Leseprobe : »So kann man’s ooch sehen.«

Das Buch offenbart einen wertschätzenden und ehrlichen Dialog auf höchstem Niveau. Dabei wird man nicht nur zum Denken herausgefordert, sondern auch dazu angeregt, sich mit seinen Gegenüber auseinanderzusetzen - selbst wenn man anderer Meinung ist

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Gysi gegen Guttenberg

Gysi gegen Guttenberg

Karl-Theodor zu Guttenberg, Gregor Gysi

Hardcover, gebunden

288 Seiten

24 Euro

In Kooperation mit Herder Verlag

Gysi gegen Guttenberg

Guttenberg
Soll ich erzählen, wie alles begann, lieber Gregor? Ich habe ja damals die Angel ausgeworfen … Ich dachte mir, es müsste unter den deutschsprachigen Podcasts ein Angebot geben, das sich von den üblichen Schilderungen der Dinge unterscheidet. Nachdenklich und trotzdem streitig. Die Frage war: Wer wäre dafür der unterhaltsamste und streitbarste Gesprächspartner? Mit wem würde der fortwährende Dialog nicht nach drei Monaten langweilig werden? Dein Name stand ganz oben auf der Liste. Obwohl wir wirklich von sehr unterschiedlichen Planeten kommen, habe ich dich in meinen Jahren als Politiker immer sehr geschätzt, weil ich eine Neigung zu Menschen habe, die einfach richtig gut argumentieren können – mit Überzeugungen, die vielleicht nicht meinen entsprechen, die aber glaubwürdig sind. Also schrieb ich eine E-Mail, ob wir uns nicht treffen könnten. Du sagtest sofort zu.

Gysi
Ich möchte erst mal auf Folgendes hinweisen: Als du damals Verteidigungsminister warst, der selbstverständlich die Politik der Bundesregierung zu vertreten hatte, hatten wir eigentlich gar keinen Kontakt. Du warst ja auch ganz oben. Aber dann wurdest du nach unten gezogen. Und ich bin nun einmal Anwalt. Ich fühle mich immer zu Personen hingezogen, wenn es ihnen nicht gut geht – nicht umgekehrt. Und deshalb habe ich dich damals in dieser für dich schwierigen Zeit angesprochen.

Guttenberg
Das war, zur Einordnung, im Jahr 2011, als die Wellen der öffentlichen Empörung gerade mit Wucht über mir zusammenschlugen und ich mich kurz darauf aus der Politik zurückzog. Damals habe ich mich wirklich gefreut, dass jemand einfach auf mich zukam und sich freundlich mit mir ausgetauscht hat. Das war seinerzeit nicht die Regel.

Gysi
Jetzt, bei unserem Gespräch im Frühjahr 2023, war es so, dass du mir deine Vorstellungen zu dem Podcast erläutert hast – und ich war von einem Gedanken fasziniert, nämlich von der Gegenüberstellung. Auf der einen Seite ein Mensch, der vollständig im Westen und dann noch in einer gehobenen Schicht sozialisiert wurde und daraus bestimmte Einstellungen und Gefühle gewonnen hat. Das Zweite, was mir wichtig war, ist: Du weißt, wie es ist, wenn man aufsteigt. Und du weißt aber auch, wie es ist, wenn man abstürzt. Nur wenn einer beides erlebt hat, weiß er um die Unzuverlässigkeit des Erfolgs. Auf der anderen Seite jemand wie ich, der vollständig im Osten sozialisiert wurde, wenn auch unter bestimmten, besonderen Bedingungen. Das eigentliche Privileg meines Lebens in der DDR bestand darin, dass meine Familie Besuch aus den USA bekam, aus Südafrika, aus Großbritannien, aus Belgien, aus den Niederlanden und vor allem aus Frankreich. Das gab es sonst nicht in der DDR. Und das hat natürlich meinen Blick etwas erweitert. Außerdem bin ich, was wichtig ist, mit Ironie und Selbstironie aufgewachsen. Mein Vater konnte nicht nur ironisch sein, sondern auch selbstironisch.

Guttenberg
Das haben wir gemeinsam.

Gysi
Zum Beispiel kam zu uns immer ein reicher Franzose. Ich weiß nicht, warum, jedenfalls hatte er die Kommunistische Partei in Frankreich unterstützt. Und ich war noch ein Kind, da fragte ich ihn: Was machst du eigentlich, wenn die sozialistische Revolution in Frankreich gesiegt hat? »Oh«, sagte er, »das weiß ich. Dann gehe ich sofort in die Schweiz und kämpfe weiter.«

Insofern reizte mich jetzt diese Gegenüberstellung. Und, letzter Gedanke: Ich war davon überzeugt, dass du im Kern ehrlich argumentieren wirst, genau wie ich. Und zwar, weil du nicht mehr in der Politik bist. Du musst nicht auf irgendwelche Beschlüsse Rücksicht nehmen und hierauf und darauf. Und ich habe das noch nie gemacht. Das war für mich auch ein Reizpunkt, dass ich mir sagte: Der sagt, was er denkt. Wir beide kennen uns also von früher aus dem Bundestag und dem politischen Betrieb, aber wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen.

Guttenberg
Einmal hatten wir uns in der Zwischenzeit getroffen, fällt mir ein. Das muss am Tegernsee gewesen sein.

Gysi
Ja, da war ich eingeladen und sollte dort sprechen, wo die reichsten Leute Deutschlands wohnen. Es gab ein Abendessen, und das Beste an dem Abendessen war, dass alle über den Verrückten sprachen, der gerade im März im See geschwommen war. Dieser Verrückte, das war ich gewesen – aber ich habe natürlich nichts gesagt.

Guttenberg
An diesem Ort waren sicher mehr Menschen über deinen Sprung in den kalten See beeindruckt als über deine politischen Ansichten.

Gysi
Die wussten ja gar nicht, dass ich das war. Sie zogen nur anonym über den Verrückten her. Und da ich mich nicht zu erkennen gab, zog ich mit den anderen über den Verrückten her.

Guttenberg
Nun reden wir ja seit vielen Monaten, aber diese Geschichte habe ich noch nicht gehört … Wenn wir uns treffen, machen wir ja möglichst zwei Episoden hintereinander, das dauert mit allen Vorbereitungen zwei bis drei Stunden. Die gemeinsamen Abendessen kommen noch obendrauf. Bei diesen Gelegenheiten haben wir uns jetzt erst richtig kennengelernt.

Gysi
Fang du mal an, bitte.

Guttenberg
Also, wir neigen beide nicht dazu, Klischees zu bedienen, und überraschen uns immer mal wieder auch gern selbst. Und wenn man sich selbst überrascht, überrascht man auch das Gegenüber – oder jemanden, der einem zuhört. Mir war wichtig, dass mir keine Sprechblasen begegnen oder vorgestanzte ideologische Grundsätze um die Ohren gehauen werden, sondern dass man sich auch gegenseitig eine gewisse Nachdenklichkeit erlaubt. Bei Gregor ist es so wie bei mir: Wir reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, und nehmen keine Rücksicht auf Befindlichkeiten. Erst mal haben wir einen Testlauf gemacht. Denn zu klären war ja: Wenn man sich gegenübersitzt, schmeißt man sich gleich die Kaffeetasse an den Kopf oder das Weinglas? Und verlässt laut zeternd und unter Absingen schrecklicher Beschimpfungen den Raum? Oder hat man tatsächlich nach einer Stunde das Gefühl, dass man ein bereicherndes Gespräch geführt hat? Und das war beim ersten Mal schon der Fall. Aus dem Testlauf wurde die erste Episode. Das Thema hieß Einsamkeit.

Ein Thema, auf das wir uns nicht vorbereiten konnten. Und das trägt seitdem unsere Gespräche: dass wir uns nie vorbereiten, sondern versuchen, so spontan wie möglich zu sein und damit einen echten Dialog zustande zu bekommen, als würden wir uns abends unvermittelt begegnen. Dieses Prinzip hat sofort funktioniert. Und ich habe auch gleich Lust auf das nächste Gespräch empfunden. Ich weiß nicht, wie es dir gegangen ist, wahrscheinlich hast du danach erst mal einen Schnaps gebraucht.

Gysi
Das erste Gespräch war insofern eine Besonderheit, als wir unterschiedliche Situationen der Einsamkeit erlebt haben. Ich war mal als Student ein ganzes Jahr isoliert und weiß, wie das ist – die Tatsache, dass mein Vater ein hoher Funktionär war, hatte mich plötzlich verdächtig gemacht. Und zwar, weil Kinder von hohen Funktionären nach dem Einmarsch der Sowjetunion in die ČSSR zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Das drehte sich dann ganz merkwürdig. Es war wirklich spannend zu erleben, wer mit wem befreundet blieb. KT, du hast in einer ganz anderen Situation Ähnliches erlebt. Aber wir haben dann auch weiter darüber nachgedacht: Was ist eigentlich politische Einsamkeit? Woher kommen zum Beispiel in der Parteipolitik die plötzlichen Wendungen? Wir sprachen auch darüber, dass ich glücklicherweise immer – aufgrund der Umstände in meiner Partei – in meiner unmittelbaren politischen Umgebung Freunde hatte. Das gibt es sonst eigentlich nicht. Diese Perspektive hat wiederum bei dir Gedanken ausgelöst. Und das Schöne war, dass die Leute, die sich die erste Folge angehört haben, erstaunt waren über die Art und Weise, wie wir miteinander redeten – und wiederum wir erstaunt waren, in wie viel Punkten wir übereinstimmen. Natürlich gibt es Differenzen. Aber das ist ja das eigentlich Aufregende an einem solchen Podcast. Plötzlich merkst du, der ist ja auch ein Mensch, der hat auch seine Gefühle. Er ist auch verletzlich. Er ist eitel wie du auch. Aber die Frage ist immer: Beherrschst du die Eitelkeit? Oder beherrscht sie dich? Ersteres ist überhaupt kein Problem, Letzteres ist eine absolute Katastrophe. Dann gehen wir ab und zu miteinander essen, dabei tauschen wir uns auch wirklich privat aus. Und so entsteht eine gewisse persönliche Bindung. Die spürt man in den Gesprächen – die führt aber nicht dazu, dass du nicht deine Meinung sagst oder ich nicht meine Meinung sage.

Guttenberg
Das Wort Vertrauen ist ja ein inflationär gebrauchter Begriff, zumal im Politischen, und dort wird er meistens mit Füßen getreten. Aber wir haben, das darf ich sagen, sehr schnell Vertrauen gefasst. Nur so kann man sich Offenheit leisten. Wir legen immer Wert darauf, nicht über Tagespolitik zu reden, um nicht in die übliche Gehetztheit abzudriften. Und wir versuchen bei allen Themen, seien sie politisch oder persönlich, sie mit sehr persönlichen Erfahrungen, auch tiefen persönlichen, manchmal schmerzhaften, manchmal lustigen, manchmal grotesken, zu verbinden. All das kann man nur, wenn man eine gemeinsame Vertrauensbasis hat. Ob eine politische Überzeugung in die eine oder andere Richtung geht, ist dann egal. Das verbindende Element ist das Vertrauen. Und daran fehlt es an so vielen Ecken und Enden in unserer Gesellschaft heute. Wir wollen Versöhnlichkeit vorleben angesichts der ganzen Streitsucht, die herrscht, angesichts des Vernichtungswillens, der manchmal zum Ausdruck kommt. Dass das verstanden wird, bekommen wir auch als Feedback von den Hörerinnen und Hörern.

Noch ein letzter Punkt: Was uns beide überrascht hat, ist, wie egal es ist, ob wir, was wir natürlich beide vorziehen, gemeinsam an einem Tisch sitzen und dieses Gespräch Auge in Auge führen oder ob wir das Gespräch, weil es manchmal der Terminkalender nicht anders zulässt, viele Tausend Kilometer voneinander entfernt über einen Videocall führen. Trotzdem entsteht die gleiche Dynamik.

Gysi
Das ist zum Verständnis für unser Publikum wichtig: Wir haben tatsächlich erst durch die Arbeit für den Podcast dieses Vertrauen gefasst. Wir kannten uns vorher viel zu wenig, um Vertrauen haben oder nicht haben zu können, es war also nicht so, dass sich da wieder zwei alte Freunde oder Weggefährten fanden. Sondern das ist erst jetzt entstanden. Und so kamen wir auch vom »Sie« zum »Du«. Ich bin ja der Ältere, und zwar der deutlich ältere.

Guttenberg
Der bei Weitem ältere!

Gysi
Was du immer vergisst, ist, dass ich dadurch natürlich auch der Erfahrenere bin, das muss ich dir immer wieder erklären. Beim zweiten Essen habe ich dir das »Du« angeboten, oder? Ich hatte mir gedacht, wenn wir jetzt so intensiv zusammenarbeiten, ist es albern, sich immer weiter zu siezen. Dann haben wir uns überlegt, ob wir uns auch vor dem Publikum duzen – und haben uns schließlich dafür entschieden. Wir wollen auch da authentisch sein.

Guttenberg
Das hat sich wirklich sehr natürlich ergeben. Zumindest ich freue mich immer wieder, aus den Gesprächen etwas mitzunehmen, das ich so als Gedanken noch nicht gehört habe, und sich – im Gespräch – die Zeit zusammen mit den Zuhörern zu nehmen, darüber nachzudenken. Für mich ist das eine große Bereicherung.

Gysi
Ab und zu kommen von dir für bestimmte Ansichten Begründungen, die ich so noch nicht gehört habe. Und dann muss wiederum ich darüber nachdenken. Das geht mir auch im Bundestag so, ich bin nicht so ignorant. Es kann vorkommen, dass mal ein Argument gegen eine meiner Positionen geäußert wird und ich sagen muss: Da ist was dran. Natürlich nicht häufig, aber es kommt vor. Und bei dir, lieber KT, kommt das häufiger vor.

Dann gibt es Themen, in denen wir einfach unterschiedliche Auffassungen haben und wissen, dabei bleibt es, und das ist auch nicht tragisch. Man kann Hörerinnen und Hörer damit anziehen, indem man im Gespräch den anderen foltert oder herumschreit. Dann besteht für das Publikum nur Vergnügen an dem Boxkampf, der da stattfindet. Aber das ist nicht unser Ding. Wir haben uns beide für die Methode des Zuhörens entschieden, und ich werde häufig auf Straßen angesprochen, dass die Leute das mögen.

Aber ich muss noch etwas erzählen. Ich habe meine Freundinnen und Freunde gefragt, da ich mir selbst nie einen Podcast anhöre, wann hört man denn so etwas? Die haben mir erklärt: beim Autofahren, in der Küche beim Kochen, beim Nähen. Ich frage mich, warum ich das nicht mache. Also selbst das macht mich nachdenklich.

Guttenberg
Manche, die mich auf den Podcast ansprechen, fragen: Warum nennt ihr das Ding denn Gysi gegen Guttenberg? Das weckt doch vollkommen falsche Erwartungen. Was ihr da macht, ist: Gysi knutscht Guttenberg. Und dann antworte ich, hört euch das mal etwas genauer an. Oft sind es die Nebensätze und die Zwischentöne, die die andere Ansicht ausmachen, und doch ist der Austausch gleichzeitig immer von Respekt getragen. Audiatur et altera pars, höre auch die andere Seite – das ist ja mittlerweile ein vollkommen vergessenes Element anständigen menschlichen Umgangs. Wo wir uns nicht vom Haken lassen: wenn der andere keine Begründung liefern kann. Das ist aber bislang noch nicht wirklich passiert, dass einer von uns gedacht hat: Er kann doch nicht allen Ernstes an dieser These festhalten. Wahrscheinlich wird es irgendwann so weit sein. Ich bin gespannt, wie wir dann darauf reagieren.

Gysi
Im Herbst durfte ich ja auch zu Besuch im Haus deiner Vorfahren sein. Ich will gar nicht viel darüber sagen, nur dass mir klar geworden ist, wie völlig anders deine Kindheit verlaufen sein muss im Vergleich zu meiner. Wahrscheinlich auf deiner Seite mit viel mehr Geschichtsbewusstsein, als es bei mir der Fall war, auf der anderen Seite aber auch viel geschlossener als bei mir, obwohl die Gesellschaft offener war. Auch eine Familienstruktur zwingt zu einer bestimmten Geschlossenheit. Du hast diese Geschlossenheit nach meinem Verständnis immer akzeptiert, du hast deine Familie nie verleugnet, du hast aber trotzdem eine Befreiung daraus gesucht und dafür einen Weg gefunden – auch das verlangt mir Respekt ab: wenn wir beide irgendetwas psychologisch zu erklären versuchen. Wir sind ja beide Amateurpsychologen …

Guttenberg
Da gibt es schon mal die Rückmeldung, wie man eigentlich eine so steile These, ohne Experte zu sein, einfach so aufstellen könne. Zu deiner Schilderung meiner Kindheit: Wir sind beide in Zwängen aufgewachsen. Bei dir war es ein gesellschaftlicher Zwang, der dich umgab. Bei mir waren es sicherlich viele familiäre Zwänge. Und ja, da treffen wir uns, im Bemühen um Befreiung aus den Zwängen. Das macht ja was mit einem Menschen. Natürlich gibt es viele da draußen, die einen am liebsten bis in alle Ewigkeit mit ihrem Klischeebild belegen würden. Und denen kann man nur lächelnd entgegentreten und sagen: Hört euch unseren Podcast an, und bekommt ein Stück unserer Befreiung mit.

Gysi
Die Zuschriften, die mich direkt erreichen, beantworte ich alle – aber ein richtiger Politiker war noch nicht dabei.

Guttenberg
Bei mir schon. Gott sei Dank habe ich mittlerweile einigen Abstand, aber ich werde schon von ehemaligen Kollegen angesprochen. Der eine oder andere nörgelt mit offenbar reflexhaftem Entsetzen, wie man das mit einem wie dem Gysi machen könne. Wenn ich frage: Hast du dir denn den Podcast schon angehört, wird schnell klar – natürlich nicht. Andere kommen an und sagen: Mensch, was für ein unglaublich gutes Format. Können wir nicht was Ähnliches machen? Wir durften feststellen – Gregor, das haben wir ja selbst kaum für möglich gehalten –, dass wir nach ein paar Monaten viele Millionen TikTok-Views hatten, dass wir nach einem Jahr an der Schwelle von 100 000 Abonnenten stehen. Eine solche Aufmerksamkeit ist natürlich eine Währung im politischen Geschäft – und deswegen wächst das Interesse deiner Noch-kollegen und meiner ehemaligen Kollegen.

Gysi
Man darf aber den Aufwand nicht unterschätzen. Es erreichen mich Anfragen von Veranstaltern, ob ich das nicht auch mit anderen Gegenüber machen könnte. Aber der eine Podcast reicht mir. Ich bin ja auch noch ein disziplinierter Bundestagsabgeordneter, da gibt es namentliche Abstimmungen und den leider oft langweiligen Auswärtigen Ausschuss. Neuerdings werden wir beide auch gemeinsam in Talkshows eingeladen – darauf wäre früher kein Mensch gekommen. Aber das hat immer auch Konsequenzen, die man sich vorher überlegen sollte. Weil ich fast alle Mails selbst beantworte, habe ich nach einer solchen Sendung so viel zu tun, dass mich das tagelang beschäftigt. Deshalb sagt mein Büro immer: Nicht schon wieder! Denn ich kriege es nicht fertig, die Mails nicht zu beantworten. Die kritischen genauso wie die freundlichen.

Guttenberg
Das ist jetzt die ganz hohe Schule der Koketterie, denn gelegentlich gehst du ja gern zu den Talkshows. Das Schöne ist bei unserem Format, dass wir uns nicht den Fragen eines anderen unterwerfen müssen oder der Agenda einer Redaktion, sondern dass wir selbst das Narrativ bestimmen. Wir nehmen uns genau so viel Zeit, wie wir wollen. Wir besprechen die Themen, die wir wollen, und wir bedienen uns dessen, was aus unserem Kopf kommt. Und das ist wahrscheinlich für viele auch der Anreiz zuzuhören, weil sie sagen: Das ist wirklich authentisch.

Gysi
Vor allem: Wir führen ein Gespräch. Das gibt es ja sonst nicht. Sonst stellt nur einer Fragen, und der andere antwortet, das normale Verhältnis bei einem Interview oder auch bei einer Moderation. Was mich angenehm überrascht, ist, wie wir unsere Gedanken ausführen können, ohne dass einer versucht, den anderen zu dominieren. Nach dem Motto: Mir gehören immer zwei Drittel der Zeit und dem anderen nur ein Drittel. Das stört uns gar nicht. Der eine darf argumentieren, dann der andere. Und wenn einer von uns beiden mal zu lange spricht, weiß der es selbst. Dann sagt er: Ich weiß, ich muss jetzt gleich aufhören. Das registrieren die Leute auch.

Guttenberg
Die Briefe, die unsere Redaktion bekommt, sind sehr konstruktiv, oftmals lang, nachdenklich, wohlwollend, froh gestimmt, insgesamt absolut gutwillig. Der Grundansatz wird verstanden, ein Angebot unterhaltsamen und respektvollen Gesprächs zu machen. Und das Resultat ist, das höre ich sehr oft, dass wir gerade auch bei komplexen Themen eine Brücke schlagen in einer Gesellschaft, die viele der Themen, die wir behandeln, im hohen Maße mit unversöhnlichen Gräben durchzogen hat. Und wenn wir zu einer besseren Verständigung einen kleinen, bescheidenen Beitrag – in unserer uns beiden gegebenen Unbescheidenheit – leisten können, ist damit schon viel gewonnen. Das ist die Rückkoppelung, die ich immer wieder höre und sehe. Du hast viel Unversöhnlichkeit erfahren im Leben und ich auch. Es gibt Momente im Leben, in denen man zu Recht viel Kritik erfährt. Aber Unversöhnlichkeit, finde ich, sollte es nie geben.

Gysi
Wir sprechen über politische, aber vor allem auch über gesellschaftliche Fragen. Das ist auch neu. In politischen Talkshows herrscht der Wettbewerb, jeder möchte erfolgreicher argumentieren als die anderen. Aber wir beide gehen ruhig an unsere Gespräche heran und stehen weder unter Zeitdruck noch unter Konkurrenzdruck. Wir stehen eigentlich gar nicht unter Druck, sondern wir können völlig offen über ein bestimmtes gesellschaftliches Thema sprechen. Ich glaube, dass diejenigen, die das hören, genau das genießen. Es ist etwas anderes als das, was wir täglich im Fernsehen erleben.

Guttenberg
Nach knapp einem Jahr und rund 50 Folgen – welche Episoden sind bei dir hängen geblieben?

Gysi
Was es hinsichtlich des Krieges der Nato gegen Serbien zwischen uns einerseits für eine Übereinstimmung und andererseits für einen Widerspruch gegeben hat – das fand ich spannend, darüber habe ich nachgedacht. Was mich fasziniert und beeindruckt hat, war immer, wenn du von deiner Kindheit gesprochen hast, die so völlig anders verlaufen ist als meine. Da habe ich in mir ein gewisses Mitgefühl erlebt. Denn viele Außenstehende sind wahrscheinlich neidisch und denken: Mensch, wenn man wie der Guttenberg in einer solchen Familie aufwächst, das muss fantastisch sein. Aber mir ist klar geworden, dass es auf der einen Seite fantastisch und auf der anderen Seite eher furchtbar war. Dies ins richtige Verhältnis zu bringen, ist nicht leicht und für ein Kind nun schon gar nicht. Auch ich hatte einen Vater, der gelegentlich mal ausrasten konnte, aber der hat sich bei mir am nächsten Tag entschuldigt.

Guttenberg
Da geht es mir sehr ähnlich. Als Jugendlicher hatte ich zwar die DDR in unmittelbarer Nachbarschaft erlebt, aber ich hatte überhaupt keine Vorstellung, wie sich das Leben dort abgespielt hat. Das nun nicht nur aus historischen, sondern aus Interesse am Menschen noch mal erfahren zu dürfen, empfand ich als spannend. So hat sich auch Schritt für Schritt ein vielfältiges Bild von dir eröffnet, von einem Menschen, der sonst oftmals nur auf seine politischen Aussagen verkürzt wird. Was uns auch ganz gut gelungen ist: wenn wir uns zwischendurch ein großes geopolitisches Thema vornehmen. Der Wechsel der Themen wird auch bleiben. Wir werden weiterhin über größere politische und gesellschaftliche Komplexe sprechen, aber dann eben auch mal über Humor oder über Heimat.

Gysi
Unbedingt! Dass zwei solche Figuren wie wir überhaupt zusammenkommen, ist das Ergebnis unserer spannenden Geschichte. Früher habe ich gern zu den Alten im Osten gesagt: Ich weiß gar nicht, warum ihr nur herummault und kaum Selbstbewusstsein habt. Ihr habt als Kinder die Weimarer Republik erlebt, dann die Nazidiktatur einschließlich des Zweiten Weltkriegs, dann die sowjetische Besatzung, dann die Gründung der DDR und das Ende der DDR und erlebt jetzt die Bundesrepublik Deutschland. Andere brauchen sieben verschiedene Leben für das, was ihr in einem Leben erlebt habt. Und einmal antwortete ein alter Genosse: »So kann man’s ooch sehen.«

Man darf nie unterschätzen, welche Schwierigkeiten Menschen haben, die eine völlig andere Sozialisation haben als wir, sich an Veränderungen anzupassen – mir fällt Erich Honecker ein, der stocksteif neben dem Kaiser von Japan saß und nichts zu sagen wusste. Wenn man sich für diese menschliche Begrenztheit noch Mitgefühl erhält, das ist wichtig. Also, lieber KT, ich habe begriffen, dass dein Leben anders war als meines, manchmal war meines sehr viel schwieriger, aber schwierig war deines auch.

Guttenberg
So kann man’s ooch sehen. Ich glaube, dieser Satz fasst wahrscheinlich unsere Dynamik am besten zusammen. Hast du abschließend noch einen Wunsch für die Zukunft unserer Gespräche?

Gysi
Dass es zwischen uns nie ein Missverständnis gibt, das das Ganze unmöglich machte.

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