Leseprobe : Präzise, fundiert und praxisorientiert

Karin Michels hat viele Jahrzehnte an führenden interantionalen Universitäten geforscht. In „Die Ernährungsgerade“ gibt sie ihr Wissen weiter: Das Buch ist die Antwort der Wissenschaft auf alle Ernährungsfragen, präzise, fundiert, praxisorientiert

Präzise, fundiert und praxisorientiert

Foto: Antonio Masiello/Getty Images

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Die Ernährungsgerade

Die Ernährungsgerade

Karin Michel

Hardcover, gebunden

208 Seiten, mit 10 Abbildungen und 12 Tabellen

22 €

In Kooperation mit C. H. Beck

Die Ernährungsgerade

Einleitung

Essen verlängert und rettet Leben. Klar, sagen Sie, das weiß doch jeder! Dafür braucht es keine Wissenschaft. Wer nichts isst, verhungert. Jeden Tag nehmen wir etwas zu uns, morgens, mittags, abends, und oft auch zwischendurch. Viele Lebewesen tun ihr ganzes Leben wenig anderes als sich um Nahrung zu bemühen. Und meist stellt sich die Frage gar nicht, was sie essen. Sie nehmen, was sie gerade kriegen können, und sind froh, wenn sie überhaupt genug finden, um satt zu werden. Wenn dann einmal fette Beute gemacht wird, dann wird schnell alles aufgefressen, auch wenn es weit über den aktuellen Bedarf geht. Wer weiß, wann es wieder etwas gibt! Der Mensch ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Oder besser gesagt: Der heutige Mensch in den reichen Industrieländern ist eine Ausnahme.

Denn wir haben die Wahl, und es gibt jederzeit und (fast) überall mehr zu essen, als wir in uns reinstopfen können. Unsere moderne Nahrungsmittelindustrie versorgt uns mit einem Überangebot an Waren. Und sie bietet etwas für jeden Geschmack und für alle Bedürfnisse: Süßigkeiten, die schnell Energie liefern oder uns bei einer Traurigkeit trösten sollen; Fertiggerichte, die nur rasch in die Mikrowelle geschoben werden müssen, wenn die Zeit mal wieder nicht reicht oder man abends keine Kraft mehr aufbringen kann; Fleischfrikadellen zu irrwitzig niedrigen Preisen, für alle, deren Geldbeutel nicht mehr hergibt; aber auch teure Bio-Produkte, für alle, die mehr auf dem Konto haben – Fleisch von «glücklichen Tieren» oder «Superfoods», wie exotische Chia-Samen. Und es gibt frisches Obst und Gemüse aus allen Ländern der Welt, und zwar zu Einleitung 9 jeder Jahreszeit. Aber was fangen wir mit dieser Vielfalt und diesem Überfluss an? Wie viel brauchen wir? Und wovon? Was sollen wir auswählen?

Es gibt wenige menschliche Tätigkeiten, die so wichtig sind für unser ganzes Leben wie das Essen, und dennoch wissen viele kaum etwas darüber oder interessieren sich nicht dafür, was sie eigentlich zu sich nehmen und was ihre Ernährungsweise mit ihnen und ihrem Körper anstellt. Ernährt man sich falsch oder ungesund, dann macht sich das früher oder später bemerkbar. Und dann rennen viele zum Arzt oder zur Ärztin und erwarten, dass man ihnen eine Pille verschreibt, mit deren Einnahme alles wieder gut wird. Doch die Wahrheit ist: Diese Pillen bräuchte es oftmals gar nicht. Und viele Ernährungssünden lassen sich auch durch Pillen nicht rückgängig machen. Viele Probleme entstünden nicht bei einer vernünftigen Ernährungsweise, und einige Krankheiten lassen sich durch eine Ernährungsumstellung sogar wieder beseitigen. Denn was und wie wir essen, beeinflusst, wie gesund wir sind und sogar wie lange wir leben.

Sie glauben das nicht? Ich gebe Ihnen mal ein besonders krasses Beispiel, um Ihnen zu zeigen, was möglich ist: Ein mir bekannter Patient, ein 65-jähriger Anwalt, hatte sich einen meiner Video-Vorträge über Ernährung angesehen und daraufhin seine Ernährung komplett umgestellt. Dadurch konnte er seine fortgeschrittene Arteriosklerose, die zu einer hochgradigen Einengung der Herzkranzgefäße geführt hatte, größtenteils rückgängig machen. Eine Koronar-Angiographie (invasive Katheter-Untersuchung der Herzkranzgefäße) hat gezeigt, dass er nun weitgehend arteriosklerosefrei ist, sein Typ-2-Diabetes ist verschwunden, und er hat gute Blutwerte. Seiner Meinung nach wäre er ohne diese Ernährungsumstellung heute nicht mehr am Leben.

Gesunde Ernährung ist also kein Luxus, sie kann Leben verlängern und sogar Leben retten. Und wichtig ist hier: Gesunde Ernährung ist nicht (nur) eine Frage des Geldbeutels. Viel mehr noch ist sie eine Frage des Wissens. Aber woher bekommt man dieses Wissen? Wem kann man vertrauen? Auf wessen Ratschläge soll man hören? Leider sind auch diejenigen, die sich um Ernährungswissen bemühen, oft nicht nur durch das Angebot an Waren, sondern auch durch die Vielzahl an Ratschlägen und Expertentipps überfordert, die von überall und immer wieder auf einen einströmen, und die sich leider gar nicht so selten widersprechen. Und oft wird mehr versprochen oder behauptet, als sich halten lässt. Wie soll man in diesem Dickicht den Überblick behalten und sich für das Richtige entscheiden? Ist Kaffee gesund oder schädlich? Darf es ein Frühstücksei sein oder eher nicht? Soll man Kohlenhydrate lieber reduzieren? Ist Fasten gesund? Oder allgemeiner formuliert: Wie kann man gesund essen? Essen, um gesund zu bleiben? Sich gesund essen?

Wenn Sie die Idee überzeugt, dass die moderne Wissenschaft Orientierung geben kann, dass sie nach verlässlichen Kriterien Wissen schafft und Bereiche identifiziert, über die man (noch) nichts Sicheres sagen kann, dann sind Sie in diesem Buch richtig. Ich werde mein Bestes geben, Ihnen zu helfen, indem ich das Wissen weitergebe, das ich während vieler Jahre als Ernährungsepidemiologin und Wissenschaftlerin erworben habe. Mein Anliegen ist es, in kompakter und klarer Form darzustellen, was sich heute wissenschaftlich gesichert über den Zusammenhang zwischen unserer Ernährung und unserer Gesundheit sagen lässt und was (noch) nicht.

Ich möchte Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, mit diesem Buch also eine einfach verständliche und wissenschaftlich fundierte Hilfestellung geben, Ihre Ernährung zu verbessern. Es ist nicht dazu gedacht, ein Bücherregal zu verschönern, sondern es soll genutzt werden und eine praktische, leicht umsetzbare Anleitung zu einem besseren Verständnis der Ernährung geben. Es geht auf verschiedene Ernährungsformen ein und kommentiert diese, gibt aber auch konkrete Tipps, die vielleicht bislang wenig bekannt sind. Ich freue mich, wenn ich Sie dazu anregen kann, Ihre Ernährung zu überdenken und zu überprüfen, und Sie sich vielleicht ermutigt fühlen, auf der Ernährungsgeraden einen Schritt in Richtung gesünderer Ernährung zu gehen – denn auch ein kleiner Schritt kann viel für die Gesund erhaltung und das Gesundwerden tun. Entlang der Ernährungsgeraden sind Sie auf direktem Kurs zu einem langen und gesunden Leben. Lassen Sie sich inspirieren, machen Sie mit – es lohnt sich!

Anmerkung: Die wissenschaftlichen Studien, die den Ausführungen zugrunde liegen, sind im Text mit Zahlen vermerkt und im hinteren Teil des Buches aufgelistet.

Kapitel I: Grundlagen einer gesunden Ernährung

Lange leben und dabei gesund und fit bleiben: Das wollen wir wohl so ziemlich alle. Aber können wir auch etwas tun, um die Erfüllung dieses Wunsches wahrscheinlicher zu machen? Ja, das ist möglich. Man nennt das Prävention, und mit Prävention können wir so viel erreichen! Leider wird genau sie heute immer noch zu sehr vernachlässigt, sowohl im Gesundheitssektor und der Politik als auch im Verhalten des Einzelnen. Und das, obwohl schon kleine Veränderungen große Auswirkungen haben können, und obwohl inzwischen sehr viel darüber bekannt ist, wie wir Krankheiten vermeiden können. Das fundierte Wissen über Risikofaktoren ist da – und besteht zum Teil schon lange –, nur an der Umsetzung hapert es.

Warum ist das so? Einigen fehlt schlicht das Wissen, aber selbst diejenigen, die es eigentlich besser wüssten, passen ihr Verhalten oft nicht an. Zum einen fehlt den Gesunden der Leidensdruck, wie ihn das dringende und schmerzliche Bewusstwerden nach der Diagnose einer Erkrankung bewirkt: «Ich muss etwas verändern.» Zum anderen denken viele von uns: «Bislang ist es gut gegangen. Mir wird schon nichts passieren.» Und so machen wir gern weiter im alten Trott, wie wir es gewohnt sind. Die Psychologie des Menschen ist sehr kurios: Wir kaufen einen Lottoschein, bei dem wir eine Chance von 1 zu 140 Millionen auf einen Gewinn haben, aber wir denken uns: «Vielleicht habe ich ja Glück.» Gleichzeitig lassen wir uns zu einer ungesunden Lebensweise verleiten und negieren das beträchtliche Risiko, zu erkranken: «Es wird schon nichts passieren.»

Der US-amerikanische Investor und Multimilliardär Warren Buffett zog in seinem Essay für das Buch Getting There von Gillian Zoe Segal[1] einen interessanten Vergleich: Sein Traumauto pflegt und hegt man, man poliert es häufig, lässt es regelmäßig warten und achtet darauf, dass es keinen Rost ansetzt. Mit unserem Körper gehen wir dagegen viel nachlässiger um. Der Haken dabei: Wir haben nur einen Körper, Ersatz gibt es nicht. Warren Buffetts Rat daher: Behandeln Sie Ihren Körper bestmöglich, bereits in jungen Jahren. Und er hat recht: Bewusst leben erhöht die Chancen auf ein langes und vor allem gesundes Leben um ein Vielfaches.

Die Gesundheit ist ein hohes Gut. Das wird uns schmerzlich bewusst, wenn wir sie verlieren. Bereits der Philosoph Arthur Schopenhauer sagte (allerdings in etwas anderen Worten): Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Originalzitat: «Überhaupt aber beruhen 9/10 unsers Glückes allein auf der Gesundheit. Mit ihr wird Alles eine Quelle des Genusses: hingegen ist ohne sie kein äußeres Gut, welcher Art es auch sei, genießbar, und selbst die übrigen subjektiven Güter, die Eigenschaften des Geistes, Gemüthes, Temperaments, werden durch Kränklichkeit herabgestimmt und sehr verkümmert.»[2]

Was können wir also tun, um dieses hohe Gut Gesundheit zu erhalten? Die vier wichtigsten Pfeiler der Prävention sind (in dieser Rangfolge):

• nicht rauchen

• Erhaltung eines gesunden Körpergewichts

• regelmäßige körperliche Bewegung

• gesunde Ernährung

Allein mit diesen vier Hauptpfeilern der Prävention könnten 90 Prozent aller Diabeteserkrankungen,[3] 80 Prozent aller Herz-KreislaufKrankheiten,[4] sowie fast 40 Prozent aller Krebserkrankungen vermieden werden. Die immer häufiger werdenden Zivilisationskrankheiten ließen sich deutlich eindämmen. Wenn wir uns alle an die vier Pfeiler der Prävention halten würden, könnten wir uns eines längeren und gesünderen Lebens erfreuen und unser Gesundheitssystem enorm entlasten.

Jeder der vier Pfeiler kann unsere Lebenserwartung beeinflussen. Das Zigarettenrauchen schlägt bei der Verkürzung der Lebensdauer am deutlichsten zu Buche. Eine groß angelegte internationale Langzeitstudie in Europa (die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition, kurz: EPIC-Studie) hat gezeigt, dass starke Raucher (mehr als zehn Zigaretten pro Tag) ihre Lebenserwartung im Schnitt um gut acht Jahre verkürzen.[5] Ebenfalls laut dieser Studie verkürzt Übergewicht das Leben um etwa drei Jahre.[5] Insgesamt verstarben Menschen, die stark rauchten, übergewichtig waren und viel Alkohol tranken in dieser Studie im Durchschnitt 17 Jahre früher als Vergleichspersonen, die den erstgenannten zwar ähnlich waren (u. a. in Bezug auf Alter, Geschlecht und Bildung), die aber alle diese drei Risikofaktoren (Rauchen, Übergewicht und übermäßiges Trinken von Alkohol) komplett vermieden.[5] In einer anderen Langzeitstudie mit über 700 000 US-Veteraninnen und -Veteranen konnten Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ihr Leben um mehr als 20 Jahre verlängern, wenn sie nicht rauchten, Übergewicht vermieden, körperlich aktiv waren, sich gesund ernährten, nicht übermäßig Alkohol tranken, gut mit Stress umgehen konnten, gut und ausreichend schliefen und positive zwischenmenschliche Beziehungen pflegten.[6] Aber bereits durch das Vermeiden von einem, zwei oder drei dieser Risikofaktoren konnte das Leben um mehrere Jahre verlängert werden.[6] Neben den vier schon genannten Pfeilern der Prävention (nicht rauchen, gesundes Gewicht, Bewegung und Ernährung) gibt es also weitere wichtige Faktoren: das Vermeiden von übermäßigem Alkoholkonsum, der Abbau von Stress, ausreichender Schlaf und das Pflegen sozialer Kontakte.

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