlichen Demokraten müssen und dürfen sich nicht als ohnmächtige Opfer der Brandstifter und ihres willfährigen Anhangs begreifen. Sie sollen sich auf allen Ebenen legal wehren. Gemäß Heinrich Heines Maxime fordern wir, „keck und laut“ die Freiheit zu verteidigen und deren Feinden wie Höcke und Konsorten entgegenzutreten, um sie zu hindern, „wohltemperierte Grausamkeiten“ zu begehen.

Feuer und Flamme

Noch vor 35 Jahren strotzte die Welt vor Zuversicht. Im Sommer 1989 proklamierte Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“. In seinem Aufsatz sagte der amerikanische Historiker den Anbruch eines friedlichen Zeitalters voraus. Die folgenden Ereignisse schienen Fukuyamas Prophezeiung zu bestätigen. Wenige Monate später fiel die Berliner Mauer, bald darauf brach die SED-Diktatur zusammen. Die DDR wurde Teil eines vereinigten demokratischen Deutschlands. In kurzen Abständen streiften die Menschen in den Staaten Osteuropas ihre kommunistischen Zwangsregime ab, bis schließlich die Sowjetunion in sich zusammenfiel. Damit endete der Kalte Krieg. Bestehende und entstehende Demokratien schienen einen langfristigen Frieden zu garantieren – wie Fukuyama dies prognostiziert hatte. Bereits 1989 aber riss als Folge des Auseinanderbrechens Jugoslawiens der Nationalist Slobodan Milošević in Belgrad die Herrschaft an sich und brach einen Krieg zur gewaltsamen Wiedervereinigung Jugoslawiens unter serbischer Führung vom Zaun. Sein Feldzug blieb erfolglos. Die NATO erzwang einen Waffenstillstand. Auch global wurde der Frieden einige Jahre später schlagartig beendet. Am 11. September 2001 attackierten Kommandos der Al Kaida Osama bin Ladens New York und Washington. Die Vereinigten Staaten antworteten mit Invasionen Afghanistans und später Iraks. Das Ende der Geschichte war vorbei, ehe es begonnen hatte. Stattdessen entwickelte sich ein neues Zeitalter der Brandstifter.

Als am 24. Februar 2022 russische Armee-Einheiten in die Ukraine einmarschierten und Moskaus Luftwaffe Kiew und andere Städte des Landes bombardierte, reagierten führende Politiker sowie Bürger der westeuropäischen Demokratien schockiert. Bis zuletzt hatten sie sich an die Illusion geklammert, Russland werde keinen Krieg beginnen. Obgleich in den zurückliegenden Jahren Moskau wiederholt Feldzüge innerhalb Russlands und jenseits seiner Grenzen geführt hatte. Zudem hatten westliche Geheimdienste, auch der Bundesnachrichtendienst, ihre Regierungen über die bevorstehende Invasion der russischen Streitkräfte informiert. Die Massenmedien berichteten ausführlich über Moskaus Kriegsvorbereitungen. Um den Ausbruch des Waffengangs zu unterbinden, um dessen Verhinderung sie sich mit allen Mitteln bemüht hatten, traten die Führer Europas Canossa-Flüge an. Im Kreml appellierten sie an Präsident Putin, von einem „möglichen“ Kriegsvorhaben abzulassen, lockten mit wirtschaftlichen Vorteilen, etwa der Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2, die Moskau weitere Milliardeneinnahmen bescheren würde. Umsonst. Der Möchtegernzar erteilte seinem Militär Kriegsbefehl.

Bundeskanzler Scholz bekannte, Putin habe damit eine „Zeitenwende“ eingeleitet. Seine Vorgängerin Angela Merkel, die zeit ihrer Kanzlerschaft mit dem Kremlherrscher kooperiert hatte, erging es ähnlich wie vielen Demokraten, die meinten, mit einer beschwichtigenden Friedenspolitik einen Krieg auf ihrem Kontinent vermeiden zu können. Später rechtfertigte sich Merkel mit der Bemerkung, Diplomatie sei nicht falsch, weil sie in diesem Fall fehlgeschlagen sei. Aber es war falsch, sich ausschließlich auf sie verlassen zu haben.

Bereits während der späten 1930er Jahre versuchten Großbritannien und Frankreich durch ein Eingehen auf die Forderungen Berlins, Hitler von einem Krieg abzuhalten. Dafür waren sie bereit, die Integrität kleinerer Staaten zu opfern – wie im Münchner Abkommen von 1938 auf Kosten der Tschechoslowakei. Auf diese Weise meinten sie, „Frieden für unsere Zeit“ erkauft zu haben, so der damalige britische Premier Neville Chamberlain. Dies geschah mit der breiten Zustimmung der Bevölkerung. Ähnliche Tendenzen zur Befriedung auf Kosten der Nachbarn zeigen populistische Politiker in Europa und weltweit, wenn sie Verhandlungen mit Putin fordern und ein Eingehen auf seine territorialen Forderungen, um den „Frieden“ zu bewahren.

Als Benjamin Netanyahu Ende 2022 erneut Israels Regierungschef wurde, meinte er, sich vor allem auf eine Justizreform zu seinen Gunsten konzentrieren zu können. Als „Mr Sicherheit“ suggerierte der Premier, die Unversehrtheit der Bürger gewährleisten zu können. Tatsächlich aber untergruben die von Netanyahu angefachten inneren Konflikte die Sicherheit Zions. Das erleichterte den Massenmord der Hamas aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023. Somit trägt Netanyahu Verantwortung für die zunächst fehlende Abwehrkraft der israelischen Streitkräfte.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber Kriege und Diktaturen bleiben katastrophal. Wie können demokratische Staaten ihre Stärken Freiheit, Idealismus und Wohlstand nutzen, um Unterdrückung und Kriege zu verhindern?

Unterschiedliche politische Figuren wie Napoleon, Hitler, Pinochet, Trump bedienten sich gesellschaftlicher Umbrüche, um die Macht zu okkupieren. Grundbedingung hierfür waren sich auflösende soziale und politische Strukturen. Ein Klima der Orientierungslosigkeit und Angst ist eine Voraussetzung für charismatische Brandstifter, um Mitläufer, die ihr Weltbild teilen, zu rekrutieren. Hitler benötigte die Depression in der Folge des Ersten Weltkrieges, um aus der Anonymität eines Postkartenmalers in die Politik treten zu können.

Neben Brandstiftern wie Alexander dem Großen, Napoleon, Hitler, Milošević, die unbedingt danach streben, äußere Kriege zu entfachen, gibt es die Kategorie der zunächst rationalen Herrscher. An die Macht gelangt, beschränken sie sich vorderhand auf eine autoritäre Regentschaft im eigenen Land und vermeiden externe Konflikte. Prototypen sind neben Francisco Franco, Augusto Pinochet, Donald Trump, Benjamin Netanyahu und Victor Orbán. Ihre kriminelle Energie begrenzen sie auf die innerstaatliche Ebene.

Brandstifter wie Vladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan passen ihre Taktik der jeweiligen politischen Großwetterlage an. Sie sind latent darauf aus, neben der Macht im eigenen Land auch Herrschaft in angrenzenden Territorien zu erobern, jedoch nur, wenn dies relativ risikolos erscheint. In der Anfangsphase ihrer öffentlichen Karriere treten sie als demokratische Erneuerer auf. So gewinnen sie die Zustimmung der Bevölkerung, unabhängiger Medien und des Auslands. Doch je länger sie mit den Jahren Gefallen an der Ausübung der Macht finden, desto schneller verlieren sie die Geduld mit politischen Opponenten, einer unabhängigen Justiz und der freien Presse. Auch die Bereitschaft, außenpolitische Widerstände zu tolerieren, schwindet. Innenpolitische Gegner werden zunehmend durch gezielte Verfolgung ausgeschaltet. Gleiches gilt für die Judikative. Parallel dazu wächst die Bereitschaft, internationale Interessenkonflikte durch Krieg zu lösen, falls der Widerstand auswärtiger Rivalen, speziell Demokratien, nicht abschreckend wirkt.

Viele der genannten Figuren verbinden das Schicksal ihres Landes mit ihrem individuellen Los. Scheitern sie, nehmen sie ihren Staat in Geiselhaft.

Was bewegt Brandstifter? Wodurch gewinnen sie Gefolgschaft? Der unwiderstehliche Trieb zu siegen, zu erobern, zu zerstören ist entscheidend. Politische Marodeure versuchen, komplexe Herausforderungen mittels Unterdrückung, Erpressung, Gewalt und Krieg zu bestehen. Sobald ein Gegner überwältigt ist, setzen sie sich immer neue Ziele. Zudem besteht eine Komplizenschaft, ja eine Abhängigkeit zwischen Brandstiftern und ihren Mitläufern, da sie die gleichen Werte und aggressiven Methoden teilen. Der Brandstifter erringt und erzwingt das latente Verlangen seines Anhangs. Das ist sein Charisma. Moralische und rechtliche Kriterien werden ausgeschaltet. Richtig ist, was der Führer befiehlt. Anderes ist falsch und wird sanktioniert.

Das Wirken politischer Brandstifter kann nicht vollständig unterbunden werden. Gesellschaftliche Verwerfungen sind mitunter unvermeidlich, ja notwendig. Karl Marx nannte Revolutionen „Lokomotiven der Geschichte“. Dem Philosophen kam nicht in den Sinn, dass Zugwagen auch in die falsche Richtung gelenkt werden können. Millionen Menschen mussten die Irrfahrten mit dem Leben bezahlen – wenn Kutscher oder Lokomotivführer wie Napoleon, Lenin oder Mao den Weg bestimmten. Demokratien haben sich als relativ zuverlässiger Schutz erwiesen. Ihre Gesetze und Institutionen sorgen in der Regel dafür, dass die schmerzhaften Nebenwirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche abgefedert werden. Falls diese sich aufgrund von technischen und wirtschaftlichen Erneuerungen dennoch ereignen, gewinnen selbst in etablierten Demokratien wie Großbritannien, den USA und Israel Demagogen Zulauf, die eine Einschränkung der politischen Freiheit, der unabhängigen Rechtsprechung und Medien anstreben.

Eine stabile Freiheitsordnung ist das Ergebnis einer überzeugten Bevölkerung und freier Institutionen. Bemerkenswert ist dabei, dass Indien seine demokratische Struktur bewahren konnte, während sie in Pakistan, das ebenso wie Indien und Ceylon bis 1946 in der gleichen Kolonie von Großbritannien regiert wurde, stets aufs Neue abgeschafft wurde. Das überlieferte islamische Kulturund Politikverständnis, das eine Trennung von Staat und Religion nicht kennt, spielt hier eine entscheidende Rolle. Kein muslimisch ausgerichteter Staat blieb dauerhaft demokratisch. Oktroyierte, formale Demokratien, wie sie von den USA in Afghanistan und Irak etabliert wurden oder zuvor bei Abzug der Kolonialmächte aus den ehedem kolonisierten Ländern in Afrika und Asien, besitzen nicht die notwendige Widerstandskraft gegen entschlossene Feinde.

Auf welche Weise können freiheitlich gesinnte Bürger und demokratische Einrichtungen einen wirksamen Schutz etablieren, der sie vor Brandstiftern bewahrt? Dass dies geboten und möglich ist, zeigten zuletzt Beispiele der Vereinigten Staaten und Brasilien. Deren Wähler sowie die demokratischen Institutionen widersetzten sich den Versuchen der abgewählten Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro, in einem kalten Staatsstreich die Macht an sich zu reißen. Zur massenhaften Gegenwehr braucht es demokratisches Selbstbewusstsein und Mut. Diese Tugenden müssen fortwährend gepflegt werden. Doch auch bewährte Demokratien besitzen keinen Ewigkeitsschutz. Sie müssen ihre Resilienz stetig festigen. Denn demokratische Freiheit ist nicht umsonst zu haben.

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Analytiker des Zeitgeschehens

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Als Historiker und Journalist verfasste Rafael Seligmann zahlreiche Romane und zeitgeschichtliche Analysen. Er kommentiert für verschiedene Medien das Tagesgeschehen und war bereits mehrfach Chefredakteur und Herausgeber

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